Als sich die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt 2011 in einem Wohnmobil erschossen, hinterließen sie etliche Beweisstücke. Was die Ermittler fanden, erzählt heute vom Leben der Terrorzelle.
Am Vormittag des 4. November 2011, der der Tag des Auffliegens der NSU-Terrorzelle werden sollte, hatten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Sparkasse am Nordplatz in Eisenach überfallen. Mit einem Wohnmobil flüchteten sie in das Wohnviertel Stregda, wo sie von einer Polizeistreife gestellt wurden. Sie feuerten mit einer Maschinenpistole auf die beiden Polizisten, dann legten sie im Inneren des Wohnmobils Feuer und erschossen sich selbst.
Kurze Zeit darauf brach ein weiteres Feuer aus, und zwar in der gemeinsamen Wohnung der mutmaßlichen Rechtsextremisten in Zwickau. Beate Zschäpe soll es gelegt haben. Auf das Konto des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gehen nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle.
Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer stehen deshalb in München vor Gericht. Am Mittwoch sagen im NSU-Prozess zwei Ermittler aus, die einen Großteil der Asservate im Wohnmobil bargen. Weitere Beweise holten Beamte der Bereitschaftspolizei aus dem niedergebrannten Haus in Zwickau – doch bereits die Gegenstände aus dem Wohnmobil erzählen das Leben und die Verbrechen des NSU-Trios. Die beiden Uwes hatten das Fahrzeug Ende Oktober 2011 für zwei Wochen angemietet, dann sogar noch um eine weitere Woche verlängert.
Die Beute aus dem Eisenacher Überfall, 71.950 Euro, lag in der Plastiktasche eines Discounters. Auf der Matratze unter dem Dach lagerten noch Scheine aus dem vorigen Überfall von Mundlos und Böhnhardt auf eine Sparkasse im thüringischen Arnstadt, zusammengehalten von Banderolen. Damit verdichtete sich zum Ende hin die Serie von Überfällen, mit denen der NSU seinen Lebensunterhalt finanzierte: 15-mal stürmten die beiden Männer Supermärkte, Post- und Sparkassenfilialen. Insgesamt erbeuteten sie mehr als 600.000 Euro.
Mit einem sogenannten Funkscanner, gefunden in einem Fach gegenüber der Eingangstür, konnten die Täter den Polizeifunk abhören. Vermutlich war dies der Grund, weshalb die beiden in dem Wohngebiet darauf warteten, dass die Polizeileitstelle die Ringfahndung an den Eisenacher Ausfallstraßen auflöste.
Auf dem Tisch, der Sitzbank, auf dem Herd und unter dem Kühlschrank entdeckten die Ermittler ein regelrechtes Waffenarsenal: die Maschinenpistole vom Typ Pleter, mit der Mundlos und Böhnhardt auf die Polizisten geschossen hatten – die Waffe hatte eine Ladehemmung. Zwei Revolver, eine Pistole, eine Handgranate. Zwei Pumpguns. Mit einer davon, Typ Winchester, erschoss Uwe Mundlos erst seinen Komplizen und dann sich selbst.
Offenbar hatten beide verstanden, dass es kein Entkommen mehr gab. Die beiden Uwes hatten Zschäpe gegenüber angekündigt, dass sie sich eher erschießen als verhaften lassen würden, wie die Angeklagte in ihrer Aussage vom Dezember vergangenen Jahres mitteilte. Die Feuerwehrleute, die das brennende Wohnmobil betraten, fanden zwei zusammengesunkene Leichen, der Boden war von ihrem Blut getränkt.
Zwei weitere Pistolen lagen auf dem Tisch und in der Nasszelle: Modell P2000 von Heckler & Koch – die Dienstwaffe der Polizei in Baden-Württemberg. Am Holster trugen sie einst die Polizisten Michèle Kiesewetter und Martin A., die gemeinsam in Heilbronn Streife fuhren. Am 25. April 2007 schlichen sich Mundlos und Böhnhardt während einer Pause der beiden auf einem Parkplatz von hinten an das Polizeiauto und feuerten auf die Köpfe der Beamten. Kiesewetter starb, A. überlebte schwer verletzt.
Die Waffen führten Mundlos und Böhnhardt wie Trophäen bei sich. Sie galten ihnen offenbar als Symbole eines Siegs über die Staatsmacht.
Stutzig machten die Kommissare Gegenstände aus der Fahrerkabine: eine Wasserpistole, ein Plüschbär, eine Puppe und ein Kinderschuh. Wem die Sachen gehörten, ist nicht geklärt. Bekannt ist, dass das Trio in Zwickau regelmäßig Besuch von ihrem Freund und Helfer André E., dessen Frau Susann und deren zwei Söhnen bekam. Gut eine Woche vor dem Überfall waren Zschäpe, Böhnhardt, Susann E. und einer ihrer Söhne mit demselben Wohnmobil nach Leipzig gefahren, um André E. im Krankenhaus zu besuchen – er war bei der Arbeit vom Dach gefallen. So gab es Zschäpe vor Gericht zu Protokoll.
An dem Schuh fand sich allerdings das Erbmaterial einer weiblichen Person, die den Ermittlern nicht bekannt ist. Nebenklageanwälte vermuten, dass es im NSU-Umfeld ein weiteres Kind samt zugehörigem Erwachsenen gab.
Auf den Namen des mutmaßlichen Unterstützers André E. war auch eine sogenannte Ostseecard ausgestellt, die die Kommissare aus einer braunen Tasche zogen. Es handelt sich um eine Rabattkarte für Ferienziele im östlichen Schleswig-Holstein. Dort, auf einem Campingplatz auf der Insel Fehmarn, machten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt von 2007 bis 2011 jeden Sommer Ferien. Urlaubsbekanntschaften, die später im Münchner Prozess aussagten, äußerten sich weniger bestürzt über die Taten, die den Terroristen zugeschrieben werden – sie waren vor allem enttäuscht und schockiert, dass die drei ihnen eine andere Identität vorgegaukelt hatten. Für sie waren die drei einfach gute Freunde.
In der Tasche im Wohnmobil lagen weitere Tarnpapiere. Auf den Namen Holger G. lauteten ein Reisepass, ein Führerschein, eine Krankenkassenkarte und sogar eine Meldebestätigung des Einwohnermeldeamts. G. sitzt heute wie E. gemeinsam mit Beate Zschäpe auf der Anklagebank. Seit 2001 ließ er Uwe Böhnhardt immer wieder seine Personalien nutzen – was er damit unterstützte, wusste er angeblich nicht.
Auch die Papiere anderer Rechtsextremer wurden in den Hinterlassenschaften des NSU gefunden. Ausgestattet mit falschen Identitäten mussten die drei, die nach einem Sprengstofffund in Beate Zschäpes Garage 1998 auf der Fahndungsliste standen, keine Polizeikontrollen fürchten.
Insgesamt waren es mehrere Hundert Asservate, die die Kommissare aus dem verrußten Fahrzeug bargen. Ihnen muss noch vor Ort in Eisenach klar geworden sein, dass sie es mit mehr zu tun hatten als mit gewöhnlichen Bankräubern.