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Kaffeefahrt zur Nazidemo

 

Ein Erfurter Neonaziverein lädt Rechtsextreme zum Aufmarsch in Weimar ein. Unterstützung kommt von einem Busunternehmer aus dem Querdenken-Umfeld.

Von Dominik Lenze

Demonstrierende des Vereins Neue Stärke bei einer Demonstration zum 1. Mai in Erfurt
© dpa/Michael Reichel

Es klingt nach einem behaglichen Städtetrip: „Fahren Sie mit uns gemeinsam in die Stadt der Dichter & Denker“, heißt es auf der Website des sächsischen Busunternehmens Kaden-Reisen. Es gebe ausreichend Zeit für Museumsbesuche, einen Bummel durch die Innenstadt und: auch für den Besuch einer Demonstration – für „die Zukunft unseres Volkes und unserer Kinder“.

Tatsächlich handelt es sich um einen Aufmarsch von gewaltbereiten Rechtsradikalen. Die Erfurter Neonazis Enrico Biczysko und Michel Fischer wollen am Samstag „den gesamten deutschen Widerstand“ auf die Straßen des thüringischen Weimars bringen. Zumindest erhoffen sich das die Vorsitzenden des Vereins Neue Stärke Erfurt. Teile der Parteien NPD und Die Rechte sollen kommen, ebenso kleinere neonazistische Aktionsgruppen.

Mitglieder jagen Flüchtlinge

Der Verein ist der Fluch des Südostens von Erfurt, ebenfalls in Thüringen: „Die dort organisierten Neonazis versuchen durch permanente Bedrohungen und körperliche Angriffe eine rechte Hegemonie zu konstituieren“, also eine Vorherrschaft, sagt Theresa Lauß von Ezra, einer Beratungsstelle für Opfer von Rechtsextremismus. Stützpunkt der Neonazis ist vor allen Dingen der Stadtteil Herrenberg. Von der Tramhaltestelle führt ein schmaler Tunnel in diese Hochhaussiedlung. Dort stehen Vertreter der Neuen Stärke bisweilen und passen auf, wer das Viertel betritt, das sie für sich reklamieren.

Bis letztes Jahr hat die Neue Stärke in Herrenberg auch ein Vereinsheim betrieben. Dort versuchten sie mit Kampfsporttrainings und anderen Angeboten Jugendliche aus dem sozial benachteiligten Stadtteil für ihre Ideologie zu begeistern. Zugleich gingen sie brutal gegen alle vor, die nicht in ihr neonationalsozialistisches Weltbild passen. Im August 2020 jagten Neonazis vor dem Vereinsheim drei Geflüchtete und verprügelten sie. Im Dezember wurde das Versammlungszentrum geräumt. „Aber für bestimmte Gruppen gilt der Stadtteil nach wie vor als Angstraum“, sagt Lauß. „Die Täter und Täterinnen wohnen zum Teil noch dort und es kommt weiterhin täglich zu Bedrohungen.“

Im Streit mit anderen Neonazi-Gruppen

Fischer und Biczysko, die führenden Köpfe der Neuen Stärke, waren schon in zahlreichen rechtsradikalen Parteien und Organisationen aktiv. Ob das bei der Mobilisierung für die Demonstration in Weimar hilfreich sein wird, ist allerdings fraglich: Von der NPD und Der Rechten trennten sie sich im Streit. Seit 2018 suchen sie die Nähe der neonazistischen Kleinpartei der III. Weg. Gemeinsam mobilisierte man zur Demonstration am 1. Mai in Erfurt. Inzwischen scheinen sich die rechten Streithähne allerdings auch mit dem III. Weg überworfen zu haben. Gemeinsame Aktionen gibt es keine mehr.

Die Neonazigruppen, die sich bislang für Weimar angekündigt haben, besuchten einander in den vergangenen Monaten verstärkt gegenseitig auf Demonstrationen. 90 Mitglieder der Neuen Stärke kamen zum Beispiel im Juni nach Dessau, gemeinsam mit den Jungen Nationalisten der NPD und der Aktionsgruppe Dessau-Bitterfeld. Dort griffen Neonazis Journalisten an und bedrohten eine linke Aktivistin. Die Aktionsgruppe Dessau-Bitterfeld wiederum besuchte wenig später die Partei Die Rechte bei einem Aufmarsch in Braunschweig.

Bustouren für Querdenker

Beobachter von Thüringens rechter Szene finden es schwierig einzuschätzen, mit wie vielen Personen am Samstag zu rechnen ist. Bislang würden zumindest öffentlich keine der relevanten Parteistrukturen oder -kader aufrufen, sagt Christoph Lammert vom Verein mobit. In der Vergangenheit habe sich die Neue Stärke nicht durch eine große Mobilisierungskraft hervorgetan, dennoch dürfe man die Gefährlichkeit der Gruppe nicht unterschätzen: „Es ist ein gewaltbereites Publikum“, sagt Lammert.

Das sächsische Busunternehmen, das den nationalsozialistischen Städtetrip bewirbt, dürfte unterdessen seine Freude an den reiselustigen Neonazis haben: Thomas Kaden, Chef von Kaden-Reisen, war Mitglied von Honk for Hope, einem Zusammenschluss von Busunternehmern, der Anhänger der Querdenken-Bewegung zu deren Demonstrationen brachte. Außerdem engagiert sich Kaden bei den rechtsradikalen Freien Sachsen. Die Regionalpartei fordert ein Ende der Corona-Maßnahmen und die Abspaltung des ostdeutschen Freistaates. In seiner Heimatstadt Plauen kandidierte Kaden für die Freien Sachsen erfolglos als Bürgermeister. Nachdem er auf einer Demonstration der neonazistischen Kleinpartei III. Weg gesehen worden war, distanzierte sich der Busverband von seinem Gründer.

Fahrten zu den verschwörungsideologischen Protestevents hat Kaden allerdings nach wie vor im Angebot. Gleichzeitig baut der Reiseveranstalter sein Portfolio nach rechtsaußen aus. Der Städtetrip nach Weimar scheint erst der Anfang zu sein: Auf Facebook verkündet Kaden stolz, sein Unternehmen habe Hilfsgüter ins Flutkatastrophengebiet nach Ahrweiler gebracht – im Auftrag der Neonazis vom III. Weg.