Im NSU-Prozess verfestigt sich der Eindruck, dass das Gericht bald sein Urteil sprechen will. Anzeichen dafür konzentrierten sich am 232. Verhandlungstag, an dem viel vorgelesen wurde. Richter Manfred Götzl verlas die Entscheidungen des Strafsenats über zwölf Anträge der Nebenklage, in denen neue Ermittlungen oder die Ladung weiterer Zeugen gefordert wurden. Alle Anträge wurden abgelehnt. „Offenbar wissen die Richter nach 28 Monaten Beweisaufnahme genug, um über die fünf Angeklagten urteilen zu können“, merkt Frank Jansen vom Tagesspiegel an. Den Opferanwälten sei klar, dass das Urteil bald komme, auch wenn ihrer Meinung nach noch nicht genug Aufklärungsarbeit geleistet wurde.
Abgelehnt wurde auch ein Antrag, in dem die Ladung eines Zeugen gefordert wird, der angeblich Angaben zum Waffenarsenal des rechtsextremen Trios machen kann. Auch zur Frage, ob die 2007 in Heilbronn erschossene Polizistin Michèle Kiesewetter zufällig oder gezielt als Mordopfer ausgewählt wurde, gibt es keine neuen Erhebungen. „Der Beschluss erstaunt“, schreibt Jansen. Hoffnungen auf Aufklärung ruhten nun auf dem neuen Untersuchungsausschuss des Bundestags.
NSU-Prozess: Akten auf Gehweg in Köln gefunden – aufgetaucht beim Fundbüro in Ehrenfeld. http://t.co/vHoDys3lI8
— WDR (@WDR) 29. September 2015
„Götzl will den Prozess beschleunigen“, kommentiert Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung. Offenbar habe sich der Richter schon weitgehend ein Urteil gebildet. Abzulesen sei dies auch am Umgang mit dem Konflikt vom Vormittag des Prozesstags: Eigentlich sollte eine Nebenklägerin zum Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße befragt werden. Sie war jedoch zweimal unentschuldigt ferngeblieben. Der Richter nahm daraufhin sehr gereizt ihren Anwalt in die Zange.
Götzl „hasst Schludereien, Undiszipliniertheit, Verzögerungen“, schreibt Ramelsberger. Mit den abgelehnten Anträgen habe er gezeigt, dass er die Beweisaufnahme nun streng beschränken wolle. „Für Richter Götzl ist die Frage nach der Schuld der fünf Angeklagten anscheinend geklärt“, befinden auch wir auf ZEIT ONLINE. Der Vorsitzende hat demnach „seine eigene Agenda für das Verfahren längst abgeschlossen“ und duldet nun nichts, was den Prozess bremst. Das Fazit von Gisela Friedrichsen auf Spiegel Online: „Kein guter Tag für die Nebenklage.“
Berichte zum allgemeinen Stand des NSU-Prozesses: Mit mehreren Fragen zum Verfahren, auch mit der Berichterstattung darüber, beschäftigt sich die aktuelle Ausgabe der Zeitschaft Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) der Bundeszentrale für politische Bildung, die heruntergeladen werden kann. Zum Stand der Beweisaufnahme äußert sich SZ-Reporterin Ramelsberger in einem Interview mit detektor.fm.
An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de. Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 1. Oktober 2015.