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Ermittler zögern, Nazis flüchten

 

Im Januar 1998 ergriff das NSU-Trio die Flucht. Im Prozess schildert ein Beamter des LKA, wie die Staatsanwaltschaft Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt durch Untätigkeit ziehen ließ.

Ein roter Koffer mit einem großen Hakenkreuz darauf, im Inneren zehn Gramm Sprengstoff und Schwarzpulver: Es war eine eindeutige Nachricht, die die Täter im September 1997 auf dem Vorplatz des Jenaer Theaters hinterlassen hatten. Rechtsextremismus gepaart mit Gewalttaten – dass so etwas unmittelbar bevorstand, sollte eine Reihe von Bombenattrappen zwischen 1996 und 1997 den Bürgern von Jena klarmachen. Hinter der Aktion stand, davon ist die Anklage im NSU-Prozess überzeugt, das Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt.

Am ersten Tag nach der einmonatigen Sommerpause beschäftigt sich das Münchner Oberlandesgericht mit den Aktionen, durch die der NSU Angst verbreiten wollte – und erahnen ließ, wozu es später einmal kommen würde. Zweimal soll die Gruppe in Köln Bomben gezündet und damit rund zwei Dutzend Menschen verletzt haben.

In den neunziger Jahren befasste sich der Kommissar Jürgen Dressler vom Thüringer Landeskriminalamt mit den Drohungen, an diesem Tag ist er als Zeuge geladen. Dressler wurde damals in der „Ermittlungsgruppe Tex“ eingesetzt, um das einschüchternde Gebaren aufzuklären – seine Arbeit führte dazu, dass die sich formierende Gewaltzelle 1998 in den Untergrund flüchtete.

Mit seiner Truppe hatte er reichlich zu tun: 1996 soll Uwe Böhnhardt eine Puppe über einer Autobahnbrücke aufgehängt haben, versehen mit der Warnung vor einer Bombe. Zum Jahreswechsel zwischen 1996 und 1997 verschickte das Trio Briefbombenattrappen aus Styropor an die Stadtverwaltung, die Polizei und eine Zeitung. Später im Jahr folgten die berüchtigten Koffer. „Dass die Täter im rechtsgerichteten Kreis zu suchen waren, war ja nicht so schwer zu verstehen“, sagt Dressler.

Rohrbomben und Spiritus in der Garage

Auch einen Verdacht hegte er damals: Uwe Böhnhardt, der wegen der Aktion mit der Puppe verurteilt, später jedoch in Revision freigesprochen wurde. Doch Dressler brauchte Beweise. Die lieferte ihm der Thüringer Verfassungsschutz. Nachdem die LKA-Beamten erfolglos Observationen durchgeführt hatten, sprang der Geheimdienst ein – und beobachtete Böhnhardt und Mundlos, wie sie Spiritus und Gummiringe kauften und damit zu einer Garage fuhren. Das Observierungsprotokoll stuften die Verfassungsschützer als geheim ein, ließen es Dressler jedoch für seine Ermittlungen nutzen.

Am 26. Januar 1998 schlugen die Fahnder zu. Sie durchsuchten die Wohnung, in der Uwe Böhnhardt mit seinen Eltern lebte, seine Garage und sein Auto, zudem die Garage, in der er den Spiritus gelagert hatte. Sie war auf den Namen Beate Zschäpe gemietet. Noch während der Durchsuchung fuhr Böhnhardt in seinem Auto davon, unter den Augen des Einsatzleiters.

In der anderen Garage wurden die Beamten fündig: Dort lagen mehrere Rohrbomben, teils noch im Bau, gefüllt mit dem Sprengstoff TNT. Was sich noch fand, lieferte Aufschluss über die Betreiber der Bombenwerkstatt: Neben einer Diskette, auf der das Gedicht „Alidrecksau wir hassen dich“ gespeichert war, lag der Reisepass von Uwe Mundlos.

Damit standen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt unter dringendem Tatverdacht. Dresslers Truppe war sich sicher, einen Fall aufgeklärt zu haben – mit einem Schönheitsfehler: Die Verdächtigen liefen noch frei herum, einen Haftbefehl hatten die Fahnder nicht in der Hand. Mit Mühen beschafften sie sich bei der Staatsanwaltschaft in Gera die Anordnung, die Wohnungen von Zschäpe und Mundlos zu durchsuchen und alle drei festzunehmen.

Doch der Fahndungseifer kam zu spät, das Trio war untergetaucht. Die Anordnung zur Festnahme widerrief die Staatsanwaltschaft am folgenden Tag. „Für uns war das ein nicht wirklich tragbarer Zustand“, sagt Dressler.

Staatsanwaltschaft bewahrt Ruhe

Wahrscheinlich hatte Böhnhardt bei seinen Kameraden Alarm geschlagen. Doch die Flucht schien bei der Staatsanwaltschaft keine Unruhe auszulösen. LKA-Mitarbeiter und Staatsanwälte trafen sich am 27. Januar. Die Strafverfolger teilten mit, sie wollten keinen Haftbefehl gegen die Geflüchteten beantragen, weil ihnen die Indizien nicht eindeutig genug waren.

So schwelte die Suche vor sich hin. Das LKA musste Indizien nachliefern. Dressler wandte sich an den Verfassungsschutz, damit dieser die Geheimhaltungsstufe des Observationsberichts herabstufte. Das geschah. Die Staatsanwälte ließen sich am 28. Januar überzeugen, beim Amtsgericht Jena doch noch einen Haftbefehl zu beantragen – nach zwei Tagen, in denen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt tief in die Anonymität hatten abtauchen können. Bis sich die drei im November 2011 selbst enttarnten, konnte die Polizei sie nicht ausfindig machen.

Einen Neuanfang wagten Dresslers Leute im Jahr 2002, als das Bundeskriminalamt seine Unterstützung anbot – verlangte dafür jedoch die Unterstützung der Staatsanwaltschaft. Vor den Augen der Beamten wiederholte sich das Schauspiel von vor vier Jahren: Weil Anhaltspunkte fehlten, winkten die Staatsanwälte ab.