Es war ein kurzer Auftritt, aber ein auffälliger: Am Dienstag nahm zum ersten Mal der neue, zusätzliche Verteidiger von Beate Zschäpe, Mathias Grasel, auf der Anklagebank Platz. Er beantragte als Erstes eine Prozessunterbrechung, um sich in den komplexen Verfahrensstoff einarbeiten zu können. Richter Manfred Götzl entschied, den NSU-Prozess für diese Woche pausieren zu lassen. Die Reporter blicken aus diesem Anlass auf das Verhältnis zwischen Grasel und dem angestammten Anwaltstrio Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl: „An Selbstbewusstsein scheint es dem (…) Anwalt ebenso wenig zu mangeln wie seinen drei Kollegen“, beobachtet Karin Truscheit von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
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Der neue Pflichtverteidiger und seine Mandantin hätten sich im Gerichtssaal angeregt unterhalten, so wie Zschäpe und Heer es früher taten. „Doch Heer und seinen Kollegen bleibt am Dienstag nur noch die Beobachterrolle“, schreibt Truscheit. Außer Grasel äußerte sich an diesem Tag niemand zur Erweiterung des Anwaltsteams. „Wie gefrustet und sauer sie sind, ist Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl aber auch so anzusehen“, schreibt Christoph Arnowski vom Bayerischen Rundfunk. Sie seien nun „Statisten, die keine große Einflussmöglichkeit mehr haben“. Dennoch würde der Prozess ohne sie platzen, weil sie mit der Materie vertraut sind.
Grasel wirke „zumindest an seinem ersten Tag wie ihr Gegenentwurf“, schreibt Kai Mudra von der Thüringer Allgemeinen. Der Jurist könne „es als ersten kleinen Erfolg verbuchen“, dass das Gericht seinem Antrag auf eine Unterbrechung der Verhandlung stattgab.
Zschäpe hatte vor einiger Zeit eine mögliche Aussage in Aussicht gestellt. Deshalb „wächst bei Anwälten der Nebenkläger die Hoffnung, die Angeklagte werde (…) endlich reden“, heißt es im Bericht von Frank Jansen im Tagesspiegel. Grasel allerdings sagte Journalisten, derzeit gebe es keine andere Option als zu schweigen.
Was aber, wenn nicht eine neue Strategie, ist der Mehrwert eines zusätzlichen Verteidigers? „Es liegt auf der Hand, dass Grasel Zschäpes Wünsche durchsetzen soll“, schrieb ich bei ZEIT ONLINE. Schließlich war es die Hauptangeklagte, die den Münchner Anwalt als Ergänzung durchgesetzt hatte. Unklar ist, auf welche Weise Grasel anhand des bisher verhandelten Stoffs aus 216 Prozesstagen mitarbeiten kann – denn diesen zu verstehen, ist eine Fleißarbeit: „Wie der Jurist sich vernünftig auf ihre Verteidigung vorbereiten will, ist zweifelhaft.“
Auffällig war die Reaktion Zschäpes auf Grasels Anwesenheit. Sie schien „wie ausgewechselt“ neben dem „eher spröde wirkenden Anwalt“, schreibt Jansen vom Tagesspiegel. Noch deutlicher wird Tanjev Schultz von der Süddeutschen Zeitung: „Zschäpe nimmt die Haltung einer Flirtenden ein, der Anwalt wirkt zurückhaltend, aber zugewandt.“ Nun wirke es, „als genieße sie ihren kleinen Triumph“. Zuvor war sie mit dem Antrag auf Absetzung ihrer Anwältin Anja Sturm gescheitert.
Der Kasseler Strafverteidiger Knuth Pfeiffer findet es allerdings „vermessen“, zu einem derart späten Zeitpunkt ins Verfahren einzusteigen. Er habe Zweifel daran, dass Grasel neben dem Aktenstudium genug Zeit für Zschäpes Verteidigung hat, sagte er der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen. In jedem Fall halte er die Bestellung von vier Anwälten für einen Angeklagten für sehr ungewöhnlich.
Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 9. Juli 2015.