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Bis Richter Götzl brüllt

 

Wegen des psychiatrischen Gutachtens über Beate Zschäpe könnte es noch eine harte Debatte geben.

Auf der Gutachterbank im Münchner NSU-Prozess, nur wenige Meter von der Anklagebank entfernt, sitzen Henning Saß und Pedro Faustmann nebeneinander. Beide Psychiater, beide aktiv im Betrieb der klinischen Forschung. Freunde werden sie sicherlich nicht. Erst recht nicht in diesem Verfahren.

Das liegt daran, dass Faustmann die Arbeit seines Kollegen Saß – natürlich auf rein wissenschaftlicher Ebene – als plump, fahrig und stümperhaft bezeichnet hat. Saß‘ Arbeit, das war die Begutachtung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe im Auftrag des Gerichts. Er attestierte ihr einen Hang zu Straftaten und legte somit die Verhängung der Sicherungsverwahrung gegen sie nahe, zudem stufte er sie als schuldfähig ein.

Vor zwei Wochen hatte Faustmann– der nicht vom Gericht, sondern von Zschäpes drei Altanwälten beauftragt wurde – sein sogenanntes methodenkritisches Gutachten vorgelegt. Diese Woche nun beantwortete er Fragen der Prozessbeteiligten. Die Meinung des Bochumer Psychiaters war auch deshalb mit Spannung erwartet worden, weil er mit Saß eine Koryphäe auf dem Gebiet der Straftäter-Begutachtung einer Prüfung unterzog. Saß hat die Kriterien für Einschätzungen dieser Art mitentwickelt, sein Wort hat Gewicht.

Bei den Aussagen Faustmanns und Saß‘ geht es um nicht weniger als die Deutungshoheit über Zschäpes Gemüt, und auch darum, gegen Ende des Prozesses noch irgendeine Gegenwehr aufbieten zu können. Das ist aber nicht so einfach. Vor Gericht zeichnete sich ab, dass in der Gutachtenfrage auch noch eine Debatte zwischen den beiden Psychiatern ansteht.

Faustmann wirft seinem Kollegen Saß vor, er habe wissenschaftliche Standards verletzt und falsche Diagnoseinstrumente angewandt. Sein Hauptkritikpunkt bezieht sich auf die Prognose, welche Gefahr von Zschäpe ausgeht. Saß habe Zschäpe als geistig gesund eingestuft, ihre Persönlichkeit aber anhand von Kriterien für psychisch Kranke bewertet.

Richter Manfred Götzl fragt immer wieder detailliert nach, lässt sich jedes Detail von Faustmann erklären. Besonders empört ist Faustmann, weil Saß aus einer Checkliste für Psychopathen nur einzelne Punkte herausgegriffen habe, anhand derer er Zschäpe eingeschätzt habe. „Das geht gar nicht“, sagt der Psychiater, es handle sich um eine „missbräuchliche Nutzung“.

Zwischenzeitlich meldet sich Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer zu Wort. Er ist der Meinung, Götzl frage nur so detailliert nach, weil er das kritische Gutachten in Misskredit bringen wolle. Daraufhin wird es so laut im Gerichtssaal, wie es dieser Prozess nur selten erlebt hat: Götzl beschwert sich, Heer falle ihm wiederholt ins Wort. Der antwortet: „Sie fallen mir seit vier Jahren ins Wort!“ Der Richter warnt Zschäpes Anwalt, „nicht unverschämt“ zu werden. Doch Heer macht so lange weiter, bis Götzl ihn anbrüllt. Erst dem Mitverteidiger Wolfgang Stahl gelingt es, halbwegs sachlich den Eindruck zu formulieren, „dass der Vorsitzende ganz massiv für das Gutachten von Prof. Saß streitet“.

Tatsache ist, dass das Gericht von Anfang an der Meinung war, ein Gutachter reiche aus, um ein verlässliches Bild über Zschäpes Seelenleben abzugeben. Zschäpe sprach zwar nie mit Saß, dieser beobachtete sie aber am Großteil der Verhandlungstage im Sitzungssaal, wertete ihre Biografie und die Zeugenaussagen aus. Erst dem von ihren neuen Verteidigern beauftragten Gutachter Joachim Bauer öffnete sich Zschäpe im Gespräch.

Einen Eindruck von überbordendem Interesse an den Erkenntnissen der anderen Sachverständigen erweckten die Richter zu keiner Zeit – zumal ihnen das Saß-Gutachten offenkundig schlüssig und vollständig erschien. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Ansicht von Faustmann getrübt wurde. Zumal noch am selben Tag Gegenstimmen laut werden: Der Nebenklageanwalt Sebastian Scharmer teilt mit, dass in wesentlichen Kritikpunkten „sämtliche renommierten Sachverständigen anderer Meinung“ seien.

Am Schluss der Vernehmung geht das Fragerecht an Saß selbst. Doch der hat nichts, was er seinen Kollegen fragen will. Er kündigt stattdessen eine Stellungnahme an. Die Kritik will er nicht auf sich sitzen lassen.