Propagandamaterial, verdächtige Briefe: Beim mutmaßlichen NSU-Helfer André E. fanden Ermittler etliche Indizien. Zschäpes Verteidiger belasten unterdessen womöglich ihre eigene Mandantin.
Für Susann E. und ihren Bekannten war es ein unsanftes Erwachen, als Bundespolizisten am 24. November 2011 um 6.30 Uhr die Tür von E.s Zwickauer Wohnung auframmten. Sie fanden E. und ihren Besucher auf dem Sofa im Wohnzimmer. Ermittler des Bundeskriminalamts waren mit einem Durchsuchungsbeschluss ins Haus gekommen – der Hausherr André E. sollte ein Unterstützer der Terrorzelle NSU sein, der Gruppe, die sich knapp drei Wochen zuvor selbst enttarnt hatte.
Die Polizisten suchten Beweise für einen schwerwiegenden Verdacht: E. soll die Gruppe aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unterstützt haben, indem er Wohnmobile mietete und ihnen eine Kundenkarte der Deutschen Bahn auf seinen Namen zur Verfügung stellte – so konnten die beiden Männer zum Morden unerkannt durch die Republik reisen. Wegen der Vorwürfe sitzt E. auf der Anklagebank neben Zschäpe.
Was das Wühlen im Besitz des Verdächtigen damals ergab, ist an diesem Dienstag Thema im NSU-Prozess. Drei BKA-Beamte berichten von den Maßnahmen, bei denen E. selbst nicht daheim war. Spezialkräfte nahmen ihn zur selben Zeit im Haus seines Zwillingsbruders in Brandenburg fest. Auch die Wohnung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben wurde am 24. November 2011 durchsucht. Beim Ehepaar E., das zwei Kinder hat, fanden die Ermittler zunächst Hinweise, die dessen rechte Einstellung bekundeten.
Sie stießen auf Laptops, einen Computer und etliche Festplatten, die überquollen mit Propagandamaterial, rechten Liedern und Videos. Im Schlafzimmer fand sich eine Dose mit der Aufschrift „Nationale Sozialisten Zwickau“, darunter „spendet für: Propaganda und Schulung“. Ob und wo die Spendenbüchse zum Einsatz kam, ist unklar.
Doch sie birgt einen Hinweis auf weitere Verflechtungen: Die Nationalen Sozialisten bildeten in Zwickau ein Netzwerk, das mit teils gewalttätigen Kundgebungen in der Stadt auf sich aufmerksam machte. Anführer der Truppe war der Neonazi Daniel P., der einem Zeitungsbericht zufolge das NSU-Trio gekannt haben soll.
Noch enger verbunden war den dreien Familie E. selbst. Sie soll ihnen jede Woche einen Besuch abgestattet haben. Dass dabei auch einmal eine Karte der Bahn übergeben wurde, lag nach der Durchsuchung nahe: Ebenfalls im Schlafzimmer lag ein Brief des Unternehmens.
Das wohl interessanteste Schriftstück allerdings steckte in einer Cordjacke im Flur: ein Brief, verschickt von einem Campingplatz auf Fehmarn, adressiert an Susann E. Auf der Freizeitanlage machte das Trio seit 2007 jedes Jahr Urlaub.
Im Anschluss an die Vernehmungen fährt Beate Zschäpes Verteidiger Wolfgang Heer eine Breitseite gegen das Gericht. Der Prozess verstoße „gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens“ und die Europäische Menschenrechtskonvention, weil er Zschäpes Rechte verletzt habe. Erneut geht es um die Befragung der mittlerweile 92 Jahre alten Charlotte E., die in der Nachbarwohnung des NSU-Trios in Zwickau wohnte, als Zschäpe das Haus mutmaßlich in Brand steckte. Die Anwälte sind der Meinung, die Hauptangeklagte habe bei E. geklingelt, um sie vor dem Feuer zu warnen. Die Bundesanwaltschaft sieht das nicht als erwiesen an und wirft Zschäpe wegen des Brands versuchten Mord vor.
Sicher zu klären ist der Punkt nicht mehr: Vernehmungen der dementen Frau brachten weder im Dezember 2013 noch im vergangenen Mai Erkenntnisse. Mit der Zeit hatten sich ihr geistiger Zustand und ihr Gedächtnis offenbar immer weiter verschlechtert. Die Frage ist: Hätte E. zu einem früheren Zeitpunkt verwertbare Informationen liefern können? Heer fordert, dass Zschäpes früherer Anwalt Gerald Liebtrau als Zeuge geladen wird, mit dem sie sich im November 2011 bei der Polizei in Jena gestellt hatte. Dieser habe direkt nach Zschäpes Festnahme beantragt, die Zeugin zu befragen. Richter Manfred Götzl entscheidet daraufhin, dass Liebtrau am Donnerstag der kommenden Woche geladen wird.
Unklar ist jedoch, ob der Antrag für Zschäpe überhaupt einen Sinn hat. Denn geklingelt wurde bei der Nachbarin offenbar so früh, dass Außenstehende das Feuer überhaupt noch nicht ahnen konnten. Die Verteidigung habe damit eingestanden, dass Zschäpe den Brand gelegt habe, wirft der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann ein. Sehr fraglich ist auch, ob ein einfaches Klingeln schon einen Rücktritt von der Tat, die sogenannte tätige Reue begründet. „Das macht es nicht besser, das ist kein Rücktritt“, sagt Hoffmann.
Bundesanwalt Herbert Diemer, ein Vertreter der Anklage, äußert sich gegen Ende des Prozesstags zu der CD, die der V-Mann Thomas Ri. alias „Corelli“ 2005 an das Bundesamt für Verfassungsschutz weitergegeben hatte. Sie ist mit dem Kürzel „NSU/NSDAP“ beschriftet und warf vor Kurzem die Frage auf, ob die Behörden bereits früher etwas von der Existenz des NSU hätten ahnen müssen.
„Wir führen seit dem Auftauchen des Datenträgers intensive Ermittlungen“, sagt Diemer. Für den Prozess wird die CD wohl nicht relevant werden: Bislang gebe es keine Hinweise, dass einer der Angeklagten sie produziert habe. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens sei auch die Prüfung, wer die mit Propagandamaterial gefüllte Sammlung hergestellt hat.