Wieder ging es vor Gericht um die Zeugin Charlotte E. – jene Zwickauer Seniorin, die am 4. November 2011 durch ein Feuer in der Nachbarwohnung in Lebensgefahr geriet. Den Brand soll Beate Zschäpe gelegt haben. Weil die unter Demenz leidende 92-Jährige erst spät gerichtlich vernommen wurde, konnte sie keine verwertbaren Angaben machen. Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer sprach deshalb von einem Verstoß gegen das Prinzip des fairen Verfahrens und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
Wäre die Befragung der Frau tatsächlich verzögert worden, so könne dies „sowohl auf die Bundesanwaltschaft als auch auf den Senat des Oberlandesgerichts München einen Schatten werfen“, schreibt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.
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Charlotte E. hatte in einer polizeilichen Vernehmung angegeben, jemand habe bei ihr geklingelt. Zschäpes Anwälte vertreten die Ansicht, dies sei die Hauptangeklagte gewesen, die die alte Dame habe warnen wollen. Deshalb sehen sie E. als Entlastungszeugin. Sie sollte im Dezember 2013 per Videoschaltung vernommen werden, was nicht gelang. Auch eine Vernehmung im Pflegeheim im April scheiterte.
Das Klingeln, glauben die Verteidiger, entkräftet den wegen der Brandstiftung erhobenen Vorwurf des versuchten Mordes gegen Zschäpe. „Was dagegen spricht: Ihr muss dann die Gefahr, die sie mit der geplanten Brandlegung heraufbeschwor, klar gewesen sein“, wirft Friedrichsen ein.
In einem Beitrag des Bayerischen Rundfunks heißt es, die Anwälte hätten mit ihrem Antrag implizit zugegeben, dass ihre Mandantin das Haus angezündet hat. Das könne zu Schwierigkeiten führen, denn „was zur Entlastung Beate Zschäpes dienen sollte, könnte sich als gefährlicher Bumerang entpuppen“. Zudem ist zweifelhaft, „ob der Antrag für Zschäpe überhaupt einen Sinn hat“, wie wir bei ZEIT ONLINE feststellen.
Die Juristen an der Seite der Angeklagten glauben dennoch weiter an ihren Trumpf: „Zschäpes Verteidiger, so ist zu vermuten, halten die von ihnen angeprangerten Versäumnisse im Fall Charlotte E. so oder so für gravierende Gründe, das Urteil im NSU-Prozess in der Revision anzufechten“, meint Frank Jansen vom Tagesspiegel.
Im Prinzip könnte sich auch Zschäpe selbst zu dem Anklagepunkt äußern – doch das hätte weitreichende Konsequenzen, wie Wiebke Ramm in der Sächsischen Zeitung anmerkt: „Schweigt sie weiter, darf das Gericht daraus keinerlei negative Schlüsse ziehen. Doch sagt sie auch nur zu einem Punkt aus, bekommt auch ihr Schweigen zu anderen Punkten eine Bedeutung.“
Für Schwierigkeiten bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen im Prozess macht Christian Bommarius von der Berliner Zeitung auch die Aussagen von Ermittlern verantwortlich, die sich bei ihren Vernehmungen hinter Worthülsen verstecken und wenig zum Verständnis beitragen. „Aber sie schweigen, selbst wenn sie reden, sagen sie nichts“, befindet der Autor.
In einem Prozessfazit zum heutigen 150. Prozesstag sieht Claudia Wangerin von der Jungen Welt die Ansichten der Bundesanwaltschaft in Teilen widerlegt. So sei „heute die Anklagethese von einer nur dreiköpfigen Terrorgruppe längst ins Wanken geraten“ und Hinweise auf ein größeres Netzwerk offenbar geworden. Die Verhandlungen seien insbesondere von Erinnerungslücken der Zeugen aus der rechten Szene geprägt gewesen.
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 16. Oktober 2014.