Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Offener Streit im NSU-Prozess – Das Medienlog vom Freitag, 6. Februar 2015

 

Die Anwälte von Beate Zschäpe machen einer Zeugin des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße von 2004 das Recht streitig, als Nebenklägerin teilzunehmen. Anwalt Wolfgang Heer forderte in einem Antrag, die Frau und ihren Anwalt Alexander Hoffmann auszuschließen, weil sie durch die Explosion keinen nachweisbaren Schaden erlitten habe. „Mit den Turbulenzen ist nun im Mammutprozess nach 21 Monaten doch noch eine Debatte über die Nebenklage aufgebrochen“, beobachtet Frank Jansen vom Tagesspiegel. Der Konflikt habe sich schon länger abgezeichnet, „nun gibt es offenen Streit“.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Die damals schwangere Frau brachte später ein zu früh geborenes, aber gesundes Baby zur Welt. Sie war wegen Panikattacken und Depressionen in psychiatrischer Behandlung – doch ihr vergangene Woche befragter Therapeut sah keinen sicheren Zusammenhang zwischen dem Anschlag und ihren seelischen Leiden. Auf diese Argumente stützen die Zschäpe-Verteidiger ihren 23-seitigen Antrag. Anwalt Hoffmann entgegnete, dessen Zweck sei lediglich, ihn selbst aus dem Verfahren zu entfernen.

Hoffmann begründet nun grundsätzliche Probleme: „Wie definiert sich künftig die Opferrolle? Ist nur der Verletzte zur Nebenklage berechtigt, der seine Beeinträchtigungen mit Brief und Siegel nachweisen kann?“, fragt Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online.

Sollte dem Antrag stattgegeben werden, dürften sich die Konsequenzen für den Prozess jedoch in Grenzen halten, schreibt Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung: „Für Beate Zschäpe ändert das mögliche Ausscheiden einer Nebenklägerin und ihres Anwalts nichts.“ Außerdem gebe es aus anderen Verfahren Präzedenzfälle, in dem Nebenkläger bleiben durften, obwohl der Grund für ihre Teilnahme erloschen war.

„Derart offen ist die naturgemäße Konkurrenz zwischen Verteidigung und Nebenklage noch nie hervorgetreten“, beobachten wir auf ZEIT ONLINE. Es handelt sich demnach um einen Konflikt, in dem auch das Ringen um Macht eine Rolle spielt: hier die Verteidigung, dort die Nebenklage, die die Strukturen um den NSU herum möglichst genau untersuchen möchte. Ein solcher Nebenklagevertreter ist auch der Beistand der Zeugin: „Hoffmann zählt im Prozess zu den engagiertesten Anwälten, zu denen, die regelmäßig beantragen, neue Zeugen aus der rechten Szene zu laden.“

Als Hauptthema des Tages waren ursprünglich zwei Gutachten über den Mitangeklagten Carsten S., der dem NSU-Trio die Mordwaffe übergeben haben soll. Doch Richter Manfred Götzl verschob die Expertise des psychiatrischen Sachverständigen Norbert Leygraf aus Zeitmangel auf März. So blieb es bei der Aussage eines Mitarbeiters der Düsseldorfer Jugendgerichtshilfe. „So setzt sich fort, was den NSU-Prozess von Anfang an kennzeichnet: Nur selten wird ein Themenkomplex zusammenhängend behandelt“, merkt Friedrichsen auf Spiegel Online an.

Eine Schlussfolgerung, ob S. nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden sollte, gab der Sozialarbeiter allerdings noch nicht ab. S. schloss sich demnach als Mitläufer der rechten Szene in Jena an. „Sein Werdegang klingt stellenweise mitleiderregend, doch wie glaubwürdig ist die Geschichte von Carsten S.?“, fragt Julian von Löwis vom Bayerischen Rundfunk. Ihm sei anzurechnen, dass er kooperiere und die Waffenübergabe gestanden hatte. Dabei dürfe man jedoch nicht vergessen, dass die Anklage gegen ihn zur Beihilfe zum Mord in neun Fällen laute. So viele Menschen wurden mit der Ceska 83 erschossen, die S. überbracht haben soll. Auch Dominik Reinle vom WDR beleuchtet den Fall des Szene-Aussteigers.

Derzeit sagen mehrere Zeugen aus der rechten Szene aus, die auf Initiative der Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben geladen wurden – am Donnerstag etwa das mutmaßliche Blood-&-Honour-Mitglied Andreas G. Die Zeugen sollten nach dem Willen der Anwälte zur Entlastung Wohllebens beitragen, der ebenfalls am Transport der Pistole beteiligt gewesen sein soll. Doch diese Strategie scheint bislang nicht aufzugehen: Die Verteidiger „spüren und wissen, dass es nicht gut aussieht für den 40-Jährigen“, kommentiert Harald Biskup in einer Analyse für den Kölner Stadtanzeiger.

Um das Ausmaß des Anschlags in der Keupstraße geht es in einer Reportage von Jan Guldner im Tagesspiegel, in der das Schicksal eines der Opfer nachgezeichnet wird. Das Fazit: Der Anschlag „hat eine klaffende Wunde in das pulsierende Herz gerissen, dass die Keupstraße 2004 für die türkische Gemeinde Köln-Mülheims war“.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 9. Februar 2015.