Könnte der Verfassungsschützer Andreas T. eine Pistole zum Tatort gebracht haben? Ein Telefonat zeigt, wie dieser Verdacht Zweifel in seiner Familie säte – und Beate Zschäpe rebelliert gegen das Gericht.
Es ist wohl nicht die Schuld des Verfassungsschützers Andreas T., dass der Deutschtürke Halit Yozgat im April 2006 in seinem Kasseler Internetcafé erschossen wurde. Soweit der offizielle Stand der Bundesanwaltschaft. Dass diese Tat beinahe T.s Leben zerstörte, dass sie ihn seinen Arbeitsplatz kostete und das Vertrauen seiner Frau, dass sie peinliche Angelegenheiten aus seinem Privatleben in die Öffentlichkeit schwemmte, das allerdings hat sich T. sehr wohl selbst zuzuschreiben.
Während seine Frau hochschwanger zu Hause war, chattete T. in dem Internetcafé mit einer Fremden. Bevor er ging, fielen zwei Schüsse, sie trafen Yozgat in den Kopf. Abgefeuert haben sollen sie die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. T. behauptet bis heute, er habe weder Geräusche gehört noch den Toten gesehen.
Das allerdings nimmt T. kaum jemand ab. Die meisten glauben, dass T. damals alles versuchte, die Chat-Affäre vor seiner Frau geheim zu halten. Ein halbes Jahr vor der Tat von Kassel hatten sie geheiratet, Eva S. nahm einen Doppelnamen an. Nun muss sie im NSU-Prozess als Zeugin aussagen, auch ihr Mann ist geladen – zum sechsten Mal.
Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe wollte diese Befragung verhindern. Zu Beginn des Verhandlungstags verliest Richter Manfred Götzl einen Antrag, den sie selbst eingereicht hat. Sie fordert, „die Befragung von weiteren Zeugen erst nach Beiordnung von Rechtsanwalt Mathias Grasel fortzuführen – mit freundlichen Grüßen: Beate Zschäpe.“ Grasel ist der Anwalt, den das Gericht ihr aller Wahrscheinlichkeit nach als vierten Pflichtverteidiger zur Seite stellen wird, praktisch als eine Art Vertrauensmann in der Krise nach Zschäpes Absetzungsantrag gegen ihre Anwältin Anja Sturm. Der eigenmächtige Antrag der Angeklagten ist ein neuer Schlag gegen ihre bisherigen Verteidiger – doch er bleibt wirkungslos: Götzl lehnt ihn ab.
Auftritt also von Eva S., einer Frau, die 2006 völlig überrumpelt wurde. Der Mordverdacht der Kasseler Polizei hatte sich damals zeitweise gegen ihren Mann gerichtet. „Ich war in der Badewanne, hochschwanger. Er kam rein und sagte: Ich muss nach Kassel. Und am nächsten Tag war er erst zurück“, sagt die 43-Jährige. Die Eheleute hatten in der Zeitung vom Mord an Yozgat gelesen. T. meldete sich dennoch nicht bei der Polizei. Als die sich stattdessen bei ihm meldete, muss ihm klar geworden sein, dass seine Internetflirts nicht mehr geheim zu halten waren – bis heute steht er für seinen Vertuschungsversuch im Zwielicht.
Seine Frau gibt sich zumindest davon überzeugt, dass T. die Tat nicht begangen hat: „Ich sage wie jede Ehefrau der Welt: Mein Mann war es nicht.“ Doch sie fügt einen Satz an, in dem ihre Zweifel durchscheinen: „Es sagt auch jeder Hundebesitzer: Mein Hund beißt nicht.“
Erheblich größer sind die Zweifel der Nebenklageanwälte von Familie Yozgat, die das Ehepaar nach München haben laden lassen. Doris Dierbach, Thomas Bliwier und Alexander Kienzle klammern sich an ein Detail aus einer Zeugenvernehmung, das heute unmöglich aufzuklären ist. Demnach sagte ein anderer Kunde des Internetcafés, T. habe eine Plastiktüte mitgebracht, in der sich ein schwerer Gegenstand abgezeichnet habe. Die Tatwaffe? Der Beweis, dass T. und mit ihm der hessische Verfassungsschutz in die Tat verstrickt waren? Ob es sich um eine Pistole handelte oder einen von Millionen anderen denkbaren Gegenständen, konnte der Zeuge nicht erkennen.
Allerdings hatten auch Polizisten T. nach der Tüte gefragt. Der erzählte seiner Frau davon, die sich in einem zweieinhalbstündigen Telefonat mit ihrer Schwester darüber aufregte. Ein Auszug aus dem Gespräch lässt Richter Manfred Götzl im Gericht vorspielen, es fand rund eine Woche nach T.s kurzzeitiger Festnahme statt. „Ich sag noch, nimm keine Plastiktüte!“, habe sie ihren Mann angeherrscht, erzählte sie damals. Ständig nehme er beim Einkaufen Tüten, das sehe „so assi aus“.
Andreas T. bestreitet später, eine Tüte mit sich geführt zu haben. Es gibt keine Überwachungsbilder, nur die Aussage des jugendlichen Zeugen, der später zugab, damals bekifft gewesen zu sein. Juristisch lässt sich daraus nichts machen.
Dafür bietet die Aufzeichnung des Telefongesprächs einen Einblick in das, was T. daheim blühte. Offenbar stotterte er sich vor seiner Frau nur langsam in Richtung Wahrheit. „Ich hab ja nicht und ich wollte ja nicht und ich hab ja nicht gesollt“, so beschreibt S. in der Aufnahme das klärende Gespräch. Sie will ihm daraufhin vorgehalten haben: „Du hast unsere Zeit verplempert in so ’ner Assi-Bude bei ’nem Dreckstürken?“
Die rassistische Sprache, sagt S., tue ihr heute leid. Die Pöbeleien waren für sie anscheinend eine Art des Stressabbaus. „Ich bin nicht gut mit ihm umgegangen, weil er schuld an dem Chaos in meinem Leben war.“ Andreas T. sagt später: „Das war für uns eine sehr traumatische, sehr belastende Zeit.“ In Gang gesetzt hatte er sie selbst.
Der Vater des Mordopfers, Ismail Yozgat, hat die Verhandlungen auch an diesem Tag verfolgt. Wie schon mehrmals im NSU-Prozess ergreift er im Anschluss das Wort. Er fragt, wie es sein konnte, dass T. seinen blutenden Sohn nicht auf dem Boden liegen sah. „Dieser Mann, Herr T., lügt“, schließt er, und das wüssten alle. Er fordert, dass der Strafsenat eine Tatortbegehung macht, um das Ladenlokal in Augenschein zu nehmen. Für den erregten Vater ist T. offenbar zu einer Schlüsselfigur geworden, ein Mitverantwortlicher für seine Trauer. „Warum wollen wir die Wahrheit nicht sehen?“