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Prozess zwischen Propaganda und offenen Fragen – Das Medienlog vom Dienstag, 10. Juli 2018

 

Morgen fällt das Urteil im NSU-Prozess. Vor dem Urteil, das in allen Medien Hauptthema sein dürfte, laufen sich die Berichterstatter warm und blicken auf fünf Jahre Terrorprozess zurück – mit seinem Richter, der Hauptangeklagten und den Opfern.

Nach wie vor bleiben viele Fragen offen für die Hinterbliebenen der Mordopfer, denn „die Nebenkläger erhoffen sich nicht nur Aufklärung durch Beate Zschäpe. Sie wollen auch wissen, warum die Polizei dem NSU fast vierzehn Jahre lang nicht auf die Spur kam“, fasst Ina Krauß auf tagesschau.de zusammen. Auffällig sei, dass die Nebenklage nicht wie üblich mit der Anklage an einem Strang gezogen habe – weil die Bundesanwaltschaft anders als viele Opfervertreter die These eines aus drei Personen bestehenden NSU vertritt.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Im Interview mit T-Online äußert sich der Sohn des ersten Mordopfers Enver Şimşek, Abdulkerim Şimşek. Er erinnert sich, wie traumatisch falsche Beschuldigungen der Ermittler vor der Enttarnung des NSU gewesen seien: „Die Polizei hat alles versucht, um meinen Vater als Schuldigen darzustellen.“ Die Familie hingegen habe früh den Verdacht gehabt, dass Neonazis hinter dem Mord stecken könnten. So habe sich der Eindruck von Rassismus eingestellt: „Ich hatte das Gefühl, dass man die Taten zulässt, weil wir Ausländer sind.“

Zum NSU-Prozess gehörte von Anfang an die politische Dimension des Falls. „Wie kaum ein zweites Verfahren ließ sich der NSU-Prozess für politische Propaganda benutzen“, urteilt Gisela Friedrichsen in der Welt (kostenpflichtig) – etwa, wenn Anwälte der Nebenklage den sogenannten institutionellen Rassismus der Ermittlungsbehörden anprangerten. Die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben hingegen priesen in ihrem Plädoyer Adolf Hitler. Mit großer Anstrengung habe sich Richter Manfred Götzl abseits dessen seine Meinung gebildet.

„Herkulesaufgabe“ für den Richter

Mit Götzl beschäftigen sich diverse Porträts. Für den Richter gehe „eine Herkulesaufgabe“ zu Ende, schreibt Konrad Litschko von der taz. Das Ergebnis seiner Meinungsbildung habe sich bereits angedeutet: „Die Angeklagte sollte sich nicht zu viel erhoffen.“ Götzl habe stets auf ein Urteil hingearbeitet, das einer Revision standhält, heißt es einem Agenturtext auf stern.de. Wenn der 64-Jährige das Rentenalter erreicht, „wird es vermutlich noch einige Zeit dauern, bis seine Taktik als erfolgreich oder als gescheitert zu bewerten ist“. Denn mindestens eine Partei werde sicher Revision vor dem Bundesgerichtshof einlegen.

Bei uns auf ZEIT ONLINE äußert sich in einem Gastbeitrag der Generalkonsul der Türkei in München Mesut Koç. Die türkische Gemeinde in Deutschland habe das Verfahren intensiv verfolgt. „Ihr Eindruck ist: Der Prozess zieht sich zu lange hin.“ In einem Interview blickt außerdem die frühere Gerichtssprecherin Andrea Titz auf das Verfahren zurück.

Auch die Hauptangeklagte Beate Zschäpe gerät zum Prozessende verstärkt ins Blickfeld. Porträts über sie sind im Tagesspiegel und beim Bayerischen Rundfunk zu lesen.

Der Fotograf Thomas Hauzenberger hat das Verfahren in einer Fotostrecke für Spiegel Online dokumentiert.