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Verbrüderungen in der Stadt der Kriege

Was gibt es Neues in Danzig? Gestern ist die Stadt grün geworden, denn die Iren sind da. Den historischen Königsweg und alle Cafés und Kneipen der Rechtstadt haben sie zu Hunderten okkupiert, gröhlen singen Chants und Folks. „Stand up for the boys in green!“ Und: „Hey Trapattoni, he used to be Italian, but he’s Irish now.“

Heute Abend geht es für sie in Danzig gegen Spanien, ein hoffnungsloses Unterfangen an und für sich. Aber das betrübt einen Iren nicht. Der feiert immer und mit allen, ob mit Spaniern oder Einheimischen. Mitten in der grünen Traube, sieht man spanische Flaggen und Polska-Shirts. In Danzig, der Stadt, die von vielen Kriegen durchlöchert wurde, verbrüdern sich zurzeit die Gegner.

Ich werde im Stadion sein, das übrigens nicht so einfach zu erreichen ist, wie man sich das vorstellt. Das Stadion selbst ist fertig und sehr schön (wie man es nach der EM verwendet, ist noch eine andere Frage). Darum herum ist aber viel Baustelle. Das bedeutet: viel Laufarbeit.

Gestern schaute ich in der Nähe des ehemaligen Danziger Rathauses (Ratusz Głównego Miasta) inmitten der Iren das Deutschland-Spiel. Man muss sagen, sonderlich interessiert haben sich die Lads nicht dafür, erst als Robin van Persie traf, merkte ich überhaupt, dass sie an dem Geschehen teilnahmen, denn sie jubelten. Marc aus Dublin, den ich nicht nur wegen seines harten Akzents nur schwer verstand, sagte: „F… Gomez! I put money on the Dutch!“

Es war der Abend, an dem Mario Gomez allen zeigte, wie grau alle Fußballtheorie ist, auch meine. Was kümmern den Torjäger Diskussionen um Spiel ohne Ball, Laufarbeit und Pressing, wenn er stattdessen einfach ständig ins Tor schießt? Recht hat alleine er. Andererseits hat sich Gomez vor seinen beiden Toren auch gut bewegt, sich freigelaufen, ist im richtigen Moment dem Gegner entwischt. Liebe Grüße auch von Joris Mathijsen.

Heute morgen saß am benachbarten Fürhstückstisch ein schmatzender, rülpsender (so muss ich das sagen) Ire um die 50. Er freute sich hingegen über die Niederlage der Holländer, weil die, wie er sagt, nun früher ausgeschieden sind als die „Green Boys“, die heute dran sind. Irrtum, Holland ist trotz zwei Niederlagen noch drin.

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Vorgestern feierten die Polska-Fans ihre Mannschaft auf der Fan-Meile in der Nähe der Werft, die Stimmung dort ist friedlich und familiär, ich schätze (vorsichtig), zwölf- bis fünzehntausend Menschen waren da. Nach dem Spiel zogen sie auf den Straßen in die nahegelegene Innenstadt. Das zweite 1:1 im zweiten Spiel war ihnen Grund genug, gegen die Russen waren sie als Außenseiter ins Spiel gegangen. Aber eigentlich war doch mehr drin, oder? Vielleicht verlassen sie sich oder hoffen wenigstens darauf, sich im letzten Spiel gegen die konditionsschwachen Tschechen den Viertelfinaleinzug zu sichern. Im Viertelfinale könnte es in Danzig das Duell mit den Deutschen geben.

Ihre Helden waren an diesem Abend der Ersatzkeeper Przemyslaw Tyton, der sich durch seinen gehaltenen Elfmeter im Griechenland-Spiel einen großen Bonus erspielt hat – bevor er im nächsten Spiel wohl wieder Wojciech Szczesny weichen wird. Jede Aktion Tytons wurde mit Beifall bedacht. Der zweite war natürlich Jakub Błaszczykowski, der schüchterne Kapitän, der ein paar Häuserblöcke weiter überlebensgroß für eine deutsche Modemarke wirbt. Eine hervorragende Figur gab er auch beim Ausgleich ab, das spektakulärste Tor dieser EM bislang.

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Am Sonntag war ich beim Spiel Spanien gegen Italien. Es war ein früher Turnierhöhepunkt, großartiger, wunderschöner Fußball, in der zweiten Halbzeit wurde er zudem dramatisch. Danzig erlebte einen Gipfel südeuropäischer Fußballkunst.

Dabei spielen beide Mannschaften so verschieden. Über Spanien ist ja viel gesagt, aber auch die Italiener haben es mir angetan – nicht erst seit dieser Woche. Es sind die Meister des klugen Verteidigens, und doch haben sie auch immer einen Plan zu gewinnen. Sie spielen keineswegs so destruktiv wie es immer heißt. Das lehrt auch ein Blick in die jüngere EM-Geschichte. 1996 schieden sie unglücklich mit dem Maestro und Offensivguru Arrgio Sacchi aus. 2000 wurden sie des Catenaccios bezichtigt, doch unter Dino Zoff erfanden Francesco Totti und Filipo Inzaghi das schnelle Vertikalspiel nach Balleroberung. Na gut, ob sie es erfunden haben, weiß ich nicht, aber sie haben es erstmals auf eine Spitze getrieben, wenn auch erst nur zu zweit.

Gegen Spanien spielten die Italiener mit einem Libero, Daniele de Rossi. Er spielte das natürlich sehr modern, man nennt das dann Dreierkette. Aber unabhängig davon, mit wie vielen Abwehrspielern die Kette bestückt ist – keine hat das Verteidigen im Raum so verinnerlicht wie die Italiener. Mit langen Bällen ist eine italienische Abwehr kaum zu überraschen, das ist bei allen drin. Offenbar lernen das die Bambini so wie bei uns die Grundschüler das Schwimmen. Müsste man mal checken, ob im Gegenzug die Nichtschwimmerquote in Italien höher ist.

Ich schaue Italien (mindestens) aus zwei Gründen gerne. Erstens aus Trainersicht. Aus ihrem Spiel, ihrer klugen Taktik lässt sich viel lernen. Auch von den Spaniern kann man natürlich lernen, aber so wie sie kann man eigentlich nur spielen, wenn man die entsprechenden Spieler hat. Zweitens kann ich auch dem Verteidigen etwas abgewinnen – ästhetisch, vor allem aber psychologisch. Die Mentalität „Wir lassen uns nichts wegnehmen!“ kann in einer Mannschaft und beim Zuschauen viel Energie freisetzen. Den Italienern ist dieses Jahr wie meist alles zuzutrauen, aber halt auch ein 0:1 gegen Kroatien und ein 0:0 gegen Irland.

Die Spanier sind ja schon ein paar Tage länger hier und bleiben es auch bis nächste Woche, denn ihre Elf trägt dort die gesamte Vorrunde aus. Es sind sehr viele junge Spanier gekommen, von Friedrichshain ist es ja nicht so weit. Sie singen etwas kindlicher als die Iren, aber genauso fröhlich ihr „Yo soy espanol“. Weniger kindlich hörte ich eine Kleingruppe von spanischen Männern skandieren: „Polaca, polaca, yo quiero una polaca.“ Das, hab ich mir versichern lassen, ist im Spanischen keineswegs ein Schimpfwort, aber despektierlich ist es natürlich.

 

Niederlande gegen Deutschland 1:2

  • Mario Gomez traf zweimal für Deutschland
  • Robin van Persie gelang nur der Anschluss
  • Die Niederlande sind so gut wie ausgeschieden
  • Deutschland reicht ein Unentschieden gegen Dänemark, um das Viertelfinale zu erreichen

Fazit

Es hätte so schön werden können, das Spiel der beiden großen Rivalen. Die Niederländer, nach der Auftaktniederlage mit dem Rücken zu Wand, hätten endlich das Offensivfeuerwerk gezündet, das man von ihnen erwartet. Die Deutschen hätten dagegen gehalten und wären mit einem 3:3 vom Platz gegangen. Mindestens. Kurz, es wäre ein Spiel für die Ewigkeit gewesen.

Vielleicht waren die Erwartungen etwas hoch. Es war schließlich kein zweites 1974, kein 1988, kein 1990 und am Ende sicherlich nicht der Klassiker, den sich viele erhofft hatten – was vor allem an den Gegnern in Orange lag. Die Niederländer mussten gewinnen und konnten einfach nicht. Am Ende hatten sie zwar mehr Ballbesitz, aber nur wenige herausgespielte Chancen. Der Anschlusstreffer durch Robin van Persie nach einer Einzelaktion ist bezeichnend für das Spiel der Elftal.

Stattdessen glänzte Mario Gomez. Ausgerechnet Gomez! Der Gomez, den die Kritiker nach dem Spiel gegen Portugal schon aus der Startelf mäkeln wollten. Er bewege sich zuwenig, würde sich wundliegen hieß es. Joachim Löw, ohnehin kein Freund großer Experimente, hielt an ihm fest und das zu Recht: Nach 37 Minuten hatte Gomez zwar wieder nur magere zwölf Ballkontakte – aber zwei Treffer auf dem Konto. Mehr Effektivität geht kaum. Schöner als die Tore waren nur die Pässe von Schweinsteiger. Damit dürfte sowohl die Stürmerdiskussion für den Rest des Turniers erledigt sein als auch die Frage, wie wichtig der Bayern-Block für diese Mannschaft ist.

Hoffen wir eben auf das nächste Pflichtspiel gegen die Niederlande. Vielleicht dauert es ja diesmal keine zwanzig Jahre.

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Kiews Frauen entscheiden die EM

Seit knapp einer Woche lebe ich in Kiew. Ich denke ab und an an Blochin. Oleh Blochin ist ein Mann, wie ihn sich viele Frauen in der Ukraine wünschen. Das sagte mir eine Kollegin von einer Kiewer Zeitung. Er ist stur, grob, dominant, maulfaul und erfolgreich. Auch in deutschsprachigen Artikeln kann man Bewunderung für Blochin lesen. Ich glaube, wenn man bei Journalisten und Frauen gut ankommen will, muss man ein wenig wie Oleh Blochin sein.

Neben Blochin gibt es nur zwei Themen, die mich nachts nicht schlafen lassen. Die U-Bahn und die Frauen. Über beides darf man nicht schreiben, sagte mir ein erfahrener Kollege. Über U-Bahn- oder Taxifahrten schreiben nur Reporter, denen sonst nichts einfällt. Und wer als deutscher Mann etwas über die Frauen in Kiew schreibt, steht für den Leser auf der Schwelle zum Bordell.

Ich habe in dieser Stadt noch kein Bordell gesehen, auch nicht danach gesucht. Ich halte von solchen Geschäften nicht viel. Mir ist etwas anderes aufgefallen. Die Frauen in Kiew sehen schöner aus als die Frauen in Deutschland. In keinem anderen Land habe ich jemals so viele auffallend gutausehende Frauen gesehen wie hier.

Die Brisanz dieser Pauschalisierung ist mir bekannt, ich meine sie ganz subjektiv und ich beziehe mich nur auf das erste äußere Erscheinungsbild. Ich glaube, ich bin kein Macho. Ich möchte niemanden auf sein Äußeres reduzieren. Aber diese Beine, dieser Gang. Nirgends zuvor habe ich so viele ansehnliche High Heels und Miniröcke entdeckt wie auf Kiews Straßen.

Alle Kollegen, die ich bisher traf, sehen das genauso. Einige sind schockiert. Sie kommen nicht damit klar, dass so viele Frauen in Kiew so gut aussehen. Sie reden auch darüber, wenn sie unter sich sind. Einer sagte, weil die ukrainischen Frauen die Männer so verwirren, werden sie die EM entscheiden.

Wieso das so ist, habe ich die Kollegin von der Kiewer Zeitung gefragt. Sie sagte, wegen der Vereinigten Staaten von Amerika. Als es die UdSSR noch gab, sollten die Frauen in der Ukraine nicht sexy aussehen, das passte nicht zum Kommunismus. Sie wollten es aber. Sie wollten so aussehen wie die Frauen in den Musikvideos, die sie aus den USA kannten. Aber damals gab es in der Ukraine noch keine Miniröcke und High Heels. Dann zerbrach die UDSSR, und die Ukrainerinnen konnten alles kaufen, was die Frauen in den Musikvideos trugen. Es gab nur ein Problem: Niemand hatte den Ukrainerinnen gesagt, dass die meisten Amerikanerinnen sich nicht jeden Tag wie in den Musikvideos kleiden.

Das klang logisch, wird von mir und vielen anderen Männern aber nicht als Problem wahrgenommen. Nebenbei, so die Kollegin, sei es auch ein Zeichen der Emanzipation, wenn sich die ukrainischen Frauen sehr feminin kleiden. Darüber denke ich noch nach.

Vor dem ersten Spiel der ukrainischen Nationalmannschaft wollte ich unbedingt zum öffentlichen Training von Oleh Blochin gehen. Ich wollte den Mann, den so viele mögen, live sehen. Ich habe es nicht geschafft. Ich bin mit der U-Bahn sechs Stationen in die falsche Richtung gefahren. Erst als es zu spät war, konnte ich mit einigen Kollegen sprechen, die es geschafft hatten. Sie waren begeistert, von Blochin, noch viel mehr von seiner Tochter.

Irina Blochina ist eine junge Sängerin, der Trainer hatte sie mit zum Pressetermin genommen. Sie trug ein kurzes gelbes Kleid und High Heels. Die Journalisten fotografierten sie und ließen sich mit ihr fotografieren. Danach sind viele positive Artikel über das ukrainische Nationalteam erschienen.

 

#donttellmerkel

Die Iren steigen heute um 20:45 Uhr gegen Kroatien in die EM ein. Man kann von den Iren ja sagen was man möchte. Etwa dass sie nur holzen können, dass sie ihr Spiel auf der Schafsweide lernen oder schwach sind wie eine Whiskeyflasche leer. Aber sicher nicht, dass sie keinen Humor haben, wie die Fans am Flughafen in Dublin beweisen. Die BBC weiß mehr über diese „Aktion“.

Subtle, my friends, very subtle

 

Noch hat Polen nicht verloren

  • Beide Mannschaften mit jeweils einem Platzverweis
  • Griechenland verschoss einen Elfmeter
  • Dortmunds Lewandowski traf für Polen

Fazit Zwei Tore, zwei Rote Karten, ein eingewechselter Torwart, der zum Helden wird – selten war in einem Eröffnungsspiel so viel drin. Das macht Lust auf mehr. Am Ende aber standen die Co-Gastgeber aus Polen etwas bedröppelt da. Es reichte nur zu einem 1:1 gegen den vermeintlich schwächsten Gruppengegner aus Griechenland. Dabei wurde der Grieche Dimitrios Salpingidis zur personifizierten Euphoriebremse. Er war es, der den Ball zum Ausgleich ins polnische Tor schob. Dass es nicht noch schlimmer für die Polen kam, war ihrem Ersatztorwart Tyton zu verdanken. Der war kaum auf dem Feld als er einen Elfmeter von Karagounis hielt.

Die Polen müssen sich fragen, warum sie nach der stürmischen Anfangsphase und der folglichen Führung plötzlich keine Lust mehr hatten, Fußball zu spielen. Noch aber hat Polen nicht verloren.

Schluss Das war’s. Polen ist etwas traurig.

83. Minute Das Spiel jetzt Schwergewichtsboxen, 12. Runde. Wer landet den Lucky Punch? Oder wird’s doch so ein Axel-Schulz-Ding?

Unser Mann in Kiew unterhält sich derweil mit dem ukrainischen Lokalfernsehen, schreibt er. Die nehmen auch jeden.

Was für ein Pech für die Griechen. Und dabei hatten sie kurz zuvor extra Konstantinos Fortounis eingewechselt.

71. Minute Drama, Baby! Was für eine Geschichte. Der frisch eingewechselte Torwart Tyton hält mit seinem ersten Ballkontakt den Elfmeter von Karagounis. Ein neuer Torwart-Tyton?

68. Minute Elfmeter für Griechenland und Rot für Szczesny. Polen ist geschockt.

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Ribéry macht Dampf, Oleh Blochin Stunk

Zwei Bilder, die uns heute aufgefallen sind: Franck Ribéry brütet in der übergroßen Cappuccino-Tasse und Ukraine-Trainer Oleh Blochin wütet vor nervenden Journalisten.

© Franck Fife/AFP/GettyImages

© Alexander Demianchuk / Reuters

 

Für eine Handvoll Futter – Krake Paul ist lange tot, Orakeltier allerdings ein Trendberuf

„Ich schwöre, Noah hat gesagt, die Arche legt erst um 17 Uhr ab“, brachte das Einhorn heraus, als es am verlassenen Bootssteg stand. Doch seine bessere Hälfte schnaubte nur. So oder so ähnlich muss es gekommen sein, dass kein Einhorn zum EM-Orakel erkoren wurde.

Es ist nämlich so: Früher war jedes EM-Orakel ein Tier. Heute ist jedes Tier ein EM-Orakel. Bundesweit haben Lokalradios und Dorfbürgermeister Maskottchen mit hellseherischen Fähigkeiten Hunger gekürt. Von der Ausreißer-Kuh bis zum Zwergotter ist jeder Buchstabe des Alphabets gleich mehrfach belegt, Mops und Möwenschwarm sind nur der Anfang.

Das Allerletzte? Zwergotter-Orakel. Foto: Peter Zschage / Morgenpost Sachsen via dpa

Trendsetter war der inzwischen verblichene Krake Paul aus Oberhausen. Vier von sechs Spielergebnissen sagte er bei der EM 2008 korrekt voraus, bei der WM 2010 lag er bei allen acht Versuchen richtig.

In der Folge erlebte die Krakenforschung ihre Blütezeit. Die Sensibilität von Pauls Geschmackssinneszellen wurde ebenso kontrovers diskutiert wie seine Vorliebe für helle Farben und horizontale Flächen. Ungarns führender Verhaltensforscher Vilmos Csányi erhob gar Manipulationsvorwürfe. Kurz: Es entspann sich ein Drama, das erst mit Pauls Tod im Oktober 2010 endete. Im spanischen Carballiño beteuerte man eilig, nichts damit zu tun zu haben. Das Örtchen ist zwar für seine Tintenfischverarbeitung bekannt, die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Paul nach dem spanischen WM-Sieg habe aber mitnichten den Wunsch nach Filetierung beinhaltet, hieß es.

Denkmal für Krake Paul
Meereszoo-Manager Stefan Porwoll vor dem Denkmal zu Ehren von Orakel-Krake Paul. Foto: Bernd Thissen / dpa

Der Konkurrenzkampf unter den tierischen Orakeln tobte zu diesem Zeitpunkt längst. Mani, der Sittich aus Singapur, wilderte in Pauls angestammtem Revier. Lazdeika, Litauens Lieblings-Harlekinkrabbe, konzentrierte sich lieber auf Basketball, Maggie the Monkey auf Eishockey.

Auf dieses Gebiet hat sich allerdings auch Magdalena spezialisiert, die missgebildete Schildkröte mit den zwei Köpfen.

Köpfchen für zwei: Schildkröte Magdalena, Eishockey-Orakel
Köpfchen für zwei: Schildkröte Magdalena, Eishockey-Orakel. Foto: Jaroslav Podhorsky / dpa

Den Ausgang der Partien der Fußball-EM in Polen und der Ukraine tippt der Eber Funtik in Kiew – mit 380 Kilo ein Leichtgewicht gegen Elefantenkuh Citta aus Krakau. Die hatte sich gegen Esel und Papagei aus demselben Zoo durchgesetzt – mit ihrer richtigen Vorhersage des Champions-League-Siegers. Das Gewerbe professionalisiert sich eben, die ersten Affären um eine Stallorder sind wohl nur noch eine Frage der Zeit.

Derweil drängen Amateure en masse auf den Markt. Hier findet sich eine umfassende Liste. Am Ende wird selbst der sensationellste Sensationssieg von irgendeinem der flauschigen Viecher prophezeit worden sein. Da können die einzelnen Vertreter der Branche Orakel-Tier noch so unqualifiziert sein. Andererseits: Punxsutawney Phil, Titelheld des Films „Und täglich grüßt das Murmeltier“ und Urvater aller Orakeltiere, prophezeit im US-Bundesstaat Pennsylvania wie seine Vorgänger seit 1887 an jedem 2. Februar, wie lange der Winter noch dauert. Mit dürftigem Erfolg: Richtig lag er nur in 39 Prozent der Fälle.

Da könnte man lieber eine Münze werfen. Aber darum geht es ja nicht. Außerdem: Kinder und Tiere gehen immer. Alte Journalistenweisheit.

 

Alle EM-Stadien in Google Street View

Die Errichtung der Spielstätten zählt bei Europa- und Weltmeisterschaften traditionell zu den größten Kostenfaktoren. Auch in Polen und der Ukraine wurden eigens Stadien neu gebaut oder für viel Geld saniert. In einigen Fällen sogar mit sehr viel Geld. Wer schon vor Anpfiff einen Blick in das Innere der Spielstätten werfen möchte, kann das per Google Street View tun:

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(via)

 

Wer spielt edel, wer schläft nur so?

„Wie man sich bettet, so spielt man“ lautet eine alte Fußballerweisheit. Kein Wunder, dass die Mannschaften der Europameisterschaft ganz genau darauf achten, wo sie sich nun betten. Luxus trumpft dabei Reisezeit: Neben dem Gastgeber haben nur zwei weitere Mannschaften (Frankreich und Schweden) ihr Lager in der Ukraine bezogen. Der Rest hat sich auf polnischem Boden eingenistet und darf sich auf weite Wege durch Osteuropa freuen.

Doch was sagen die Häuslichkeiten über die Teams aus? Wer spielt edel und wer schläft nur so? Wir wagen eine Analyse.

Deutschland

© Marcus Brandt/dpa

Schon das Lager der deutschen Nationalmannschaft versprüht mehr Lenor als Jogi Löw beim Hemdenkaufen. „Dwór Oliwski“, Olivaer Hof, heißt das Teamhotel. Es liegt im Danziger Stadtteil Oliwa, auch „Tal der Freude“ genannt, und ähnelt einer Dorfidylle wie man sie sonst nur aus polnischen Heimatfilmen kennt. Ähnlich schmalzig bezeichnete der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach die Wahl als „Liebe auf den ersten Blick“. Dabei sollte man nach den jüngsten Leistungen der Mannschaft eine etwas härtere Gangart erwarten. Soll heißen: mehr Trainingscamp und weniger Wohlfühl-Bubble. Vielleicht brauchen die Deutschen diese provinzielle Idylle aber auch, bevor der BVB-Block sich abspaltet und nächstes Mal als eigenes Team aufläuft. Teilen sich Hummels und Mertesacker eigentlich ein Zimmer?

Griechenland

© Peter Andrews / Reuters

In Griechenland gibt es derzeit wahrlich wenig zu lachen. Deswegen sind die meisten Griechen-Witze noch schlechter als die Quoten auf einen zweiten EM-Sieg. Um es den gebeutelten Südländern dennoch so angenehm wie möglich zu machen, versuchen es die Gastgeber mit Palmen, Marmor und antiker Architektur. Pech nur, dass die Mannschaft auch in der Post-Rehakles-Ära ähnlich altertümlich und oft mit der Grazie eines Baby-Elefanten (im Bild rechts) spielt. Immerhin, das Wein-Angebot des Warszawianka Hotel in Jachranka soll einen hohen Stellenwert genießen.

Spanien

© Peter Andrews / Reuters

Was ist eigentlich mit den Spaniern los? Erst belegt der Verband die Spieler mit einem Twitter-Verbot, dann nehmen sie ein ganzes polnisches Dorf in Beschlag. Selbst die Bewohner Gnewins dürfen die nächsten Wochen nur noch mit Zutrittsberechtigung „einreisen“. Sind das erste Anzeichen von Star-Allüren? Ein Erwachen imperialistischer Wurzeln? Oder hat die „rote Furie“ angesichts der großen Erwartungen einfach Muffensausen? Abgesehen von viel Ruhe bietet das Mistral Hotel auch ein großes Billard-Angebot. Können die Spanier das überhaupt? Einlochen. Ok, doofe Frage.

England

© Kacper Pempel / Reuters

Ganz anders als die Spanier hausen die Engländer. Der gemeine englische Fußballer gilt als geselliges Wesen, bisweilen etwas zu gesellig. Deswegen vergraben sich die Engländer auch nicht in abgesperrten Arealen, sondern beziehen ihr Quartier mitten in Krakaus Innenstadt. Da ist das Leben, da sind die Fans und es ist auch nicht weit, um nach dem Dinner noch einige Pint im nah gelegenen Pub zu zünden oder sich vor den britischen Tabloids zu blamieren. Vielleicht haben die Engländer aber auch mehr Stil als man denkt. Die Zimmer des Hotel Stary jedenfalls sind beeindruckend in Größe und Eleganz, ganz anders als John Terrys Charakter also. Unklar ist, ob auch in Doppelzimmern die Badewanne neben dem Bett steht. Aber wie gesagt: Die Engländer sind ja gesellig.

Portugal

© Reuters

„Wo befreundete Wege zusammenlaufen, da sieht die ganze Welt für eine Stunde wie Heimat aus.“ Dieses Zitat von Hermann Hesse ist in den flauschigen Teppich des Hotels in Opalenica gewoben. Hier gastiert die portugiesische Mannschaft. Erstaunlich, vermutet man hinter Spielern wie Cristiano Ronaldo angesichts seiner Freistoßzelebration doch eher einen Fan gediegener Wildwestliteratur. Sonst hat die Behausung weniger mit der südländischen Heimat als mit nordischem Minimalismus zu tun. Einzig der Preis ist so heiß wie die Sonne an der Algarve: Mit 33.000 Euro pro Tag ist es das teuerste aller EM-Quartiere, Haargel und der Frisör von Fábio Coentrão exklusive. Vielleicht wollten sie es tatsächlich – frei nach Hesse – nur für eine Stunde (oder Vorrunde) buchen.

Schweden

© Gleb Garanich / Reuters

Im Gegensatz zu den Luxushotels der Konkurrenz haben sich die Schweden pragmatisch eingenistet. Das Platium Hotel (nein, hier wurde kein ’n‘ vergessen) außerhalb Kiews versprüht schon von Außen einen Charme zwischen Tanke und Rastplatz. Im Inneren ist es nicht besser: Die Badezimmer sind in stilsicherem Braun gehalten (oder ist das schon Terrakotta?), die Hometrainer sehen aus, als würde an ihnen noch der Schweiß aus UdSSR-Zeiten haften. Das passt einerseits zum schwedischen Spiel (ernst, kompakt, ohne Schnickschnack), stößt sich andererseits an schwedischen Designmaximen (offen, hell, ästhetisch schön). Ob dieser Kulturschock mal gut geht. Was wohl der Lebemann Zlatan Ibrahimović über diese Wahl sagt?