Der Angeklagte André E. war von Anfang bis Ende der engste Vertraute des NSU. Im Plädoyer der Anklage wird deutlich: Der schweigende Helfer wusste genau, worum es ging.
Der Wasserschaden in der Zwickauer Polenzstraße war enorm. Sogar im Badezimmer der Wohnung darunter tropfte es rein, damals im Dezember 2006. Weil der Verdacht umging, ein Hausbewohner hätte den Schaden absichtlich verursacht, kam die Polizei und lud Nachbarn zur Vernehmung ins Präsidium. Da wurden die drei Mieter der Erdgeschosswohnung, an deren Klingelschild der Name Dienelt stand, unruhig: Zur Vernehmung muss man einen Personalausweis mitbringen. Aber so etwas hatte keiner von ihnen. Sie waren die untergetauchten Rechtsextremisten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.
Doch zum Glück gab es ihren alten Freund André E. Der heute 38-Jährige sitzt als Mitangeklagter im NSU-Prozess. Er soll Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos bei ihrem Leben im Untergrund und ihren Taten unterstützt haben. Wie das vonstattenging, legt Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten im Plädoyer der Bundesanwaltschaft dar. Nach rund einem Monat Sommerpause widmet er sich fast den ganzen Prozesstag lang dem kleinen, fast am ganzen Körper tätowierten Mann, der seit Verfahrensbeginn schweigend im Saal sitzt.
Bei der Sache mit dem Wasserschaden war Andre E. die Lösung: Zschäpe stellte sich der Polizei als E.s Frau Susann vor und wurde auf die Wache einbestellt. André E. begleitete sie, den Personalausweis seiner echten Frau hatte er selbstverständlich dabei. Die Anonymität des NSU, der zu dem Zeitpunkt bereits neun Morde begangen hatte, blieb gewahrt.
Wie konnte es gelingen, der Polizei so unverfroren eine Tarngeschichte aufzutischen? Für die Bundesanwaltschaft ist klar: E. war ein enger Vertrauter und genauestens eingeweihter Helfer. Auf ihn konnten sich die drei im Untergrund Lebenden verlassen. „Er war ganz dicht dran am NSU und dem, was er tat“, sagt Weingarten.
E. lernte die drei kennen, kurz nachdem sie 1998 wegen eines Sprengstofffunds in Zschäpes Garage abgetaucht waren. Und auch am Schluss, als sich Mundlos und Böhnhardt am 4. November 2011 nach einem misslungenen Banküberfall selbst töteten, war er zur Stelle: Er holte Zschäpe mit dem Auto ab, gab ihr frische Kleidung von seiner Frau und brachte sie zum Bahnhof.
Während der 13 Jahre im Untergrund war E. laut Bundesanwaltschaft für die drei „eine Art Wahlverwandtschaft“. Zschäpe habe seine Kinder wie ihre eigenen behandelt, weil sie selbst keine bekommen konnte. Die Verbundenheit dankte sie ihm unter anderem damit, dass sie seiner Familie eine Reise ins Disneyland Paris spendierte.
Eine der ersten konspirativen Wohnungen des NSU in Chemnitz mietete E. auf seinen Namen. Kurz nach dem Auszug der drei mietete er auch Wohnmobile: zweimal Ende 2000, ein weiteres Mal 2003. Die Zeiträume passen genau zu zwei Banküberfällen des NSU und zu dem ersten Bombenanschlag auf ein Kölner Geschäft, bei dem die Tochter des Inhabers schwer verletzt wurde. Er ist deshalb unter anderem wegen Beihilfe zum versuchten Mord angeklagt, die anderen Anklagepunkte lauten auf Beihilfe zum Raub und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Dass E. selbst die Fahrzeuge mietete, ist für die Anklagebehörde erwiesen. Er sah den NSU-Männern nicht ähnlich genug, um Tarndokumente mit seinem Namen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fanden sich auf der Auftragsbestätigung einer Vermietungsfirma seine Fingerabdrücke.
E. war völlig klar, wen er unterstützte, und ahnte daher auch, dass er Mördern bei ihren Taten und beim Leben im Untergrund half, argumentiert die Bundesanwaltschaft. Während er sich durch sein Schweigen im Prozess nahezu unbemerkt gemacht hatte, hebt das stringente Plädoyer seine Rolle als Helfer deutlich hervor. Bei der Forderung nach dem Strafmaß dürfte es sehr unangenehm für ihn werden.
Im Laufe des Vortrags nimmt Weingarten immer mehr Fahrt auf: Man könne doch nicht glauben, dass E. all die Jahre „neben Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hertrottet“ und sie nie frage: „Warum lebt ihr eigentlich noch im Untergrund und wovon lebt ihr?“ Auch sei er in die „Exit-Strategie“ des NSU eingeweiht gewesen, und habe am 4. November 2011 sofort bereitgestanden, um Zschäpe zu helfen. Weingarten: „Es ist doch unglaubwürdig, dass er auf ein lapidares ‚André, fahr schon mal den Wagen vor‘ alles stehen und liegen lässt und durch die halbe Stadt fährt.“
Schließlich gab es noch das, was für Weingarten nicht weniger als „ein Geständnis“ ist: Bei einer Durchsuchung der Zwickauer Wohnung von Familie E. im April 2013 entdeckten Polizisten eine Art Schrein mit Kohlezeichnungen der verstorbenen Mundlos und Böhnhardt. Die Porträts waren ergänzt mit dem Schriftzug „unvergessen“. Damit habe E. gezeigt, dass er sich von den Männern nicht etwa betrogen und als Werkzeug missbraucht gefühlt habe, sondern stattdessen noch „Heldenverehrung“ betrieben habe.
Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft nähert sich damit dem Ende. Am Donnerstag störten Aktivisten den Prozess mit Zwischenrufen und warfen Konfetti in den Verhandlungssaal. Justizbeamte führten sie heraus. Nächster Komplex im Schlussvortrag ist der Angeklagte Holger G. Der 43-Jährige soll dem NSU Dokumente wie Reisepass, Führerschein und Krankenkassenkarten überlassen haben. Die Ausweise nutzte der NSU etliche Male, um Autos und Wohnmobile zu mieten. Weingarten sagte, die Anklage habe sich auch gegen G. „in vollem Umfange“ bestätigt.