Beate Zschäpe hat erneut im NSU-Prozess ausgesagt – und Unterstützer des NSU benannt. Ein anderer Angeklagter scheint unterdessen die Hoffnung verloren zu haben.
So sieht es also aus, wenn Juristen die Panik ergreift: Es wird erst laut, dann erbittet man sich sehr schnell eine Pause vor Gericht, um auf die Schnelle einen Antrag vorzubereiten. Befangenheitsanträge gegen die Richter sind die Strohhalme des Strafprozesses – Verteidiger greifen besonders gerne danach, wenn der Weg zu einem harten Urteil längst geebnet ist.
Ein Stimmungsbild, das für den Münchner NSU-Prozess derzeit bezeichnend ist – konzentriert auf diesen Tag, an dem Beate Zschäpe ein zweites Mal aussagen wird. Sie wird auf den Fragenkatalog des Gerichts eingehen, der sich aus ihrer ersten Aussage im Dezember ergeben hatte.
Ihrer Einlassung voraus geht allerdings zunächst ein unrühmlicher Abstieg in das Dickicht der deutschen Strafprozessordnung, gepaart mit reichlich Heißsporn. Verantwortlich sind die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben.
Als am Vormittag ein Ermittler des Bundeskriminalamts aussagt und seine Angaben mit persönlichen Einschätzungen garniert, fordert Wohllebens Verteidiger Wolfram Nahrat, Richter Manfred Götzl solle den BKA-Mitarbeiter auf seine Zeugenpflicht hinweisen. Dieser müsse seine Erinnerungen neutral wiedergeben. Als Nahrat nach Götzls Antwort noch etwas erwidern will, stoppt ihn der Richter: „Sie haben nicht das Wort.“ Ein Wortgefecht beginnt, Nahrat verzichtet schließlich auf die Eingabe.
Sein Kollege Olaf Klemke bittet daraufhin um eine Pause von zwei Stunden – es werden drei –, um einen Befangenheitsantrag gegen Götzl vorzubereiten: Der Prozessverlauf sei für ihn bereits festgelegt, Verteidiger bekämen einen Maulkorb, Götzl fühle sich immer gleich persönlich angegriffen.
Nach der halbstündigen Mittagspause kommt völlig überraschend ein zweiter Antrag, diesmal vorgetragen von Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders. Er richtet sich gegen Richterin Michaela Odersky, ein weiteres Mitglied der Richterriege. Sie habe bei dem soeben vorgetragenen Antrag das Gesicht verzogen, indem sie „den linken Mundwinkel hochzog und geringschätzig lächelte“, trägt Schneiders vor. Damit sei erwiesen, dass Odersky die Verteidiger nicht als gleichrangige Organe der Rechtspflege sehe.
Es ist ein Argument, das in seiner Einfalt selbst die konstruiertesten Befangenheitsanträge aus der Vergangenheit noch unterbietet. Haben Wohllebens Verteidiger begriffen, dass ihr Mandant im Dezember mit seiner eigenen, nur punktuell glaubhaften Aussage keinen Boden gutgemacht hat? Richten sie all ihre Kraft auf eine Revision vor dem Bundesgerichtshof? Die einzig andere mögliche Erklärung für derlei Scharmützel ist ein ausgeprägter Lagerkoller im NSU-Prozess.
Erst nach stundenlangem Warten folgt schließlich die zweite Aussage der Hauptangeklagten Zschäpe. Wie beim ersten Mal lässt sie ihre Erklärung von ihrem Anwalt vortragen. Diesmal ist es ihr neuer Verteidiger Hermann Borchert, der die Antworten vom Blatt abliest – und sie gehen überraschend tief: So bestätigt Zschäpe, dass Jan W., Mitglied der rechtsextremen Gruppe Blood & Honour, dem NSU eine Pistole lieferte. Das habe ihr Uwe Böhnhardt erzählt. Von Uwe Mundlos habe sie erfahren, dass ein Geschäftsinhaber namens Hermann ihnen eine Pumpgun beschafft habe – vermutlich handelt es sich um den Zwickauer Hermann S. Sowohl gegen S. als auch W. läuft noch ein Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft.
In einer Aufzählung nennt Zschäpe weitere Namen von Unterstützern – insbesondere den des Mitangeklagten André E.: Er habe Mundlos und Böhnhardt seine Krankenkassenkarte zur Verfügung gestellt, damit sie zum Arzt gehen konnten. Auch dieser Vorwurf steht in der Anklageschrift. Für E., der als letzter verbliebener Angeklagter konsequent schweigt, könnte damit allerdings der Druck steigen, auszusagen. Zumal damit einmal mehr belegt ist, wie eng der Kontakt zwischen E., seiner Frau Susann und Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt war.
Zschäpe bestätigt, dass E. sie in Zwickau abgeholt hat, kurz nachdem sie ihre dortige Wohnung in Brand gesteckt hatte. Ihre Kleidung habe nach Benzin gerochen, E. habe sie zu sich nach Hause genommen und ihr neue gegeben. Zudem habe sich zwischen ihr und seiner Frau eine enge Freundschaft entwickelt. Bei ihren Treffen waren meist die Kinder des Paars dabei. „Sie taten mir gut, weil ich keine eigenen Kinder bekommen konnte“, liest Borchert vor.
Mit Mundlos und Böhnhardt – während der 13 Jahre im Untergrund ihre Mitbewohner – sei es indes nicht immer rund gelaufen: Zwar habe sie Böhnhardt geliebt, während Mundlos für sie wie ein Bruder gewesen sei. Doch es gab Spannungen: Böhnhardt habe ihr nicht vertraut, weil er vermutete, dass sie im Falle einer Festnahme „singen würde“. Dahinter stand offenbar Böhnhardts panische Angst, noch einmal inhaftiert zu werden – während einer Jugendstrafe wurde er im Gefängnis Opfer körperlicher und sexueller Gewalt.
Später habe er daher den Entschluss gefasst, sich vor einer Festnahme das Leben zu nehmen. Das gleiche habe Uwe Mundlos geplant, der sein Leben als „verkackt“ ansah, weil er mit der Flucht in den Untergrund die Chance auf ein Studium und eine bürgerliche Existenz verspielt hatte – „das war für ihn abgehakt“.
Der NSU finanzierte sein Leben durch Raubüberfälle. Zschäpe sagt heute, sie sei finanziell und emotional von Mundlos und Böhnhardt abhängig gewesen. Für Planung und Durchführung sei sie nicht gebraucht worden. „Das galt für Raubüberfälle wie auch für Morde und Anschläge“, heißt es in dem Schriftsatz explizit – es ist wohl der Kernsatz ihrer Aussage.
Mundlos und Böhnhardt seien regelmäßig für ein bis zwei Wochen weggefahren, ohne ihr zu sagen, wohin. In der Zeit habe sie sich mit Sekt betrunken. Wenn die beiden anwesend waren, habe sie ihr Alkoholproblem diskreter gehandhabt.
Zum Schluss betont Borchert noch einmal ausdrücklich, dass Zschäpe keine Fragen der Bundesanwaltschaft oder von Nebenklägern beantworten wolle – weitere Nachfragen von Richter Götzl sind so zumindest nicht ausgeschlossen. Weil Zschäpe keine neuen Ansätze zur Aufklärung des NSU-Komplexes geliefert hat, dürfte sich das auf der Zielgerade befindliche Verfahren nicht verlängern. Für die offenbar gereizten Anwälte von Ralf Wohlleben ist das vermutlich die einzig gute Nachricht.