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Zschäpes gefährliche Worte

 

Beate Zschäpe will sich äußern, obwohl ihr die Einlassung mehr Nachteile als Vorteile bringen könnte. Was verspricht sich die Hauptangeklagte im NSU-Prozess von ihrer Aussage?

Rückblick, Karlsruhe, der Abend des 13. Novembers 2011: Am Bundesgerichtshof hat eine Terrorverdächtige namens Beate Zschäpe gerade vor einem Haftrichter gestanden. Sie sitzt in einem Warteraum, neben ihr eine Beamtin des Bundeskriminalamts. Sie knabbern Babymöhren. Dann sagt Zschäpe einen der wenigen von ihr überlieferten Sätze: „Ich habe mich nicht gestellt, um nicht auszusagen.“

Es gibt Menschen, die haben sich an diesen Satz geklammert, als stamme er von einem Propheten. Hinterbliebene von zehn Opfern einer rassistischen Mordserie, lebenslang Versehrte von zwei Sprengstoffanschlägen, ein Polizist, in dessen Kopf bis heute Splitter einer Pistolenkugel stecken. Die Opfer der Terrorserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) haben Fragen, die alle mit „Warum“ beginnen: Warum habt ihr das gemacht? Warum unseren Vater erschossen, warum in unserer Straße eine Bombe gezündet? Warum wir?

Zschäpe blieb die Antworten bisher schuldig. Sie schwieg, seit der NSU-Prozess im Mai 2013 begann – angeblich bislang gegen ihren Willen auf Anraten ihrer früheren drei Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm. Doch wer weiß das schon bei einer Angeklagten, die immer wieder kühl berechnend und dominant wirkte?

Nun soll sich das ändern. Zschäpe hat mittlerweile zwei neue Verteidiger, die Münchner Mathias Grasel und Hermann Borchert. Borchert rief Ende August den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl an und verkündete, dass Zschäpe aussagen wolle. Nach einigen Terminkomplikationen soll es am Mittwoch so weit sein.

Nach den Plänen Zschäpes hätte Anwalt Grasel schon Mitte November eine über 50-seitige Erklärung verlesen sollen, beruhend auf ihren Angaben. Dann jedoch beantragten Zschäpes drei alte Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm zum zweiten Mal ihre eigene Entlassung, weil Götzl sie über die Aussagebereitschaft ihrer Mandantin lange im Unklaren gelassen hatte. Darauf aufbauend stellten die drei Anwälte des mutmaßlichen Waffenbeschaffers Ralf Wohlleben einen Befangenheitsantrag gegen alle fünf Richter des Strafsenats. Die Anträge wurden abgelehnt. Lassen sich die Juristen keinen neuen Kniff einfallen, steht der Aussage nun nichts mehr im Wege.

Beate Zschäpe, die Hautpangeklagte, hat lange auf diesen Moment gewartet. Zuletzt wirkte sie fast gelöst in dem Prozess, der sie nach eigenen Angaben psychisch belastet. Am Montag soll sie im Untersuchungsgefängnis gar einen Nervenzusammenbruch erlitten haben. Für Zschäpe steht viel auf dem Spiel: Ihr droht lebenslange Haft zuzüglich Sicherungsverwahrung – also unter Umständen ein Lebensende im Gefängnis.

Mit ihrer nun anstehenden Aussage tauchen wieder neue Fragen nach dem Warum auf: Warum äußert sich Zschäpe ausgerechnet jetzt? Belastet sie das Schweigen so sehr, dass sie ihr Wissen unbedingt preisgeben muss? Glaubt sie ernsthaft, das Urteil noch zu ihren Gunsten wenden zu können, nun, nachdem die allermeisten Beweise bereits präsentiert sind?

„Je später eine Einlassung kommt, umso weniger Beweiswert hat sie“, sagt der Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer. Er vertritt die Tochter des 2005 in Dortmund erschossenen Kioskbesitzers Mehmet Kubaşık. Seine Mandantin wüsste gern, wie die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ausgerechnet das kleine Geschäft im Norden der Stadt aussuchten, um dort einen unauffälligen Kleingewerbetreibenden zu erschießen.

Laut Ankündigung von Anwalt Grasel will Zschäpe nach der verlesenen Aussage schriftlich vorgelegte Fragen der Richter beantworten, sofern sich das Gericht auf dieses Prozedere einlässt. Fragen der Nebenkläger will sie sich nicht stellen.

Allerdings ist vollkommen unklar, worauf Zschäpe genau eingehen wird. Zwar verkündete Grasel, sie wolle zu allen Anklagepunkten Stellung nehmen – doch wie detailliert sie sich zu den einzelnen Punkten äußern will und ob sie manche nicht so pauschal wie möglich zurückweist, sagte er nicht. Zschäpe könnte gestehen oder bestreiten, am 4. November 2011 das Haus des NSU in Zwickau angezündet zu haben, in dem auch eine geh- und hörbehinderte Frau lebte. Wegen der Brandstiftung wird Zschäpe zusätzlich versuchter Mord vorgeworfen. Die drei Altanwälte hatten bislang angedeutet, sie habe die Nachbarin durch ein Klingeln an der Tür gewarnt.

Macht Zschäpe tatsächlich reinen Tisch? Äußert sie sich auch umfassend zum Zusammenleben mit den beiden Uwes? War sie in die Mordpläne eingeweiht? Sagt sie, wer der Terrorzelle half und Waffen beschaffte, ob es Kontakte zum Verfassungsschutz gab? Es gibt etliche Fragen, die insbesondere die Nebenkläger gern stellen würden.

„Überraschen würde mich, wenn sie wirklich Ross und Reiter benennen würde“, sagt der Opferanwalt Stephan Kuhn, der Betroffene aus der Kölner Keupstraße vertritt, wo 2004 ein Bombenanschlag verübt wurde. Er glaubt allerdings, dass es der Angeklagten eben nicht darum geht, zur Aufklärung der NSU-Serie beizutragen. Es handle sich wohl um den „letzten Versuch, Punkte zu sammeln“, sagt Kuhn.

Dass dies gelingt, ist in höchstem Maße unwahrscheinlich. Denn wenn Zschäpe weiter schweigen würde, darf ihr das nicht zum Nachteil ausgelegt werden. Sollte sie sich jedoch rosinenartig einige wenige Punkte heraussuchen, zu denen sie aussagt, geriete sie in arge Schwierigkeiten: Juristen sprechen dann von einer Teileinlassung oder einem Teilschweigen – einem Verhalten, das vor Gericht negativ gewertet wird.

Dann könnte Zschäpe endgültig die Höchststrafe für sich selbst besiegeln.