Lesezeichen
 

Chance zum wirklichen Dialog verpasst: Angela Merkels Bürgersprechstunde auf RTL

Gestern Abend fand es also statt, das erste „Townhall-Meeting“ mit Angela Merkel – und sie hat das Kind auch gleich beim Namen genannt: Bürgersprechstunde. Die Bundeskanzlerin steht mit Rat und Tat zur Seite. Das ist sicherlich gut und schön, zumal Angela Merkel Bodenständigkeit und Humor bewiesen hat. Allerdings ist sehr fraglich, ob die Veranstaltung wirklich ihr Ziel erreicht hat. Als Bundeskanzlerin muss es Frau Merkel ein Anliegen sein, das Interesse und die Teilnahme der Bürger an der Politik zu fördern. In Ihrer Rolle als Vorsitzende und Spitzenkandidatin der CDU muss sie zudem die Inhalte ihrer Partei transportieren und Stimmen für sich gewinnen. Für beide Zwecke ist ein Townhall-Meeting eine ideale Umgebung: Es erlaubt die direkte Ansprache aller Zuschauer, die durch die Fragesteller repräsentiert werden. Viele dieser Wähler sind bislang unentschlossen, das Potenzial einer solchen Sendung ist groß: Noch weiß ca. ein Drittel der Deutschen nicht, welche Partei sie wählen würden; knapp 30 Prozent sind gemäß einer aktuellen Befragung nicht sicher, ob sie überhaupt an der Bundestagswahl teilnehmen werden.

Diese Gruppe der Unentschlossenen anzusprechen, ist ein Hauptanliegen von Formaten wie dem Townhall-Meeting. Überzeugend war die Veranstaltung allerdings nicht. Das Spontane, das Lebendige und das Flexible fehlten völlig. Die Antworten wirkten vorformuliert – und das waren sie sicherlich auch. Frau Merkel hatte wohl genügend Zeit, sich auf die Fragen in den Videobotschaften einzustellen. Die Bürger aber möchten mehr Authentizität und mehr Spontaneität, sie sind diese hochpolierten, bis an die Grenze durchprofessionalisierten und damit austauschbaren Polit-Köpfe leid. Mehr Emotionalität, mehr Empathie, bitte schön!

Verantwortlich für den Ablauf und den Zuschnitt der Sendung ist natürlich auch der Sender. Er wäre zu fragen, wie viele Botschaften überhaupt eingesandt wurden und nach welchen Kriterien sie ausgewählt wurden? Alles in allem haben beide, Angela Merkel und RTL, die Chancen, die eine solche Veranstaltung bietet, nicht genutzt.

 

Argumente sind nicht alles!

Die Fernsehdebatten zwischen Nixon und Kennedy sind nicht nur legendär, weil es die ersten in einem Präsidentschaftswahlkampf waren, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass Kennedy von Personen, die das erste Duell gesehen haben, als der Sieger des Duells wahrgenommen wurde, während Nixon bei Personen, die das Duell nur im Radio gehört haben, vorne lag. Für Frank Stanton, damals Chef von CBS war „Kennedy bronzed beautifully“, während „Nixon looked like death“. Der Mythos von der Allmacht der Bilder war geboren, denn – so der Schluss – wegen dieses Vorteils im Aussehen hat Kennedy die Debatte (und so die Wahl) gewonnen.

Die Datenbasis dieses Befunds war allerdings lange Zeit dünn, bis der amerikanische Politikwissenschaftler James N. Druckman Jahre später ein kontrolliertes Experiment mit Studierenden, die nichts über das Treffen von Kennedy und Nixon wussten, durchgeführt hat – mit dem gleichen Ergebnis: Nixon schnitt bei Zuhörern deutlich besser ab als bei Zuschauern.

Anlässlich der ersten deutschen TV-Duelle 2002 zwischen Schröder und Stoiber haben wir ähnliche Experimente durchgeführt – ebenfalls mit bemerkenswerten Ergebnissen: Stoiber wurde von Zuschauern nach der ersten Debatte deutlich besser bewertet als von Zuhörern. Sie mochten seine Stimme nicht (im Gegensatz zu Schröders Stimme), dafür fiel ihnen (offenkundig positiv) auf, dass Stoiber häufig freundlich lächelte.

Kandidaten 2009 also aufgepasst: Argumente sind nicht alles!

Literatur
James N. Druckman: The Power of Television Images: The First Kennedy-Nixon Debate Revisited, in: Journal of Politics 65 (2003), S. 559-571
Thorsten Faas, Jürgen Maier: Schröders Stimme, Stoibers Lächeln: Wahrnehmungen von Gerhard Schröder und Edmund Stoiber bei Sehern und Hörern der Fernsehdebatten im Vorfeld der Bundestagswahl 2002, in: Knieper, Thomas/Müller, Marion G. (Hrsg.): Visuelle Wahlkampfkommunikation, Köln 2004, S. 186-209

 

Vorhang auf für starke Inhalte

Dass Personen in Wahlkämpfen immer wichtiger geworden sind, wurde hier bereits mehrfach diskutiert und dargelegt (siehe etwa die früheren Blog-Beiträge zu Angela Merkel und Franz Müntefering). Es wurde dabei auch darauf hingedeutet, dass die Person bzw. der Kandidat nicht alleine den Ausschlag geben kann, sondern in Verbindung zu einem Thema gebracht werden muss. Ursula von der Leyen und die CDU-Familienpolitik sind momentan das beste Beispiel dafür. Am Sonntag steht nun wieder eine Person im medialen Vordergrund: Die Bundeskanzlerin bestreitet ihr erstes „Townhall Meeting“ und stellt sich den Fragen der Bürger.

Natürlich werden die Zuschauer genau darauf achten, wie Angela Merkel zu Fragen Position bezieht, die nicht von Fernsehmoderatoren erdacht wurden, sondern aus der Mitte der Bevölkerung kommen. Und abgesehen davon hat dieses Ereignis noch eine weitere spannende Komponente: Die empirische Forschung hat klar gezeigt, dass mehr und mehr auch die „unpolitischen“ Eigenschaften eines Kandidaten bei der Wahlentscheidung eine Rolle spielen.

Die Geschichte hierzu ist schnell erzählt: Wähler orientieren sich bei der Entscheidungsfindung immer weniger an Parteien, das Grundvertrauen in eine Partei (die so genannte Parteiidentifikation) ist konstant rückläufig und weicht einem Grundvertrauen in politische Köpfe. Vor allem auch aufgrund der Komplexität und des permanenten Wandels der politischen Agenda rücken verstärkt die unpolitischen Eigenschaften der Kandidaten in den Mittelpunkt. Der Wähler beurteilt den Politiker anhand seiner Managementfähigkeiten und seiner Möglichkeit, Dinge kurz und prägnant darzustellen. Auch die angemessene Gestik und Mimik tragen dazu bei, dass ein Politiker jenseits konkreter Themen glaubwürdig, seriös und zuverlässig wirkt und somit das Vertrauen der Wähler genießt. Einige empirische Untersuchungen zeigen sogar, dass phyische Attraktivität förderlich für den Wahlerfolg ist – so etwa ein überzeugendes Papier von Ulrich Rosar und Markus Klein zu „Pretty Politicians“.

Allerdings gibt es trotz dieser interessanten Impulse keine systematischen Hinweise darauf, dass diese unpolitischen Eigenschaften die Bedeutung von politischen Eigenschaften verdrängen. Die „A-Note“, überzeugende Programme und Inhalte, ist nach wie vor das zentrale Kriterium für die Wahlentscheidung; die „B-Note“, die Darstellung und der Ausdruck, gewinnt jedoch an Bedeutung. Zu dieser Kategorie gehört nicht zuletzt auch der politische Instinkt dafür, die richtigen Themen in den richtigen Formaten zum richtigen Zeitpunkt zu präsentieren.

Wenn Frau Merkel nun im Rahmen des „Townhall Meeting“ auf die Bürger zugeht und sich ihren Fragen stellt, dann zeigt sie damit sowohl in der A- als auch in der B-Note ihre Kompetenz…

 

TV-Duelle now and then

Als 1960 Richard M. Nixon mit John F. Kennedy debattierte, hätte er dies nicht tun sollen. Das zumindest war und ist die verbreitete Ansicht unter Politikern, Historikern, Politikwissenschaftlern und allen denen, die von sich behaupten, politisch interessiert und informiert zu sein. Nixon führte bis dahin die Umfragen an und Kennedy war ein recht unbekannter junger Politiker, der keine Gefahr darstellte. Doch es kam anders. Kennedy überzeugte als ein versierter und gebildeter Politiker, sah gut aus und konnte dem amtierenden Präsidenten Paroli bieten. Und er gewann zwei von den drei Debatten. Und er gewann schließlich auch die Wahl. Ob es die Debatten waren oder nicht, lässt sich nicht klar beweisen, aber Millionen schauten zu und erlebten, wie die Debatten in der Medienberichterstattung positiv dargestellt wurden und Kennedys Popularitätswerte danach kontinuierlich anstiegen. In den USA gab es nach der Nixon-Kennedy-Erfahrung bis 1976 keine Debatten mehr. Heute sind sie eine fest institutionalisierte Einrichtung im Wahlkampf.

In der Bundesrepublik (siehe auch die Beiträge hierzu von Jürgen Maier und Thorsten Faas) gibt es seit 1972 Fernsehdebatten, die ursprünglich so genannten Elefantenrunden. Reinhard Appel als Moderator der zweiten deutschen Fernsehdebatte 1972 sagte: „Ich danke den Parteivorsitzenden dafür, dass sie sich … unseren Fragen gestellt haben; ich persönlich finde, das ist mehr Demokratie“. Doch ist es nun mehr Demokratie oder doch nur politisches Marketing? Die Politiker nehmen teil, weil sie Wahlen gewinnen wollen. Sie müssen sich überlegen, ob die Debatten sie ihrem Ziel näher bringen werden oder nicht. Die Forschung zeigt, dass Debatten die Einstellung zu Kandidaten beeinflussen können und somit auch den Wahlausgang. Folglich versuchen die Politiker, diese Debatten in ihrem Sinne zu gestalten.

1990 verweigerte sich Helmut Kohl den Debatten, da er vermutlich der Meinung war, im Jahre Null der deutschen Einheit bei so vielen Parteien im Bundestag und somit Diskussionsteilnehmern, unterzugehen. 1998 forderte Schröder Helmut Kohl zum direkten Vergleich ähnlich den USA heraus, aber Kohl lehnte ab. Seit 2002 sehen wir nun Debatten als Kandidatenkonfrontationen nach amerikanischem Format ohne Beteiligung anderer Parteivertreter. Es gilt nun abzuwarten, wie, wie viele und in welcher Zusammensetzung die Fernsehdebatten vor dieser Herbstwahl wohl stattfinden werden. Es ist anzunehmen, dass weder Frau Merkel noch Herr Steinmeier ein großes Bedürfnis haben, mit den Herren Gysi oder Lafontaine zu debattieren, aber die Frage wird sein, ob die kleineren Parteien eine Elefantenrunde erzwingen können. Sie werden es sicherlich versuchen. Natürlich kann ein Fernsehsender einladen, wen er will, aber dennoch ist zu bedenken, dass in der Bundesrepublik keine Kandidaten, sondern Parteien gewählt werden. Wenn mehr Demokratie dargestellt werden soll, dann müssten eigentlich alle Parteien gehört werden und nicht nur die zwei Bewerber um das Kanzleramt. Erleben wir also „mehr Demokratie“ oder bloßes politisches Marketing?

 

Angie 2.0 – die Kanzlerin gewinnt im Internet

Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker, so viel ist mittlerweile klar, müssen sich im Internet präsentieren. Dabei hielt sich lange der Eindruck, dass die SPD der CDU auf diesem Terrain ein Stück weit voraus sei: Thorsten Schäfer-Gümbel konnte in Hessen dank einer allseits gelobten Online-Kampagne eine noch größere Wahlniederlage verhindern, Heiko Maas setzt im Saarland seit einigen Wochen verstärkt auf Präsenz im Internet und feiert laut jüngster Umfragen überraschende Erfolge. Die Union hingegen ist bisher noch nicht mit aufregend-provokativen YouTube-Spots oder ähnlichen Formaten in Erscheinung getreten. Man beschränkt sich weitestgehend auf bewährte Formen der Internet-Kommunikation, ein Beispiel sind die Video-Podcasts der Kanzlerin, die bereits seit Juni 2006 regelmäßig zu sehen sind und sich großer Resonanz erfreuen.

Seit zehn Tagen präsentieren sich die im Bundestag vertretenen Parteien und ihre Kandidaten nun auch auf der insbesondere von Jugendlichen stark frequentierten Online-Plattform studiVZ (mit diesem Thema beschäftigte sich schon ein Beitrag von Andrea Römmele). Sie präsentieren sich in multimedialen Botschaften und werben um die Nutzer, die sich als Befürworter eines Kandidaten oder einer Partei eintragen können. Ein erster Blick zeigt Überraschendes: Angela Merkel konnte bisher 13.587 Unterstützer gewinnen, Frank-Walter Steinmeier liegt mit 3.846 Anhängern klar hinter der Bundeskanzlerin. Auch auf Facebook, einem anderen sozialen Netzwerk, wo man schon seit längerer Zeit öffentlich Kandidaten unterstützen kann, zeigt sich ein ähnliches Bild.

Unterstützer der Spitzenkandidaten in den sozialen Netzwerken

Stand: 7.5.2009, 14:00 Uhr.

Kann Angela Merkel sich und ihre Botschaften in den sozialen Netzwerken also besser verbreiten als ihr Herausforderer? Die Werte der beiden ähneln den Zahlen, die Umfrageinstitute beispielsweise für die so genannte „K-Frage“ erhoben haben (Wenn man den Kanzler/die Kanzlerin direkt wählen würde, für wen würden Sie stimmen?“). Dort sind die persönlichen Zustimmungswerte der Kanzlerin derzeit knapp doppelt so hoch wie die ihres Konkurrenten.

Dieser Befund wirft eine Frage zum Nutzen des „Web 2.0″ für Wahlkampfzwecke auf: Kann man auf interaktiven Online-Plattformen wirklich Themen setzen und Kandidaten bekannt machen? Oder sind die genannten Unterstützerzahlen nicht eher ein Abbild der allgemeinen Bekanntheits- und Beliebtheitswerte der Kandidaten? Kann Angela Merkel mich online für sich gewinnen oder unterstütze ich sie dort, weil sie mich zuvor schon in TV, Radio, Zeitungen oder auf Veranstaltungen überzeugt hat?

Eine weit verbreitete Kampangen-Weisheit lautet: „Get them where they are“ – Hol‘ die Wähler dort ab, wo sie sind. Dies gilt für die Inhalte, in denen sich die Wähler „heimisch“ fühlen sollen, ebenso, wie für den Ort einer Kampagne: Plakate sollten gut sichtbar positioniert werden, Wahlstände an Plätze mit großem Publikumsverkehr gestellt werden und Fernsehspots in den passenden Programmen geschaltet werden. Das Internet kann diesem Credo nur bedingt folgen, hier gibt es keine „Hauptverkehrsstraßen“, an denen wir früher oder später alle vorbeikommen. Vielmehr kommt es immer auf den entscheidenden Klick an, den nur der Nutzer selbst durchführen kann. Er muss sich aktiv informieren und beispielsweise die Homepage einer Partei gezielt ansteuern.

Die sozialen Netzwerke, die das Internet zunehmend prägen, spielen für Wahlkämpfe sicherlich eine große Rolle. Wahlkämpfer sollten sich aber zugleich der Möglichkeiten und Grenzen bewusst sein und die zur Verfügung stehenden Online-Instrumente zielgerichtet einsetzen. So bietet das Internet beispielsweise schnelle und unkomplizierte Wege für die Organisation von Unterstützern und die Koordination von Wahlkampfaktionen. Wenn das strategische Ziel aber lautet, Themen zu verbreiten und Kandidaten bekannt zu machen, ist nach wie vor die „Offline“-Arbeit entscheidend.

 

TV-Duell 2.0?

Alle reden derzeit vom Internetwahlkampf (vulgo: Wahlkampf 2.0, Online Campaigning), viele reden derzeit auch von TV-Duellen und möglichen Formaten, insbesondere der Möglichkeit eines „Townhall-Meetings“ (siehe hierzu auch den Beitrag von Jürgen Maier). Niemand spricht dagegen bisher von der Kombination beider Wahlkampfformen. Warum eigentlich nicht? Immerhin gab es doch im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf – neben den traditionellen Formaten (einschließlich des Townhall-Formats) – mit den CNN/YouTube-Debates eine echte Innovation in dieser Richtung: Bürger konnte via YouTube ihre Fragen einreichen, ausgewählte Videos mit ihren Fragen wurden den Kandidaten in der Sendung gezeigt, die dann darauf antworteten. Ein schönes Format, aber in der deutschen Diskussion bislang nicht existent. Soweit ist der Internetwahlkampf (oder auch die crossmediale Vernetzung) in Deutschland dann wohl doch noch nicht.

 

Showdown im Fernsehstudio – oder doch woanders?

Dass es auch bei der Bundestagswahl 2009 zu so genannten TV-Duellen zwischen Merkel und Steinmeier kommen wird, stand für Wahlkampfexperten und Wahlforscher eigentlich außer Frage: Zu groß ist der Anreiz der Wahlkampfstrategen, Wähler unter weitgehender Umgehung journalistischer Selektionskriterien direkt anzusprechen. Zu einzigartig ist die Chance, Wählern den Kontrast zum Kandidaten des gegnerischen Lagers unmittelbar vor Augen zu führen. Zu groß war das Publikumsinteresse bei den beiden Fernsehdebatten zwischen Schröder und Stoiber 2002 (jeweils rund 15 Millionen Zuschauer) bzw. der einzigen Live-Konfrontation zwischen Schröder und Merkel 2005 (21 Millionen Zuschauer). Zu groß ist damit der Marktanteil, der die an der Ausstrahlung solcher Duelle beteiligten Sender lockt. Und zu groß ist deshalb der mediale Druck, der auf die beiden Hauptakteure der diesjährigen Bundestagswahl ausgeübt wird.

Die Nachricht des SPIEGEL, dass die Wahlkampfteams der beiden Kandidaten über Anzahl und Format von Fernsehdebatten verhandeln, ist daher wenig überraschend. Dass die Union dabei versucht, die Zahl der gemeinsamen Fernsehauftritte von Merkel und Steinmeier zu minimieren, verwundert auch nicht. Denn erstens knüpft dies an die Strategie des Wahljahrs 2005 an, in dem sich Merkel mit Hinweis auf Terminschwierigkeiten weiteren Live-Diskussionen mit Schröder entzog. Und zweitens ist Merkel jetzt Kanzlerin und hat nur wenig Interesse, der schwächelnden SPD eine Plattform „auf Augenhöhe“ zu bieten. Bemerkenswert ist aber der Vorstoß der Fernsehsender, vom bislang gewohnten Format abzuweichen und auf so genannten Town-Hall-Meetings – also ein Format, in dem Wähler den Kandidaten Fragen stellen dürfen – zu setzen.

Town-Hall-Meetings sind keine deutsche Erfindung. Sie kommen, wie das TV-Duell-Format, das seit der vorvergangenen Bundestagswahl hierzulande gepflegt wird, aus den Vereinigten Staaten. 1992 kam es dort erstmals im Rahmen eines Präsidentschaftswahlkampfes zu einem Town-Hall-Meeting. Bill Clinton, Bob Dole und Ross Perot standen damals 209 parteipolitisch ungebundenen Wählern Rede und Antwort. Town-Hall-Meetings sind also keine Veranstaltung, in deren Rahmen jeder beliebige Fragen stellen kann, sondern ausgewählte Bürger stellen den Kandidaten Fragen, die natürlich vorher von Dritten als einem solchen Ereignis angemessen bewertet wurden. Auch ist ein Town-Hall-Meeting keine basisdemokratische Diskussion zwischen Wählern und noch zu Wählenden. Vielmehr gelten auch hier strikte Regeln – etwa was die Zeit betrifft, in der die Kandidaten eine Antwort geben können. Town-Hall Meetings geben den Bürgern aber das Gefühl, sich – vertreten durch andere Bürger – direkt an die Kandidaten zu wenden. Solche Formate sind besondere Zuschauermagneten; häufig liegt die Sehbeteiligung hier deshalb über der „klassischer“ TV-Debatten.

Über die weiteren Konsequenzen, die sich aus unterschiedlichen Debattenformaten ergeben, ist allerdings nur wenig bekannt. Die wenigen empirischen Ergebnisse aus den USA weisen darauf hin, dass sich Kandidaten in Town-Hall-Meetings zurückhaltender präsentieren: Verbale Angriffe auf den politischen Gegner sind seltener, dafür steigt die Zahl der Aussagen über die eigenen Leistungen und Ziele. Als Ursache hierfür wird die Art der gestellten Fragen gesehen, die sich deutlich von journalistischen Fragen in traditionellen Duell-Formaten unterscheiden. Nachdem Wähler sensitiv auf negative campaigning reagieren, kann sich das Format damit zumindest indirekt auf Zuschauerurteile auswirken. Ob die direkten Effekte von Town-Hall-Formaten auf Wissen, Einstellungen und Verhalten stärker ausfallen als bei klassischen Aufeinandertreffen, ist aber nach wie vor eine ungeklärte Frage. Ein Wechsel zu einem neuen Debattenformat wäre zwar (vor allem für die TV-Sender) interessant und für die Zuschauer sicherlich attraktiv. Angesichts der unklaren Wirkung auf die Wahrnehmungen und Bewertungen der Kandidaten birgt er für die Wahlkämpfer aber ein zusätzliches Risiko. Man darf deshalb gespannt sein, wer sich am Ende der vom SPIEGEL berichteten Verhandlungen durchsetzen wird: Die Medien oder die Wahlkampfstäbe?

 

Expertise integrieren statt outsourcen – das Modell der „Kampa“ war gestern

Jeder erinnert sich an die historische Bundestagswahl von 1998. Dem charismatischen SPD-Kandidaten Gerhard Schröder gelang damals der Regierungswechsel, der zudem nicht auf einer Entscheidung politischer Eliten beruhte (wie etwa der Wechsel von Schmidt zu Kohl im Jahr 1982), sondern einem überzeugenden Wahlsieg zu verdanken war (vgl. den Beitrag von Andreas Wüst zu Wählerbindungen). So zog Schröder nach 16 Jahren schwarz-gelber Regierung mit einer rot-grünen Allianz ins Kanzleramt ein.

Natürlich waren es nicht nur seine Telegenität und seine Persönlichkeit, die der SPD zu einem überzeugenden Sieg verhalfen. Auch die innovative und hochprofessionalisierte Kampagne der SPD trug einen nicht unerheblichen Teil dazu bei. Die Wahlkampfzentrale „Kampa“ der SPD setzte damals einen Meilenstein in der Wahlkampfkommunikation und so wird der Wahlkampf 1998 von Experten nicht umsonst als der erste vollständig professionalisierte bezeichnet. Eine der Zauberformeln war dabei die Loslösung der Wahlkampfzentrale von der Parteizentrale, das sogenannte „outsourcing“ der Wahlkampfexpertise. Die Parteiführung entwickelte ihre Wahlkampfstrategien und Botschaften räumlich getrennt von der Parteizentrale und setzte vor allem auf die Zusammenarbeit mit Beratern und Agenturen. Dieser erlauchte Kreis an Personen war der Dreh- und Angelpunkt der Kampagne, die Parteizentrale wie auch die Mitglieder spielten die zweite Geige. Schnelle, zentralisierte Entscheidungen ohne Diskussionen mit Parteimitarbeitern und Mitgliedern, so lautete das Credo. Dieses Rezept wurde zum Erfolg, als Dauerbrenner taugt es jedoch nicht.

Mit der rasanten Entwicklung des Internets und neuer Informations-und Kommunikationstechnologien können es sich die Parteien heute einfach nicht mehr leisten, ihre Parteizentralen und die Mitglieder außen vor zu lassen. Ohne grassroots campaigning, online communities und Multiplikatoreneffekte lässt sich 2009 kein Wahlkampf gewinnen. Ein professionalisierter Wahlkampf setzt auf Mobilisierung und Koordinierung der Parteibasis durch Internet und direct marketing Elemente: Für diese kommunikative Leistung brauchen die Parteien die Mitarbeiter ihrer Parteizentralen, eine ausgelagerte Wahlkampfzentrale wie bei der Kampa erschwert einen reibungslosen Zugriff auf Personalressourcen und in-house Expertise. Auch ist es die Parteizentrale, die den Kommunikationsfluss zwischen Parteielite und Mitgliedern sicherstellt. Betrachteten die Parteien die Mitglieder in den letzten Jahren eher als unangenehmen Ballast, der Entscheidungen blockiert, so haben sie ihr Potential für den Wahlkampf 2009 wiederentdeckt. Als kommunikativer Knotenpunkt innerhalb der Parteiorganisation, der die interne Kommunikation mit Fraktion und Mitgliedern steuert, hat die Parteizentrale alle notwendigen Ressourcen, die Mitglieder anzusprechen und für den Wahlkampf zu mobilisieren.

So ist es kaum verwunderlich, dass selbst die SPD als Vorreiterin der externen Wahlkampfzentrale dieses Mal auf die Integration von Expertise und die Einbeziehung der Parteizentrale und der Mitglieder setzt. Die Wahlkampfzentrale der SPD, die „Nordkurve“, ist räumlich in das Willy-Brandt-Haus integriert und vereint erfahrene und neue Wahlkämpfer der Partei mit Agenturen und Beratern. Dreh-und Angelpunkt ist jetzt die Parteizentrale, die mit Hilfe ihrer integrativen Position innerhalb der Parteiorganisation das Wahlkampfkonglomerat aus Parteimitarbeitern, Politikern, Parteimitgliedern, Freiwilligen sowie Agenturen und Beratern zusammenführt und steuert. Organisationstheoretisch betrachtet ist das ein guter Schachzug: Die pivotale Funktion und die Personalressourcen der Parteizentrale werden genutzt und das Potential der Mitglieder ausgeschöpft. Am Beispiel der SPD zeigt sich deutlich: Parteien sind durchaus lernende Organisationen, die Trends erkennen und in ihre Strategie aufnehmen. Mit anderen Worten: Ihrem in der Fachliteratur viel diskutierten Niedergang bieten die Parteien mit Organisationswandel die Stirn.

 

Erstwähler-Feldzug im Internet: Wahlkampf auf studiVZ

Der Wahlkampf läuft im Internet bereits auf Hochtouren – ob auf den einzelnen Kandidaten- oder Parteiseiten, überall wird auf die kommenden Wahlen hingewiesen: bunt, frech, chic, kommunikativ. Ein neuer Schwerpunkt liegt dieses Mal sicherlich auf der Nutzung der sozialen Netzwerke wie Facebook oder MySpace. Seit heute finden wir die im Bundestag vertretenen Parteien nun auch auf studiVZ, der Internetplattform für Studenten und Schulabgänger – Erstwähler eben. Laut Angaben der Betreiber tummeln sich in den Netzwerken studiVZ, schülerVZ und meinVZ über 10 Millionen Wahlberechtigte, davon 70 Prozent aller Erst- und Jungwähler.

Und hier gilt es genau hinzuschauen: Das Internet wird nicht als „bloßes“ Kommunikationsmedium betrieben, über das billig und schnell Informationen übermittelt werden können. Das Internet ist Organisationsmedium. Parteien speisen ihre Themen und Botschaften in die sozialen Netzwerke ein. Hierdurch entsteht eine persönliche und direkte Wähleransprache. Und schon die klassischen amerikanischen Wahlstudien aus den 40er Jahren zeigen uns: Unentschlossene Wähler sind im persönlichen Gespräch am ehesten zu überzeugen. Neuere Erkenntnisse bestätigen dies. Wem es also gelingt, mit positivem Touch in den Alltag der Menschen vorzudringen, der ist schon fast am Ziel. Nun ersetzen das Internet bzw. soziale Netzwerke wie Facebook und MySpace nicht die politische Diskussion abends bei Bier oder Wein, aber sie ermöglichen die flächendeckende Organisation der direkten Wähleransprache. Dass diese Art der Kontaktpflege funktioniert, zeigen Untersuchungen zur Verweildauer im Internet und in sozialen Netzwerken. Weltweit steigt die Dauer des Aufenthalts in solchen Netzwerken weit überdurchschnittlich stark an:

Anstieg der Verweildauer im Internet und auf Facebook

Quelle: Fotostrecke zur Nielsen-Studie „Global Faces and Networked Places“ auf SPIEGEL ONLINE

Die Nutzer sehen im sozialen Netzwerk die Kommentare und Antworten von Mitgliedern ihrer Gruppen, aus ihrer community, zu bestimmten Politikern. Und das animiert bzw. überzeugt. In der politischen Soziologie wird in diesem Zusammenhang der Begriff Sozialkapital verwandt, das bestenfalls auch in langfristiges soziales Vertrauen mündet. Wenn ich einen Facebook-Eintrag von Kajo Wasserhövel oder Angela Merkel mit „Daumen hoch – gefällt mir“ kommentiere, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Freunde aus meinem Netzwerk, die vorher keine klare Meinung über diese Politiker hatten, sich meiner Meinung anschließen.

Aber: Irgendwann muss auch mal der Sprung von der online-Plattform ins reale Leben stattfinden. Die Wähler müssen die virtuell vermittelten Botschaften verinnerlichen und sich an sie erinnern, wenn sie in der Wahlkabine stehen. Denn bisher gilt immer noch: Nur dort kann gewählt werden.

 

Plakativ und konfrontativ

Das Stilmittel ist in Deutschland noch immer außergewöhnlich: Die SPD eröffnet den Europawahlkampf 2009 mit einer Plakatkampagne, die dem vor allem aus den USA bekannten „negative campaigning“, dem Attackieren des politischen Gegners, sehr nahe kommt. Auf einem Wahlplakat steht beispielsweise der Slogan „Finanzhaie würden FDP wählen“, daneben prangt ein offensichtlich gefräßiger Hai. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckt der Betrachter in der rechten unteren Ecke das Logo der SPD samt der programmatischen Forderung: „Für ein Europa, in dem klare Regeln gelten“. Außer dem Finanzhaie-Poster wurden auf der Internet-Plattform „Wahlkampf 09″ auch noch zwei weitere Plakate der Kampagne vorgestellt, welche die CDU als Befürworterin von Dumpinglöhnen und die Politik der Linkspartei als „heiße Luft“ bezeichnen.

„Negative campaigning“ ist umstritten, auch in der Wissenschaft. Zum einen widersprechen sich die durchgeführten Studien erheblich in der Frage, ob ein solcher Wahlkampf wirklich der eigenen Partei nützt. Schließlich werden primär nicht die eigenen Stärken, sondern die mutmaßlichen Schwächen des Gegners betont. Diese Form der politischen Auseinandersetzung könnten einige Wählerinnen und Wähler für unangebracht halten. Viele Wahlkampfmanager nehmen demnach offenbar in Kauf, dass unter einer solchen Negativkampagne das Ansehen der eigenen Partei leiden könnte. Man baut jedoch darauf, dass dieser Ansehensverlust sehr viel geringer ist als der, den die attackierte Partei zu erleiden hat.

Allerdings basieren die meisten Untersuchungen zu diesem Thema auf Wahlen in den USA, wo sich Wahlkämpfe gewöhnlich auf ein Duell zweier Parteien oder Kandidaten zuspitzen. Vermutlich wirkt die Logik („Der Verlust meines Gegners ist mein Gewinn“) hier besser, als in einem System mit fünf Parteien. Man könnte ja vermuten, dass von einem Plakat, auf dem die SPD die CDU angreift, insbesondere FDP, Grüne und Linkspartei profitieren. Dies mag ein Grund dafür sein, dass „negative campaigning“ bisher in deutschen Wahlkämpfen noch keine große Rolle spielt und auch die SPD hier eine vergleichsweise milde Variante gewählt hat.

Zum anderen kommen auch aktuelle Studien noch zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen bezüglich der Effekte von Negativkampagnen auf die Wahlbeteiligung. Während einige Forscherinnen und Forscher keinen Einfluss sehen, weisen andere darauf hin, dass die Wahlbeteiligung unter diesen Kampagnen leiden könnte. Das Statement von SPD-Wahlkampfleiter Kajo Wasserhövel, diese „ungewöhnliche Kampagne“ werde Aufmerksamkeit erregen und die Wahlbeteiligung stärken, scheint jedenfalls bisher empirisch nicht belegbar zu sein.

Wir werden sehen, ob die Kampagnen im Superwahljahr 2009 an diesen Befunden etwas ändern werden…