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Die Phantom-Zeugin

 

Eine Zeugin im NSU-Prozess ist abgetaucht – womöglich, weil sie sich an dem Verfahren gar nicht beteiligen will. Das sorgt für Ärger beim Richter, der zum Ende kommen will.

Viel ist nicht bekannt über Meral K. – weder wie sie aussieht, noch wo genau sie sich derzeit aufhält. Als sicher gilt, dass sie am 9. Juni 2004 mit einer Freundin zu Gast in einem Restaurant auf der Kölner Keupstraße war. Als sie zum Rauchen nach draußen ging, explodierte in der Nähe eine mit Nägeln gespickte Bombe, gezündet vermutlich von der rechtsextremen Terrorzelle NSU. Frau K. erlitt Schnittwunden und hörte ein paar Tage schlecht. Andere Opfer des sogenannten Keupstraßen-Attentats erwischte es schlimmer.

Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-Prozess, würde Frau K. gerne anhören. K. hat sich als eine von knapp 90 Nebenklägern registrieren lassen – Menschen, die als Opfer Anspruch haben auf die Teilnahme am Verfahren, auf rechtliches Gehör, auf Entschädigung.

Allerdings ist K. bislang kein einziges Mal im Verhandlungssaal aufgetaucht. Im März dieses Jahres sollte sie als Zeugin aussagen, verpasste aber nach Angaben ihres Anwalts Ralph Willms den Flug aus der Türkei, weil sie sich nicht rechtzeitig um ein Flugticket gekümmert hatte. Eine „nicht wirklich ausreichende Entschuldigung“ sei das, sagte Götzl damals. Beim nächsten Versuch im Juni hieß es, sie sei auf dem Weg ins Gericht zusammengebrochen. Frau K. ist ein Phantom.

Am Dienstag schließlich will das Gericht zumindest einen Bekannten von K. hören, den ebenfalls verletzten Attila Ö., der ebenfalls als Nebenkläger eingetragen ist. Doch er sei erkrankt, heißt es zum Sitzungsbeginn.

Das stößt bei Richter Götzl auf Missbilligung. Eine Nebenklägerin, von der im Prozess rein gar nichts zu erfahren ist, das geht nicht. Er fragt K.s Anwalt Willms, wann er das letzte Mal Kontakt zu seiner Mandantin hatte. Willms gibt an, dass K. in der Türkei im Krankenhaus liege. Das wisse er aber auch nur vom Zeugen Ö., über den offenbar sämtliche Kommunikation läuft. Ein Krankenattest kann er nicht vorlegen.

Schließlich schaltet sich Ö.s Anwalt Reinhard Schön ein. Er glaubt zu wissen, dass Willms überhaupt keinen Kontakt mehr zu seiner Mandantin pflegt. „Das stimmt nicht“, entgegnet Willms. „Entweder sorgen Sie für Klarheit oder wir müssen das ermitteln“, befiehlt Götzl und schüttelt lange den Kopf.

Es ist eine bizarre Situation: ein Anwalt, der seine Mandantin nicht präsentieren kann – aber an den meisten, mit Tagesgeld vergüteten Prozesstagen teilnimmt. Gerade im Fall Keupstraße haben mehrere Anwälte ein schlechtes Licht auf ihre Zunft geworfen, als sie unter Anwohnern aggressiv nach möglichen Nebenklage-Mandanten suchten. Ende Januar behauptete ein Zeuge, dass ein weiterhin im Prozess tätiger Anwalt versucht habe, ihn zur Nebenklage zu drängen. So stellte sich die Frage, ob auf der Nebenklage-Liste weitere Zeugen stehen, die sich gar nicht am Verfahren beteiligen möchten – und den Kontakt zu ihren Anwälten abbrechen.

Schwierigkeiten bei der Befragung hat es schon bei mehreren Zeugen gegeben. Doch nun lässt Richter Götzl eine neue Priorität durchblicken: Er will, dass der Prozess zügig vorankommt. Als die großen Fragen des NSU-Komplexes geklärt werden mussten, erforschte Götzls Strafsenat jedes Detail, befragte manche Zeugen über Tage.

Das NSU-Verfahren folgte zu dieser Zeit noch einer groben Struktur: Seit Prozessbeginn im Mai 2013 klärte das Gericht zunächst die zehn Morde, die dem NSU vorgeworfen werden. Im Anschluss erforschte Götzl mit beeindruckender Akribie, wie sich das Trio aus Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Jena von einer Nazi-Clique zur gewaltbereiten Truppe wandelte. Anfang 2015 ging es schließlich um den Anschlag in der Keupstraße. Nun, auf der Zielgeraden, sind eigentlich nur noch einige der 15 Raubüberfälle aufzuklären, mit denen der NSU sein Leben im Untergrund finanzierte.

Kommen Zeugen zu Befragungen für ältere Themen, dann, weil ein paar wenige Fragen offen sind. Die meisten Zeugen werden mittlerweile auf Antrag von Nebenklageanwälten geladen. Für Richter Götzl ist die Frage nach der Schuld der fünf Angeklagten anscheinend geklärt. Es scheint, als habe er seine eigene Agenda für das Verfahren längst abgeschlossen – auch in zeitlicher Hinsicht. Verschleppungen wie die im Fall Meral K. sind da nur hinderlich.

Tatsächlich wird zumindest die Beweisaufnahme in absehbarer Zeit ein Ende gefunden haben, vermutlich in wenigen Monaten. Hinzu kommt eine völlig unkalkulierbare Zahl von Monaten, in der die Bundesanwaltschaft, die Dutzenden Nebenklageanwälte und die Verteidiger ihre Plädoyers halten und die Richter eine sehr detailliert ausfallende Urteilsbegründung formulieren werden.

Weil er mit dem Fall der Kölner Zeugin nicht weiterkommt, verliest Götzl gegen Mittag schließlich stattdessen Entscheidungen des Gerichts über rund ein Dutzend Anträge der Nebenklageanwälte, die weitere Ermittlungen fordern oder noch mehr Zeugen laden lassen wollen. Die Zeit dafür ist offensichtlich abgelaufen: Alle Anträge sind abgelehnt.