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Wenn ein Freund zum Neonazi wird

 

Das NSU-Mitglied Uwe Mundlos und der Zeuge Aleksander H. waren zu Schulzeiten beste Freunde. Warum entwickelte sich einer zum Musterbürger, der andere zum Rechtsextremen?

Dass es so etwas wie ein Abschiedsbesuch ist, ahnt Aleksander H. Anfang 1998 nicht. Eigentlich hat er zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr viel zu tun mit seinem alten Schulfreund Uwe Mundlos, der mehr mit seinen Nazi-Kumpanen abhängt und sich prügelt. Doch jetzt steht Mundlos bei ihm in der Wohnung in Jena, ist aufgeregt, spricht davon, dass er Schwierigkeiten hat. H. weiß, dass sein Kumpel manchmal Straftaten begeht. Doch diesmal, das weiß H. nicht, fahndet die Polizei nach Mundlos. Kurz darauf ist er fort, untergetaucht, zusammen mit seinen Komplizen Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt.

Die Ermittler hatten zuvor Sprengstoff und Rohrbomben in einer Garage von Zschäpe gefunden, Böhnhardt und Mundlos hatten daran mitgebastelt. Die beiden Männer sind heute tot, Zschäpe sitzt auf der Anklagebank im NSU-Prozess. Bis 2011 soll das Trio unter anderem zehn Morde und zwei Bombenanschläge verübt haben. Aleksander H. lernte alle drei kennen.

Deshalb ist er als Zeuge in das Münchner Verfahren geladen. In seiner Jugend lernte der 41-Jährige mehrere Figuren der rechten Szene in Jena kennen, ohne jemals Teil von ihr zu sein. Befreundet war er jedoch nur mit Mundlos. Wie ist es möglich, dass zwei Menschen, die unter ähnlichen Umständen aufwachsen, völlig andere Lebenswege einschlagen? Warum wurde der eine zum bodenständigen Gymnasiallehrer, der andere zum hasserfüllten Neonazi, mutmaßlich zum zehnfachen Mörder? Hatte der als intelligent geltende Mundlos den Fängen der rechten Szene nichts entgegenzusetzen?

Es begann mit einer normalen Schulfreundschaft: H. und Mundlos wohnten im Norden von Jena, eine Familiengegend. „Da gab es keine Dinge, in die man sich hätte verrennen können“, sagte H. Sie gingen in Parallelklassen auf der Oberschule. Dort spielten sie zusammen Basketball, später unternahmen sie Radtouren. Einmal machten sie gemeinsam Urlaub, vier Wochen Bulgarien mit H.s Familie.

Doch Mundlos, das fiel dem Freund auf, veränderte sich. Zur Wendezeit zog seine Familie in den Stadtteil Winzerla. Nach dem Mauerfall wurde das Viertel zur Hochburg rechtsextremer Jugendlicher. Auch Uwe ließ sich mitreißen, rutschte in die Szene ab.

Zu den gemeinsamen Treffen brachte Uwe nun neue Freunde mit. Einer davon war Uwe Böhnhardt, den Mundlos „Böhni“ nannte. Den hielt H. jedoch nicht für einen guten Umgang. Ein gewaltbereiter Typ, der von Bewaffnung sprach und mit Messern spielte. „Er hatte ein unerbittliches Auftreten“, erinnert sich H. Mundlos setzte sich offenbar in Gedanken mehr mit der extremen Ideologie auseinander. „Rudolf Heß war sein Idealtypus“, sagt der Zeuge, er habe sich „für ein sauberes Deutschland“ eingesetzt. Darin gab es gute und schlechte Ausländer. Gute waren solche, die arbeiteten. Wie H.s bulgarischer Vater.

Auch mit Beate Zschäpe, der heutigen Hauptangeklagten, schloss H. Bekanntschaft. Ein umgänglicher Typ sei sie gewesen, „lustig bis amüsant“. Sie wurde zu Beginn der neunziger Jahre die Freundin von Mundlos: „Das war schlicht und einfach Liebe“, sagt H.

H. konnte nichts anfangen mit dem, was Mundlos seine Ideologie nannte. Mitte der neunziger Jahre, als sie sich schon seltener sahen, schrieb er sich am thüringischen Ilmenau-Kolleg ein, einer Art Internat für den zweiten Bildungsweg. Mundlos folgte ihm ein Jahr später auf die Schule. Sie wollten gemeinsam für das Abitur lernen. H. brachte den Abschluss zu Ende. Mundlos tauchte vorher ab.

Der Vater des Rechtsextremisten, Siegfried Mundlos, hielt viel von H. Er hoffte, der besonnene Freund könne seinem Sohn den Weg aus der Szene heraus ebnen. Doch Mundlos hatte sich der nationalen Idee bereits voll und ganz verschrieben und lud die rechten Kameraden ins Wohnheim ein. Das wiederum verschreckte H., der die grölenden, gewaltbereiten Jungs abstoßend fand.

Trotzdem redeten sie wieder mehr miteinander, die beiden Freunde aus Schultagen. Und Mundlos weihte H. in Dinge ein, die heute als die ersten Taten des späteren NSU gelten. Dazu zählte, dass das Trio einen Koffer mit Hakenkreuz auf dem Theatervorplatz in Jena abgestellt hatte. Es waren exklusive Informationen: „Ich wusste etwas davon, bevor es der Öffentlichkeit bekannt wurde“, sagt H. Mundlos habe jedoch nichts davon erzählt, dass in dem Koffer Sprengstoff war. Es handelte sich um eine Bombe ohne Zünder.

Auch von der sogenannten Puppentorso-Aktion erfuhr H.: Böhnhardt hatte einen Puppentorso mit Davidstern an eine Autobahnbrücke gehängt und eine Bombenattrappe dazugestellt. Zunehmend erwähnte Mundlos auch, dass er verfolgt werde. „Er hat von Terrorismus gesprochen, der ihm angelastet werde.“ Da könnten „brenzlige Situationen entstehen, wo er sich der Verfolgung entziehen möchte“. Bis die drei Nazis flüchteten, war es da nicht mehr lange hin. Ihre Flucht war die Geburtsstunde des NSU.