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Wer ist hier links?

 

Leider komme ich erst jetzt dazu, auf den sehr interessanten Beitrag von Kantoos – der damit wieder einmal beweist, dass er einen der interessantesten Blogs betreibt – über die Frage verfasst, was unterLinkssein zu verstehen ist. Dabei nimmt er Bezug auf meine Auseinandersetzung mit dem Aufsatz von Frank Schirrmacher zu dem Thema. Kantoos kritisiert nun, in meiner Kritik an Schirrmacher mache ich den Fehler, Linkssein als Zugehörigkeit zu einem bestimmten Theoriegebäude zu definieren und schreibt:

Aber nichts könnte falscher sein, Links sein ist im Endeffekt eine Frage der Werte und Ziele. (…) Ist das Ziel eine Gesellschaft, in der die Verteilung von Chancen, Einkommen und Reichtum nicht nur den freien Kräften des Marktes unterworfen wird, sondern gesellschaftlicherseits korrigiert wird, und zwar deutlich?

Um darauf zu antworten, muss ich zunächst ausholen. Henry Kaspar hat seine Gerechtigkeitsvorstellungen auf Rawls zurückgeführt, und vieles davon würde ich unterschreiben.

Linkssein bedeutet für mich auf der abstraktesten Ebene, eine Gesellschaftsordnung, die den Menschen eine maximale Selbstentfaltung und Selbstbestimmung ermöglicht. Das ist nicht mit einem liberalen Freiheitsbegriff zu verwechseln, denn manchmal muss der Staat als Agent der Gesellschaft Freiheiten einschränken, um das zu ermöglichen. Ich denke etwa an ein progressives Steuersystem oder auch so etwas wie die Schulpflicht. Wer nichts hat und nichts weiß, der kann auch nicht selbstbestimmt leben. Um es zugespitzt zu formulieren: Gleichheit und Brüderlichkeit sind für mich eine Voraussetzung für Freiheit.

Aber zurück zum Thema: Ob eine politische Maßnahme links oder rechts ist, hängt davon ab, ob sie der Erreichung dieses Ziel dient oder nicht – eine Maßnahme ist nicht automatisch links, weil Keynes sie gutheißt oder Gustav Horn. Insofern stimme ich Kantoos zu.

Wenn ich argumentiere, Bankenrettung sei links und darauf verweise, dass Keynes oder Gustav Horn auch für Bankenrettung sind, dann dient das der Illustration des Standpunkts, nicht der Begründung desselben. Die Begründung ist meine Einschätzung, dass Bankenpleiten katastrophale Folgen für die Wirtschaft insgesamt haben können, die die Selbstbestimmung und Selbstentfaltung vieler Menschen behindern. Wenn der Preis dafür ist, dass ein paar Bankaktionäre profitieren, dann bin ich bereit, ihn zu bezahlen – wobei es auch hier Möglichkeiten gibt, die Lasten etwa durch Sondersteuern gerecht zu verteilen. Man kann die Krisenbanken gerne auch gleich verstaatlichen.

Jede wirtschaftspolitische Maßnahme muss also gemäß ihren absehbaren Wirkungen bewertet werden, welchem Theoriegebäude sie entstammt, solle zweitrangig sein. Folgt daraus, dass die Theorie irrelevant wäre? Ich glaube nicht. Wir bedienen uns ihrer, weil sie Aussagen über die Wirkung verschiedenster Maßnahmen erlaubt. Theorie ist im besten Sinne geronnenes Wissen, dessen man sich bedienen kann.

Ich persönlich habe mich lange bevor ich von Keynes gehört hatte als politisch links definiert. Mich stößt der Vulgärkeynesianismus genau so ab wie der Vulgärliberalismus. Aber wenn ich versuche die Welt zu verstehen, dann komme ich mit einem im weiteren Sinn keynesianischen Rahmen ganz subjektiv einfach weiter als mit anderen Ansätzen.