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Gutachter nimmt Zschäpe die letzte Hoffnung

 

Im NSU-Prozess befindet ein Gutachter Beate Zschäpe für schuldfähig und empfiehlt die Sicherungsverwahrung. Für die Angeklagte gibt es kaum einen Ausweg mehr.

Für Beate Zschäpe war der NSU-Prozess dreieinhalb Jahre lang ein großes „eventuell“. Eventuell könnte sie der Mittäterschaft an zehn Morden für schuldig befunden werden, eventuell zu lebenslanger Haft und Sicherungsverwahrung verurteilt werden, eventuell erst als Greisin das Gefängnis verlassen – oder gar nicht mehr zu Lebzeiten.

„Eventuell“ ist dabei gedanklich stets in weiter Ferne, es ist bequem, beruhigend. Es könnte ja auch alles anders kommen.

Spätestens mit dem Gutachten des Psychiaters Henning Saß aber müssten sich bei der Hauptangeklagten solche verklärenden Gedankenspiele aufgelöst haben. Es wird ernst für die mutmaßliche Rechtsterroristin, die schwersten Befürchtungen drohen einzutreten: Saß hält Zschäpe für voll schuldfähig und empfiehlt die Sicherungsverwahrung.

Am Dienstag hatte er mit der Vorstellung seines ausführlichen psychiatrischen Gutachtens begonnen, am Mittwoch zieht er sein Fazit, nach dem Zschäpe in Freiheit wahrscheinlich weiter Straftaten begehen würde. Saß legt nahe, den Schutz der Gesellschaft durch Wegsperren der heute 42-Jährigen zu gewährleisten.

Der Psychiater erkennt bei Zschäpe einen sogenannten Hang zu kriminellen Handlungen. Sie könnte zu den Menschen gehören, in deren Persönlichkeit der Drang zu Straftaten tief verwurzelt ist.

Saß unterscheidet zwischen zwei Szenarien: In einem schenkt er der Aussage Zschäpes vom Dezember 2015 Glauben, in der sie sich als abhängige Mitläuferin ihrer Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt dargestellt hatte. Im anderen stützt er sich auf die Anklageschrift, die Zschäpe als Täterin mit eigenem Willen beschreibt.

Im ersten Fall sieht er keine sicheren Beweise für einen Hang, somit auch keine Grundlage für die Sicherungsverwahrung. Aus dem Gutachten geht jedoch praktisch von der ersten Seite an hervor, dass Zschäpe eine ganz andere Person ist als jene, die sie im Gericht zu präsentieren versuchte.

Aus Schilderungen von Zeugen und Beobachtungen aus dem Gericht schließt Saß nämlich auf einen Charakter „mit deutlichen dissozialen beziehungsweise antisozialen“ Zügen, in dem eine starke „kriminelle Energie“ ruht – auch wenn die Angeklagte die zehn NSU-Morde nicht eigenhändig beging, sondern als Mittäterin ihrer Komplizen beschuldigt ist. Zudem steckte sie am Ende die gemeinsame Zwickauer Wohnung in Brand, angeblich auf Wunsch von Mundlos und Böhnhardt. Ihre Schuldfähigkeit war dabei nicht beeinträchtigt – weder durch Alkohol noch durch eine psychische Störung, für die Saß keine Anzeichen sieht.

Für das Urteil in Betracht kommt damit eigentlich nur noch Szenario zwei – ein Fall, in dem Saß von einem „tief eingeschliffenen inneren Zustand“ ausgeht. Sorgfältig zählt er acht verschiedene Kriterien auf, die auf einen Hang schließen lassen – wie eine Zuweisung der Schuld nach außen, eine „Integration in eine kriminelle Subkultur“ oder fehlende Reue. Sieben der acht Merkmale sieht er bei Zschäpe als erfüllt an.

Somit müsse mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass bei entsprechenden Möglichkeiten eine Fortführung ähnlicher Verhaltensweisen angestrebt wird“. Sprich: Zschäpe bleibt gefährlich – selbst ohne ihre verstorbenen Komplizen, weil sie während der gemeinsamen Zeit im Untergrund mitbestimmte, statt sich von Mundlos und Böhnhardt leiten zu lassen.

In der detaillierten Analyse, zu der Zschäpes Verteidiger in der kommenden Woche Nachfragen an den Gutachter stellen können, weisen alle Zeichen in Richtung einer Sicherungsverwahrung. Die können die Richter verhängen, wenn sie die Angeklagte für schuldig befinden und zu einer Gefängnisstrafe verurteilen. In Frage kommt wegen der Mittäterschaft am Mord die lebenslange Haft. Nach deren Ende würde die Verwahrung folgen. Weder für die Strafe noch für die Sicherungsmaßregel gibt es Obergrenzen bei der Dauer.

Um die Chance auf eine Entlassung zu haben, müsste sich Zschäpe einer Therapie unterziehen. Dabei hätte sie viel Arbeit vor sich. Nach Saß‘ Prognose würde die heute 42-Jährige viele Jahre benötigen, um in einer Gesprächstherapie ihre Biografie und die Taten aufzuarbeiten. Zudem müsse sie sich von ihrer politischen Ideologie lösen. Das allerdings war im Prozess nicht einmal ansatzweise zu erkennen, abgesehen von einer durch Zschäpe selbst verlesenen Erklärung, die passgenau von ihren Anwälten souffliert schien.

Schwierig findet der Sachverständige, dass Zschäpe so lange mit Mundlos und Böhnhardt im Untergrund zusammengelebt hatte – rund 13 Jahre zwischen 1998 und 2011. Was die drei damals zusammengeschweißt hatte, sei nun „tief in der Persönlichkeit verankert“. Es könnte die Angeklagte daran hindern, sich wieder zu einem funktionierenden Mitglied der Gesellschaft zu entwickeln.

Zschäpe müsste sich hinter Gittern so weit öffnen, wie es sich Angehörige der NSU-Opfer im Prozess von ihr erhofft hatten. Die späte Reue wäre für sie der wohl einzige Weg in die Freiheit. Eventuell.