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Es lauscht das Gepflanzte

Stuart Staples ist Sänger der Großstadt-Melancholiker Tindersticks. Mit seinem zweiten Solalbum „Leaving Songs“ knüpft er an das Frühwerk der englischen Band an

Cover Staples

Topfpflanzen, wohin das Auge reicht. Kleine, große, karge, dünne. Farne auf Tellern, Gummibäume in Töpfen, Aloe Vera vor einer rosa angehauchten Zimmerwand. Man kann sich vorstellen, wie sie vom charakteristischen Tremolo des Sängers Stuart Staples in Schwingung geraten, wie ihre Blätter beim Musikhören zittern.

Als der 1965 geborene Musiker aus Nottingham im vergangenen Jahr sein erstes Soloalbum veröffentlichte, hatte das bereits etwas von einem Abgesang auf die opulent orchestrierten Stücke seiner Band. Von Trennung wollte trotzdem niemand reden. Lucky Dog Recordings 03-04 klang wie ein Gegenentwurf zu den Tindersticks: minimalistisch, karg, solitär. Zur Untermalung seiner Texte verzichtete er auf Streicherekstase, eine alte Orgel reichte ihm in seinem kleinen Studio. Das CD-Booklet mit den botanischen Einblicken passte prächtig, zusammen mit Frau Suzanne hatte Staples seine Hauspflanzen ins rechte Licht gerückt. Nur knapp ein Jahr danach folgt nun Solostreich Nummer zwei. Eingespielt worden ist Leaving Songs in Nashville, zusammen mit Lambchop-Produzent Mark Nevers, der zuvor schon Bonnie ‚Prince‘ Billy und Calexico ins Studio begleitete.

Staples macht einen Schritt zurück und einen zur Seite. Er erfindet sich solo nicht neu, sein Kosmos bleibt vertraut. Den Minimalismus der Lucky Dog Recordings hat er in Amerika an der Studiogarderobe abgegeben. Leaving Songs klingt wie eine Rückkehr in die Frühphase der Tindersticks, gepaart mit amerikanischem Liedgut. Große Gefühle packt er in fein inszenierte fünfminütige Pop-Dramen. Wer die Tindersticks nie mochte, für den klingt auch dieses Album nach romantisch-verklärter Rotwein-Musik.

Verflossene Beziehungen, Trennungen und die Unwägbarkeiten des Lebens stellen das narrative Arsenal. Der Titel Leaving Songs ist nicht zufällig gewählt: So viel Abschied war nie. Das Schlagzeug wird dazu zärtlich gestreichelt, das Piano liefert im Verbund mit der akustischen Gitarre Melodien, die im Kopf bleiben. Zwischendurch farbtupfern die Trompeten. Die Lieder stehen und fallen mit Staples Stimme. Man erkennt sie aus Tausenden. Ein in rauchigen Holzfässern gereiftes Timbre weist den Weg. Zwei Mal ergänzen weibliche Stimmen die Lieder zwischen Country-Ballade und Trauer-Pop. Auf Maria McKee hätte verzichtet werden können. Das Duett mit Lhasa de Sela gelingt überzeugender: That Leaving Feeling rauscht im Kindereisenbahnwaggon durch eine alte und eine neue Beziehung.

Leaving Songs ist ein schönes, wenn auch erwartbares Album geworden. An der Prägnanz des Band-Meisterwerks Curtains darf man es nicht messen. Staples hat seinen Frieden mit der Vergangenheit gemacht. Auf Konzerten lächelt er neuerdings des Öfteren. Trauersongs machen glücklich.

„Leaving Songs“ von Stuart Staples ist als LP und CD erschienen bei Beggars Banquet.

Sehen Sie hier „That Leaving Feeling“

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Gute Nachrichten aus der Welt der Klingeltöne

Nelly Furtado reitet auch weiterhin ein wildes Stil-Rodeo. Auf ihrem raffinierten neuen Album „Loose“ öffnet jedes Stück eine neue Tür, hinter die meisten schaut man gerne

Cover Furtado

Unfertig und konfus klangen die ersten beiden Alben von Nelly Furtado. Besonders das letzte, Folklore, bot einen stilistischen Kuddelmuddel. Zwar blitzte das Talent der Kanadierin mit portugiesischen Wurzeln hier und da auf, doch wirkten ihre Alben insgesamt nicht schlüssig. Bei aller Ambition fehlte es an Klarheit, waren die Stücke qualitativ einfach zu unterschiedlich.

Es ist erfreulich, dass sie für ihre neue Platte die Operation Stil-Rodeo nicht verworfen hat. Denn diesmal ist sie gelungen. Pop-Produktionen sind Gemeinschaftswerke und so hat Produzent und Mitkomponist Timbaland sicherlich maßgeblichen Anteil am Gelingen. Er verdiente sich seinen guten Ruf mit vertrackten Rhythmen und ungewöhnlichen Klangkombinationen, erweiterte maßgeblich den Begriff des HipHop und spendete dem Mainstream Innovation. Mit seiner musikalischen Partnerin Missy Elliott schob er sich seit Ende der neunziger Jahre immer wieder an die Spitze der Hitparaden.

Nun also Nelly Furtado. Schon die Single Maneater deutet Großes an. Es ist ein schräges Stück Popmusik, das trockene Schlagwerk und die mit der Vokalspur verschobene Rhythmik klingen ungewohnt. Und trotzdem ist das Lied eingängig und tanzbar. Ist das HipHop? Ist das eine Hymne? Oder ist das nicht vielleicht sogar vollkommen egal, da wir einem universellen Musikentwurf lauschen? Innovativ klingt es jedenfalls und furios.

Die Single gibt ein Versprechen ab. Das nun folgende Album Loose hält dieses in überraschend weiten Teilen. Es beginnt mit einem kurzen digitalen Störgeräusch und dem sagenhaften Stück Afraid. Keine Vorsicht, keine Eingewöhnungsphase. Gleich geht es mitten hinein in ein Experimentierfeld von mindestens zwölf Musikrichtungen und zwei Sprachen. Nelly Furtado denkt überhaupt nicht daran, sich zu entscheiden. Jedes Stück öffnet eine neue Tür, zwischen dem anrüchigen Promiscous und dem zuckersüßen Do It liegen Welten.

Zugegeben: So manche dieser Türen möchte man auch gleich wieder zuschlagen. Der unwirsch eingeworfene Latino-Pop des Stücks Te Busque sowie die Schmonzette In God’s Hands wären auch gut auf dem Soundtrack eines Disney-Films aufgehoben. Den Gesamteindruck stören diese Ausfälle nur wenig. Jedem guten Pop-Album gönnt man schließlich eine Schnulze, selbst wenn sie mittelmäßig ist. Furtado gelingt es, den nötigen Zusammenhalt zu schaffen, der ihr Album von einer flachen Liedersammlung abhebt. Sicherlich auch ein Verdienst Timbalands. Seine bassig-verspielten Rhythmen verbinden sich wunderbar mit ihrem Melodiegespür und ihrer Vokalakrobatik. Manchmal sind sie kurz vor dem Überschlag, immer auf hohem musikalischen Niveau. Man spürt den Spaß, den beide an ihrer Arbeit haben. Loose strotzt vor Raffinesse und sollte keineswegs nur in Form von Klingeltönen genossen werden.

„Loose“ von Nelly Furtado ist als CD erschienen bei Geffen/Universal

Die Plattenfirma stellte uns leider lediglich dreißig Sekunden der Single „Maneater“ zur Verfügung. Deshalb verzichten wir an dieser Stelle ausnahmsweise auf ein Klangbeispiel und verweisen auf Radio und Musikfernsehen, die Website der Künstlerin und die Plattform myspace, dort finden sich zwei vollständige Songs des Albums, „Promiscuous“ und „No Hay Igual“

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Soft angetäuscht: Frau Electras Rockschwalbe

Von links außen spielt sich eine neue Favoritin ins Feld der Berliner Songschreiber. Die Australierin Justine Electra hat den Folk auf dem Fuß und noch ein paar Samples im Ärmel

Cover Electra

Soft Rock? Hilfe, blüht uns hier etwa femininer Kitsch? Weich gespülte Frauenbewegtheit wie von Ani DiFranco und Konsorten? Der Gedanke läge nahe, hätte sich nicht inzwischen längst herumgesprochen, dass Justine Electra wirklich so heißt und sich hinter dem verdächtigen Titel ihrer ersten Langspielplatte ein ganz heißer Tipp verbirgt. Für die schicken Namen der vor wenigen Jahren aus Australien zugewanderten Wahlberlinerin sind tatsächlich ihre musikbegeisterten Hippie-Eltern verantwortlich. Und mit Soft Rock gelingt ihr gerade die seit langem raffinierteste, verführerischste Instandsetzung einiger – Klischees?

Schon das irritierend purpurne Pink des CD-Covers ist der Wahnsinn. Bonbonfarben, aber wärmer, hat es mit den Goldbuchstaben und der Gitarrenattrappe Signalcharakter. So fragil die verschleppten Folk- und Bluesharmonien in den dreizehn Songs erscheinen, im eigenen Echo der doppelt bis dreifach gelegten Vokalspuren wirkt Justine Electras Gesang beinahe beharrlich. Betörend, verstörend kommen einem die hellen Kopfstimmenschlenker nahe wie Fledermäuse im Flug, unberechenbar, zum Greifen lebendig, und plötzlich verschwunden im raschelnden Dunkel von ein paar Akustikgitarrenriffs, psychedelischer Orgel, schlurfenden Rhythmen.

Justine Electra hat eine Zeit lang probeweise mit der Band Tarwater musiziert und sie liebt es, einen gewollt schlampigen Sound mit Knacksern zu betonen. Doch anders als beim oft konstruiert klingenden Datenfolk verströmen ihre Samples die Wärme und den Soul alter Plattenaufnahmen. Darin aufgehoben zerbrechen die LoFi-Intimität, die zarten Lyrics und Melodien niemals völlig, sie gewinnen vielmehr neue Stärke – wie aus kindlichem Fieberglühen.

In dem Song Killalady schließt Justine Electra traditionelles Songwriting mit modernstem R‘n‘B kurz, ohne sich den Schuh wirklich anzuziehen. Ein harmloses Glöckchen zerschneidet wie ein Alarmton das MTV-kompatible „Ah-haa!“ im Chorus, die augenzwinkernd provokativen Beats und kleinen Gitarrenbratzer, und verweist auf die Gefahr: Alte Modelle werden im HipHop oft nur durch neue Dogmen ersetzt, die das Bild der Frau nicht weniger fragwürdig wiedergeben, als im guten alten Zweierkistendrama in der klassischen Ballade.

Auch Erscheinung und Auftreten der zierlichen Sängerin, deren Konzerte im Ruf einer schillernder Atmosphäre stehen, changieren wie ihre Musik und Texte zwischen einem altklug verschlissenen Überbewusstsein und einer ständigen Zerstreutheit. Im banalen Alltag findet sich diese Art wissenden Abgelenktseins häufig bei Müttern und Krankenschwestern – im Künstlerdasein deutet sie auf einen hippieesken Hintergrund. In den Songs Mom & Dad & Me & Mom, Motorhome und Defiant And Proud geht es um unübliche Familienverhältnisse und unruhige Existenzgrundlagen, in denen Justine Electra zugleich den Überlebenswillen einer freiheitlichen naturnahen Sozialordnung schlummern sieht: „Smell the air and feel the leaves / Let’s burn the television / Buy some tennis rackets, books to read.“

Mitsamt Bubblegum-Piano-Clustern entführt sie den Folk von den staubig sonnigen Straßen ihrer Kindheit. Unter dem Nachhall elektronisch verebbender Mundharmonikaakkorde lässt sie in Blues And Reds das trügerische Glitzern der Erinnerung hinter sich: „Somebody‘s been walking in my shoes“. Die Unruhe wird wohl bleiben, in ihr spiegeln sich die vertraute Leere, der ziellose Drang nach Veränderung, die vom virtuell reisenden Großstadtneurotiker bis zum heimlich träumenden Kulturpessimisten jeder in sich wieder erkennt.

„Soft Rock“ von Justine Electra ist als LP und CD erschienen bei City Slang

Hören Sie hier „Killalady“ und „Blues and Reds“

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Zucker in den Ohren

Das Projekt Nouvelle Vague verzauberte vor zwei Jahren den Sommer mit Bossa-Nova-Versionen von Klassikern der Achtziger. Aus einer schönen Idee ist auf ihrem zweiten Album „Bande À Part“ Routine geworden

Nouvelle Vague

Der Moment war unvergleichlich. Der Strand von Saint-Malo im August 2004, hohe Wellen und Wind, Sonne und Meer. Und: Nouvelle Vague, ein Projekt, das die achtziger Jahre musikalisch nach Rio entführt. Dort im Sand geben Marc Collin, Olivier Libaux mit zwei Sängerinnen halbakustisch eines ihrer ersten Konzerte. Love Will Tear Us Apart spielen sie, Mongoloid von Devo und In A Manner Of Speaking von Tuxedomoon. Zärtlich gehauchte Weisen wechseln sich ab mit Punk- und Wave-Klassikern im Bossa Nova-Gewand. Wellen rauschen im Hintergrund, Kindergeschrei ist zu hören und der Geruch von Sonnencreme liegt in der Luft.

Eine der Sängerinnen, Camille, wird wenig später in Frankreich ein Star werden: als Erneuerin des Chansons. In Saint-Malo tanzt sie den Nachmittag über am Strand, singt eine lebensbejahende Version von Too Drunk To Fuck von den Dead Kennedys. Zwischendurch springt sie in die Fluten, um mit Algen behangen zurück ans Mikrofon zu eilen. Die Sonne brennt. Es ist ein merkwürdiger Nachmittag in der Bretagne und Nouvelle Vague liefern den perfekten Soundtrack dazu.

Damals in Saint-Malo und später auf ihrem ersten Album funktionierte die Kombination von New Wave-Liedern und Bossa Nova prächtig. Wer sich darauf einließ, hörte Sommermusik, die den Ahnen der achtziger Jahre fröhlich einen Sonnenbrand ins bleich geschminkte Gesicht zauberte. Zum Bossa wurde aufgespielt, Punk verzärtelte sich zu einem lasziven Versprechen.

So sehr dieses Spiel mit Erwartungshaltungen, mit Provokationen und lüstern-unschuldigen Blicken auf der Bühne zu Beginn funktionierte, so kalkuliert wirkte es später. Die Magie des ersten Mals ist verloren gegangen, auf halbem Weg zwischen Saint-Malo in den Lounge- und Kaffeehäusern der europäischen Metropolen. Auf ihrem zweiten Album Bande À Part verkommt eine an sich gesehen gute Idee zur Masche, zur Routine. Das liegt nicht einmal an der Auswahl der Stücke. Libaux und Collin beweisen einmal mehr genug Spürsinn, auch Abwegigeres aus ihrer musikalischen Sozialisation neben die erwartbaren Klassiker der ausgehenden Postpunk/Wave-Ära zu stellen. Echo & the Bunnnymen (Killing Moon) sind dabei und die Lords Of The New Church (Dance With Me), Visage (Fade To Grey) und Bauhaus (Bela Lugosi’s Dead).

Was auf dem Debüt allerdings Frische und Naivität versprühte, wirkt nun aufgesetzt. Camille hat die Band verlassen. Die beiden neuen Sängerinnen fügen sich in das bereits bestehende Konzept weitaus lieblicher ein. Natürlich macht auch Band À Part an der ein oder anderen Stelle Spaß: Ever Fall In Love von den Buzzcocks ist auch in der Bossa-Version ein guter Song, das vom Pomp befreite Dance With Me bringt einen zum lächeln. Anderes ist überflüssig: Yazoos Don’t Go ebenso wie die schwache Neudeutung von New Orders Blue Monday. Am Ende klebt Zucker in den Ohren.

„Bande À Parte“ von Nouvelle Vague ist als CD und LP erschienen bei PIAS

Hören Sie hier „Don’t Go“

Sehen Sie hier Bilder des Konzerts von Nouvelle Vague in Hamburg

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Die Beatles winken vom Erdbeerfeld

Erst im letzten Jahr hat die englische Band The Superimposers ihr Debütalbum vorgelegt. Ein schönes Stück Retro-Pop mit Anklängen an Beatles und Beach Boys. Jetzt kommt schon die Nachfolge-Platte „Missing“ raus – ohne Einverständnis der Musiker

Superimposers Missing

Es gibt Musik, die ist neu und weckt trotzdem ganz viele Erinnerungen. Da springt plötzlich die modrige Truhe im Dachstübchen auf, und drin liegen verstaubte Bilder längst vergangener Zeiten. Gefühle packen uns, die uns vor Jahren auf Trab gehalten haben, einen aufregenden Sommer lang. Die Musik der Superimposers bringt solch einen fast vergessenen Sommer zurück.

Zauberei? Für zwei englische Jungs, die auf der Retro-Welle reiten, kein Problem: Alte Sounds machen gute Stimmung. Es winken die Beatles vom Erdbeerfeld, und die Beach Boys blinzeln unterm Sonnenschirm hervor. Bei den Superimposers orgeln sich die psychedelischen sechziger und siebziger Jahre in die Gegenwart und werden hier von zurückhaltenden Downbeats empfangen. Kein neues Stilmittel, aber ein wirkungsvolles, wie schon die Traum-Popper von Air und Zero7 gezeigt haben.

Die Superimposers lieben Zitate. Sie bedienen sich ungeniert bei ihren musikalischen Vorbildern und verbinden das Gesammelte zu einer wohligen Flokati-Mischung – durchaus mit eigenem Charakter. Ihre ruhigen, eingängigen Songs sind mit digitalen Mitteln auf analog getrimmt: Schallplatten knistern, Vibraphone klöngeln, Streicher wabern, Schellenkränze rasseln. Dazu lässt die leicht blechern abgemischte Stimme von Sänger Dan Warden den näselnden John Lennon akustisch wieder auferstehen.

Superimposers

Das erste Album The Superimposers von 2005 überzeugte die Kritiker: Man lobte den zeitlosen und lebensbejahenden Sound der Band. In ihm spiegelten sich die Größen der Popgeschichte und ließen dennoch genügend Platz für melancholische, klassische Refrains.

Nun ist eine neue Platte der Briten erschienen – der Albumtitel Missing ist musikalisch wie personell symptomatisch: Kleinodien wie Would It Be Impossible oder Seeing Is Believing vom Vorgängeralbum fehlen gänzlich. Es reiht sich ein netter, belangloser Song an den nächsten. Elektronische Klänge finden hier und da Verwendung, machen die Stücke aber auch nicht interessanter. Wo sich im letzten Jahr die große Welle auftürmte und Sogwirkung entwickelte, plätschert jetzt ein flüchtiger Priel.

Dass die musikalische Qualität dieses Albums so wenig überzeugt, liegt wahrscheinlich daran, dass die Musiker selbst nicht hinter dieser Veröffentlichung stehen. Dan Warden und Miles Copeland waren ein Jahr lang untergetaucht. Ihre Plattenfirma Little League grämte sich grün, denn es mussten Verträge erfüllt werden. Kurzerhand wurde Missing ohne das Einverständnis der Superimposers veröffentlicht. Wohl in der (vergeblichen) Hoffnung, an den Erfolg vom vergangenen Jahr anknüpfen zu können.

Während die Superimposers für ihr Debütalbum die schönsten Perlen aus ihrer Song-Schatulle ausgewählt hatten, wurde jetzt anscheinend der matte Rest zusammengekramt. Herausgekommen ist dabei nicht mehr als ein harmloser Sommer-Soundtrack. Der taugt zwar immerhin dazu, verregnete Juni-Himmel aufzuhellen. Aber superimposing ist das nicht gerade.

„Missing“ und das selbst betitelte Debütalbum (2005) der Superimposers sind erschienen bei Little League Productions

Hören Sie hier „The Little Things“ von „Missing“ und im Vergleich dazu „Would It Be Impossible“ von „The Superimposers“

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Heimliche Lieblingslieder

„Fundamental“ hat beinahe alles, was ein gutes Pet Shop Boys-Album ausmacht: dramatische Mini-Opern, süßliche Schmonzetten, eingängige Melodien und gute Texte. Nur die erste Single ist eine Enttäuschung

Cover Fundamental

Das können die besser, ist mein erster Gedanke, als ich die Vorabsingle zum neuen Album der Pet Shop Boys im Radio höre. I’m With Stupid ist Malen nach Zahlen, berechnet, langweilig, vorhersehbar. Nicht einmal der Refrain ist sonderlich aufregend oder originell. Dabei hatten selbst ihre lauen Alben immer zumindest brillante erste Singles.

Einige Wochen nach der Single erscheint nun Fundamental, das neunte Album der beiden Popper aus Großbritannien, die man immer noch „Jungs“ nennen möchte. Es klingt überraschend gut, frisch. Und ein bisschen nach früher. Das repetitive, beinahe düstere Psychological eröffnet das Album, bleibt noch ein bisschen unentschieden, distanziert. Aber schon der zweite Song The Sodom And Gomorrah Show ist ein Stück klassischer Pet Shop Boys, „Sun, sex, sin, divine intervention, death and destruction“. Vollkommen überdrehte Keyboard-Geigen, einladende Harmonien und ein stampfender Rhythmus machen es zu einer dramatischen Mini-Oper. Dazu gibt es flatterndes Dengeldongel im Hintergrund und einen süßen Refrain, auf den selbst Abba neidisch gewesen wären: „It’s got everything you need for your complete entertainment“. In der Tat. Und so geht es weiter, große Melodien, opernhafte Chöre, originelle elektronische Klänge, beinahe jeder Song bleibt bereits nach dem ersten Hören tief im Ohr stecken.

Zwischen die Tanznummern gestreut finden sich immer wieder die üblichen Popschmonzetten. Die beste davon ist I Made My Excuses And Left. Sie offenbart neben den musikalischen Qualitäten der Band auch das texterische Können von Neil Tennant, seinen feinen, beinahe tragischen Humor. Er überrascht seine Freundin oder seinen Freund – das lässt er eigentlich immer unentscheidbar – mit einem Liebhaber, verweigert der Situation aber die Dramatik, entschuldigt sich stattdessen und geht, um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden. Casanova In Hell erzählt die Geschichte eines gealterten Casanova, der nur noch von Schändung träumt und den Mythos seiner sexuellen Begabungen nur noch aufschreiben kann. Und Luna Park ist, heißt es, ein Bild des aktuellen Amerika. Nichts ist in Ordnung, alles ist düster, im Vergnügungspark aber werden besinnungslos „Brot und Spiele“ zelebriert. Alleine Numb ist musikalisch ein bisschen billig geraten, zu triefend.

Die frühen Neunziger klingen überall durch auf Fundamental. Besonders die flotten Songs Minimal und Twentieth Century werden von hektischen Keyboards und stumpfen Rhythmen vorangetrieben. Das als Rückbesinnung zu begreifen, ist wohl etwas sehr einfach, schließlich klangen die Pet Shop Boys Anfang der Neunziger ganz anders, machten gerade eine eher ruhige Phase durch und zogen sich nach sich überschlagenden Erfolgen etwas zurück.

Überhaupt, über die Pet Shop Boys wird viel Blödsinn geschrieben. Integral sei ein „wuchtiger, faschistoider und zugleich einschmeichelnder Stampfer“, ist zu lesen. Andernorts wird behauptet, Fundamental sei „ein Polit-Album“ – nachdem Release 2002 ihr Gitarrenalbum gewesen sein. Dass es in I’m With Stupid um die Männerfreundschaft zwischen Tony Blair und George W. Bush geht, steht im Presseinfo und wird folgerichtig allerorten wiedergekäut. Und in der Tat, Twentieth Century wirft einen pessimistischen Blick auf die Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts, Indefinite Leave To Remain kommentiert die inhumane europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik, Integral zeichnet ein düsteres Bild der britischen Überwachungsgesellschaft, „we’re moving to a situation, where your lives are simply information“. Aber eine politische Band waren die Pet Shop Boys schon seit Please vor 20 Jahren. All ihre Platten sind reich an Kommentaren zum Geschehen in Britannien, wenn auch meist feinsinnig, zurückhaltend formuliert.

Die letzte Platte der Pet Shop Boys – Release – verstaubte ungerechterweise in den Regalen, weil sie zu introvertiert und ruhig war. Das Schicksal dürfte Fundamental erspart bleiben, mit ihm geht die Band wieder direkt auf die Hörer zu. Beinahe jedes Stück hat das Zeug zum heimlichen Lieblingslied. Mehr kann eine so populäre Band kaum erreichen.

„Fundamental“ von den Pet Shop Boys ist als CD und Doppel-CD (inkl. acht Remixe) erschienen bei EMI/Capitol.

Hören Sie hier „Integral“

 

Zwischen Beethoven und Play Station

Final Fantasy ist das Soloprojekt des Arcade Fire-Violinisten Owen Pallett. Sein kammermusikalisches Album „He Poos Clouds“ steckt voller Doppeldeutigkeiten und Überraschungen

Cover Final Fantasy

Mit The Pooka Sings endet Final Fantasys neue Platte He Poos Clouds. Pookas sind Fabelwesen, Landgeister, die von den südlichen Grafschaften Englands bis nach Irland Märchen und Legenden bevölkern. Ein Pooka spielt den Menschen harmlose Streiche und führt Wanderer in die Irre. Er kann allerdings recht bösartig werden, wenn er betrogene Mädchen rächt. Die treulosen Jünglinge bestraft er mit dem Abschlaffen bestimmter Körperteile.

Ein Gefoppter auch, wer sich die verträumten Texte und elektronisch verstärkten Violinenklänge von Final Fantasy alias Owen Pallett ohne Sinn für Doppeldeutiges anhört. So zart und schwelgerisch auch die Saitenstreiche im Lied des Pookas Kringel an den Himmel malen und die Pianokaskaden dahinperlen wie Schubert-Etüden: Über diesen Himmel ziehen Wolken, deren Herkunft im Albumtitel deftigen Spekulationen ausgesetzt ist.

Schon auf seinem Debüt Has A Good Home zog der hochaufgeschossene hübsche Kanadier, der zuvor bei der Popgruppe The Arcade Fire mitwirkte und sein Soloprojekt nach einer Computerspieleserie bennannte, alle Register seines verwirrenden Könnens. Mit dem unberechenbaren Einsatz von Geige, Loop Pedal und dramatischen Gesangseskapaden räumte er sich den Weg frei zwischen Neofolk und Geräuschpop, ohne eines dieser oder ein anderes Genre wirklich zu streifen. Sein zweites Werk auf dem Kölner Label Tomlab präsentiert nun die nächste Ungleichung: Da jauchzt ein komplettes Kammermusikensemble furios durch die fettesten Harmonien, doch die Arrangements bleiben so transparent, reißen geradezu Löcher in Partituren und kompositorische Logik, dass der romantische Faden der melancholischen Melodien immer wieder durchtrennt wird.

Die Gestik der großen rhythmischen und melodischen Abstände und Sprünge, der plötzlich abbrechenden Bögen und Palletts unvermittelt aufschreiender Stimme legt eine Verwandtschaft zum Experimentellen nahe, doch weit gefehlt. Beim genauen Hinhören erweisen sich die wilden Brüche keineswegs als improvisatorisch motiviert, sondern folgen einem Kalkül. Einerseits erscheint dieses Vorgehen zusammen mit der im Fabulösen und Schöngeistigen verschwimmenden Gesellschaftskritik der Texte wie das folkloristisch verklärte Kunstlied schlechthin, andererseits zielt Owen Palletts manisch-depressive Expressivität daran aber deutlich vorbei.

Der Song This Lamb Sells Condos verzichtet auf die Streicher, die den sanfteren Charakter von Balladen wie If I Were A Carp und I’m Afraid Of Japan tragen. Trillernde Pianoläufe paraphrasieren einen im Kaffeehaus verschlafenen Ragtime mit Kirmesseligkeit und Kinderchor, die luftige Psychedelik und der schrille Popappeal erinnern an die Kinks. Hintergründig war deren manischem Drive seinerzeit stets ein kritischer klarer Geist anzuhören, der den esoterischen Eskapismus der Sixties vermied oder gar verhöhnte. Und schon bei den Kinks hatte das Versponnene in den Songs etwas mit der Ästhetik von Camp zu tun, dem Spiel mit den überbetonten Codes einer behaupteten oder tatsächlichen Homosexualität – was bei Final Fantasy umso mehr zutrifft.

Die Todessehnsucht ist hier die Sehnsucht nach einer totalen Metamorphose, „I read that death by burning means returning as a girl“. Aber es hilft alles nichts, im abschließenden Streit mit dem Pooka klagt Pallett die Märchenfantasie ebenso wie die realsoziale Lüge an: „Do we believe in devils? No. Winged men? The healing pow’r of love? No. Enchantment? Social justice? No“. Der Kobold hebt sich hinfort, und Owen Pallett will die Violine niederlegen – hoffentlich nicht für immer!

„He Poos Clouds“ von Final Fantasy ist als CD und LP erschienen bei Tomlab.

Hören Sie hier „Many Lives -> 49 MP“

 

Während das Rührei leise schmort

Das schottisch-deutsche Trio Music A.M. verbindet elektronische Ästhetik mit einem fast nostalgischen Sinn für Musikgeschichte

Music A.M.

Der französische Komponist Erik Satie komponierte seine Musique Ameublement zwischen 1917 und 1920 als akustischen Hintergrund für bestimmte Räume. So alltäglich wie „das Licht, die Wärme“ sollte die Musik wirken – zum Zuhören war sie eigentlich nicht gedacht. Doch Satie machte einen Fehler: Er komponierte seine kreisenden Muster so berückend schön, dass ihnen die Menschen bis heute andächtig lauschen.

Kreisende Muster gibt es auch bei Music A.M., loopbasierte Tracks nennt man so etwas heute. Deren Funktion geht schon aus dem Projektnamen hervor, für den Vormittag sind sie gedacht. Doch anders als bei Satie, der wiederholt und vergeblich auf seine ursprüngliche Absicht hinwies, geht das Konzept bei Music A.M. geradewegs auf. Seit Wochen bereits ist der tragbare CD-Player in meiner Küche mit Unwound From The Wood bestückt. Immer wieder kommt es zu Momenten großer Rührung, während das Rührei leise schmort.

Die Musik des schottisch-deutschen Trios ist frei von Pathos. Sie scheint wie nebenbei komponiert, und man bemerkt sie erst, wenn sie schon unter der Haut ist. Zunächst nisten sich die gemächlich pulsierenden Beats und tieffrequenten Bassläufe ein, dann verströmen getragene Bläsersätze ein Gefühl von Vertrautheit. Schließlich sind es Luke Sutherlands sehnsüchtig gehauchte Textpassagen, die den ersten Kaffee zu einem Erlebnis außerhalb von Raum und Zeit machen. Dergestalt verstreichen die Tage.

Es wäre nicht verkehrt, Music A.M. eine Allstar-Band zu nennen. Schon seit Mitte der neunziger Jahre bereichern Luke Sutherland, Stefan Schneider und Volker Bertelmann die subkulturelle Musiklandschaft mit Projekten wie To Rococo Rot, Hauschka und Long Fin Killie. Gerade eben hat Schneider als Mapstation eine Platte voll reduzierter Rhythmusstudien veröffentlicht, Sutherland ist inzwischen ein angesehener Romancier. Der kleinste gemeinsame Nenner all ihrer Äußerungsformen ist eine Abneigung gegen Klischees jeglicher Art.

Auf Unwound From The Wood trifft elektronische Ästhetik auf einen fast nostalgischen Sinn für Musikgeschichte. Dazu passt, dass Sutherland in Stars On 45 ein großes Gefühl mit der Zeit verknüpft, als man noch Singles auf seinen Plattenspieler legte. Je genauer man hinhört, desto klarer schält sich der doppelte Charakter dieser Platte heraus: Sie ist zugleich zeitlos und aktuell; sachlich, aber auch sexy.

Man könnte dieses federleichte Gemisch in einer modischen Cocktail-Lounge laufen lassen, es würde sich als gedeckte Klangtapete sicherlich bewähren – doch schade wär’s um die schöne, tiefe Musik.

„Unwound From The Wood“ von Music A.M. ist als CD erschienen bei Quartermass/Alive.

Hören Sie hier „Stars On 45“

 

Aus der Tiefe des Raumes

Die Hamburger Band Halma reist durch Landschaften aus Klang. Und schreibt dort erhabene, ruhige Lieder, die in keine Schublade passen

Halma

Ein sphärisches Rauschen, nur ein paar Sekunden, beinahe unhörbar. Dann setzt ein tiefer, vibrierender Basslauf ein, ganz langsam, Ton für Ton, druckvoll dennoch und bestimmt. Schließlich ein einfaches Klaviermotiv, nur ein paar Tasten, wieder und wieder. Oder ist das ein Glockenspiel? Nach und nach treten weiche Töne einer akustischen und sägende Laute einer elektrischen Gitarre hinzu, außerdem ein paar sanfte Schlagzeugstreicheleien. Bass Strait eröffnet Back To Pascal, das dritte Album der Band Halma. Ein ruhiges Album ohne einen einzigen dramatisierenden Tempowechsel. Wie soll man das nennen? Vielleicht Zeitlupenmusik?

Es scheint, als versetze die Band ihre zahlreichen Instrumente in langsame Schwingungen, um zu horchen, wie sich der Klang breit macht, kurz den Raum einnimmt und schließlich verschwindet. Weite Landschaften aus Tönen entstehen so, verklingen und werden wieder aufgebaut. Das Meiste bleibt schemenhaft, wie im Nebel. Mancher Anschlag der Bass-Saite und des Schlagzeugfells ist so zart, das man ihn sich auch eingebildet haben könnte. Also Traummusik?

Eile jedenfalls haben Halma keine. Ihre Musik kriecht, schleicht, räkelt und windet sich. Wie die Wolken an einem Herbstnachmittag auf dem flachen Schleswig-Holsteinischen Land türmen und ballen sich die sieben Stücke in den Himmel, stehen dort wie Monumente aus Licht und Schatten, beinahe unbewegt. Wie in den Bildern Emil Noldes. Ölgemäldemusik vielleicht?

Vielleicht. Der Musik nur einen Namen zu geben, ist schwierig. Zeitlos sei sie, sagen manche, für reduziert halten sie andere. Manche nennen das Postrock. Alles richtig, alles genauso falsch. Halma setzen ihre Musik zwischen die Stühle, die Genregrenzen. Jazz klingt in den Improvisationen durch. Schneller gespielt wäre manches irgendwie tanzbar oder sogar rockig. Gleichzeitig ist Back To Pascal melodiös und präzise wie eine Popplatte. Und das Prinzip, mit der Verbindung der Genres zu experimentieren, ist in der Tat Postrock-Bands wie Tortoise abgeschaut. Minutenlang oft wiederholen sich die Motive und Läufe. Immer neu und unberechenbar werden sie ineinander verschachtelt, um neue Einflüsse und (elektronische) Spielereien erweitert. So regt jedes Stück eine Vielzahl von Bildern an, löst kleine Filme im Kopf aus. Das Video zu dem Song Beaufort spielt dann auch ganz deutlich auf F. W. Murnaus Stummfilm Nosferatu an. Nennen wir es also Kopfkinomusik?

Back To Pascal ist eine Instrumentalplatte. Einzig Land’s End hat einen Text: „Let Me Travel This Land From The Mountain To The Sea, For That’s The Life I Believe He Meant For Me“ singen sie zweistimmig, Hank Williams finale Worte aus der Country-Ballade Ramblin‘ Man. „And When I’m Gone At My Grave You Stand, Just Say God’s Called Home Your Ramblin‘ Man“. Das Reisen funktioniert als ein Leitmotiv fast aller Songs. Titel wie Bass Strait (die Meeresstraße zwischen Australien und Tasmanien) und Land’s End, aber auch Hektopascal und Beaufort gemahnen an eine Schiffsreise. Hier und da erahnt man das Knarren einer morschen Planke, das Fauchen der sich am Bug brechenden Gischt. Klingt so Fernweh? Ist das Reisemusik?

Probieren wir es einfach ohne Namen: Mit Back To Pascal haben Halma ein beeindruckendes Album voller Gelassenheit und Schönheit erschaffen, berstend vor Ideenreichtum und vor Bildern. Ein Leichtes, sich davon mitreißen zu lassen.

„Back To Pascal“ von Halma ist als CD und LP erschienen beim Hamburger Label Sunday Service.

Hören Sie hier „Land’s End“