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Wenn der Verfassungsschutz abgehört wird

 

Manipulierte der hessische Verfassungsschutz die Ermittlungen im Kasseler NSU-Mord? Das Gericht hört Telefonate des Verdächtigen Andreas T. – und Beate Zschäpe spricht in der Verhandlung.

Welche Stimmung im Frühjahr 2006 auf den Fluren des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz herrschte, lässt sich nur erahnen. In der Kasseler Außenstelle der Behörde filzten Polizisten das Büro des Mitarbeiters Andreas T., in der Tiefgarage durchsuchten sie seinen Dienstwagen. Zwischendrin perplexe Geheimdienstler, die einen unglaublichen Verdacht verdauen mussten: dass einer der ihren am 6. April den Deutschtürken Halit Yozgat erschossen haben könnte – Andreas T.

Er hatte sich während des Mords am Tatort, im Internetcafé des Opfers, aufgehalten. Das brachte ihn in den Fokus der Staatsanwaltschaft, kurzzeitig gar in Untersuchungshaft. Längst hat die Anklage im NSU-Prozess Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt als Täter ausgemacht. Doch was geschah damals, als die hessische Polizei T.s Umfeld auszuleuchten versuchte – und dabei zwangsläufig in das Revier der verschwiegenen Behörde eindrang?

Bis heute stehen die hessischen Verfassungsschützer im Verdacht, die Ermittlungen behindert zu haben – etwa, indem sie dem verdächtigen Mitarbeiter einen Maulkorb verpassten. Auf Antrag der Nebenklageanwälte von Yozgats Hinterbliebenen befasst sich das Gericht am Mittwoch deshalb mit Telefonaten, die T. im April und Mai 2006 mit Kollegen führte. Die Polizei hatte seinen Telefonanschluss angezapft.

Die Gespräche wurden aufgezeichnet, das Gericht spielt sie im Saal ab. Unbeteiligt zeigt sich dabei die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, die ihre Verteidiger wie am Vortag vollständig ignoriert. Die Eiszeit ist Folge von Zschäpes Misstrauensantrag gegen ihre Anwältin Anja Sturm, den sie nun noch mit einer ausführlichen Erklärung beim Gericht untermauern muss. Dank Fristverlängerung um einen Tag hat sie dafür bis Donnerstagnachmittag Zeit.

Im Fall T. treten drei Verfassungsschützer in den Zeugenstand, zwei bereits pensioniert. Der erste Zeuge Hans-Joachim M. verwehrt sich gleich zu Beginn gegen jegliche Vorwürfe: „Ich weise darauf hin, dass wir die Maßnahmen der Polizei weder behindert noch gesteuert haben.“ Vielmehr trat innerhalb der Behörde damals ein herausragender Korpsgeist zutage: So munterte M. den Verdächtigen in einem Telefonat auf: „Ich bin weit davon entfernt, Sie nach unten zu ziehen. Für mich gibt es noch den Kollegen T.“, sagte M. T. klingt in dem Gespräch kraftlos und traurig.

Ein anderer Verfassungsschützer ging die moralische Unterstützungsarbeit des unter Mordverdacht geratenen Kollegen jovialer an: „Na, Alter? Was machst Du denn für eine Scheiße? Ich will es gar nicht wissen.“ Auch T. selbst sah in einem Gespräch ein, er habe „Riesenmist gebaut“ – und war damit noch kritischer gegen sich selbst als seine Kollegen. „Dienstlich hast Du keinen Mist gebaut“, antwortete ihm sein damaliger Vorgesetzter Frank-Ulrich F. Der Verdächtige hatte in dem Internetcafé per Chat geflirtet, während seine schwangere Frau zu Hause saß.

Dennoch hatte es durchaus ein Geschmäckle, dass T. sich dort aufhielt: Nahe dem Tatort lag eine Moschee, die zu den von T. beobachteten Objekten gehörte. F. schob hinterher: „Privat hättest Du mal mit uns drüber reden müssen.“

Als Täter konnten sich die Kollegen T. nicht vorstellen. Im Verfassungsschutz habe man die Tat dem Bereich Rechtsextremismus zugerechnet, sagt Hans-Joachim M. im Zeugenstand, diese Theorie habe jedenfalls „im Vordergrund gestanden“. Ganz anders erzählt es kurz darauf Frank-Ulrich F.: „An den Rechtsradikalismus haben wir nie gedacht.“

Lügen aufzutischen, dazu wurde T. von seinen Kollegen am Telefon allerdings nicht ermutigt. „Ich würde sagen: einfach offen aus der Hüfte schießen“, empfahl Hans-Joachim M., nachdem T. ihn gefragt hatte, was er in seiner dienstlichen Erklärung gegenüber dem Behördenleiter Lutz Irrgang schreiben solle. Er bestärkte T. auch, Rücksprache mit dem Geheimschutzbeauftragten der Behörde zu halten. Dieser sagte in einem weiteren Telefonat den merkwürdigen Satz: „Ich sage ja jedem: Wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert, bitte nicht vorbeifahren.“ T. selbst deutete die Äußerung als lockeren Spruch. Der Geheimschutzbeauftragte ist für Ende Juni ebenfalls als Zeuge geladen.

Insgesamt vier abgehörte Gespräche sind an diesem Prozesstag zu hören. Bisweilen ist das Geplänkel ermüdend. Beim vierten Telefonat fällt der Blick des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl auf Zschäpe, die den Gerichtssaal gedanklich offenbar längst verlassen hat. „Frau Zschäpe, darf ich Sie kurz ansprechen – sind Sie bei der Sache?“, fragt er. Dann folgt, für die eisern schweigende Hauptangeklagte eine absolute Überraschung, die Antwort: „Ja.“ Früher wäre Zschäpe wohl unbeeindruckt stumm geblieben, hätte das Wort ihren Verteidigern überlassen – doch auf die mag sie derzeit wohl nicht zählen.