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Erinnerungslücken werden Folgen haben – Das Medienlog vom Donnerstag, 3. Juli 2014

 

Der NSU-Zeuge Enrico T. hat derzeit viel Ärger am Hals: Gegen ihn besteht der Verdacht, an einem Kindermord beteiligt gewesen zu sein, er soll bei der Beschaffung der Mordwaffe Ceska 83 geholfen haben – und nun droht ihm ein Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage. Bei seiner Vernehmung am Mittwoch antwortete T. wie bei seinem ersten Gerichtstermin immer wieder, er könne sich an nichts erinnern. Das werteten viele Prozessbeteiligte als Lüge. „Sein heutiger Auftritt vor Gericht wird für Enrico T. definitiv Konsequenzen haben“, folgert Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk.

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T. sagte demnach, ihm sei entfallen, wie er an einen von zwei sogenannten Schießkugelschreibern gekommen war – eine Waffe, aus der sich scharfe Munition verschießen lässt. Zudem gab er an, nach seiner ersten Vernehmung im April zu seinem Freund Hans-Ulrich M. in die Schweiz gefahren zu sein. Dieser soll ebenfalls an dem Waffenschmuggel beteiligt sein. Bei dem Treffen will er jedoch nicht über den Prozess gesprochen haben. „Das glaubte ihm niemand im Gerichtssaal“, bilanziert Aßmann. Die Bundesanwaltschaft beantragte, Teile von T.s Zeugenaussage zu protokollieren.

Für Martin Debes von der Thüringer Allgemeinen ist T. „ein völlig verstockter Zeuge“, angesichts der Vernehmung spricht er von „vier fruchtlosen Stunden“. Auch in anderen Punkten sei die Aussage auffällig gewesen: So hatte sich T. 2012 vor Polizisten noch als „Bindeglied“ zwischen zwei Beteiligten des Waffendeals bezeichnet, nun habe er davon nichts mehr wissen wollen. Auch an Details zu den Umständen des ihm vorgeworfenen Kindermords fehlte ihm nach eigenen Angaben das Gedächtnis.

Claudia Wangerin von der Jungen Welt findet es bemerkenswert, dass T. sich angeblich nicht an den Fall erinnern kann, den er der Polizei unaufgefordert mitgeteilt hatte. T. brachte bei der polizeilichen Befragung Uwe Böhnhardt als möglichen Mörder eines neunjährigen Jungen ins Spiel. „Dass wieder jemand aus dem früheren Umfeld der mutmaßlichen NSU-Terroristen unglaubliche Erinnerungslücken vorschützt, ist schon Routine im Prozess“, schreibt Wangerin.

„Sogar bei Begebenheiten, die nur wenige Wochen zurückliegen, beruft sich Enrico T. auf sein schlechtes Gedächtnis“, notiert Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung. Der Autor weist darauf hin, dass T. bereits einmal wegen Falschaussage verurteilt worden war: „Im Nicht-Mitteilen hat Enrico T. großes Talent, das zumindest hat er vor Gericht gezeigt.“

Ein weiteres Thema des 122. Prozesstags: die polizeiliche Vernehmung des Zeugen Thomas S., der im Prozess die Aussage verweigert hatte. Ein BKA-Beamter, der den Zeugen seinerzeit befragt hatte, berichtete von Details aus dessen Aussage: Demnach hatte er gesagt, dass die rechtsextreme Organisation Thüringer Heimatschutz für das Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt für das Trio den „Lebensinhalt“ dargestellt habe. Das berichtet die Nachrichtenagentur dpa.

Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 4. Juli 2014.