In der EU scheint es inzwischen Konsens zu sein, dass die Griechen pleite sind und deshalb einen massiven Schuldenschnitt benötigen. Nun ist das mit Staatsinsolvenzen so eine Sache. Es lässt sich schwer feststellen, wann ein Land objektiv nicht mehr in der Lage ist, seine Schulden zurückzuzahlen. William Cline vom renommierten Peterson Institute for International Economics in Washington hat sich die Zahlen noch einmal angeschaut und kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Griechenland ist überhaupt nicht bankrott.
The results here suggest instead that Greece can manage its sovereign debt under the new package so long as it meets the fi scal adjustment targets. So far the evidence is that Greek political leaders are willing to take the extensive and unpopular measures necessary to do so.
Ein zentraler Punkt in der Analyse von Cline ist die Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettoverschuldung. In Europa ist das Konzept der Bruttoverschuldung üblich. Sie misst schlicht die Verbindlichkeiten des Staatssektors. Wenn ein Staat beispielsweise eine Bank mit Verbindlichkeiten von 100 Milliarden Euro übernimmt, steigt die Bruttoverschuldung um 100 Milliarden Euro.
Dabei bleibt aber unberücksichtigt, dass der Staat ja auch Vermögenswerte übernimmt, die wieder zu Geld gemacht werden können. Die Nettoverschuldung rechnet solche Effekte gegeneinander auf. In der Regel spielt das keine große Rolle, es gibt aber Ausnahmefälle. Japan beispielsweise hat nach Daten des Internationalen Währungsfonds eine Bruttoverschuldung von 220 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist die Zahl, die in den Medien immer wieder genannt wird. Die Nettoverschuldung des Landes aber liegt bei nur 117 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) – unter anderem dürfte das daran liegen, dass der japanische Staat Eigentümer der Post ist, die in dem Land ein wichtiger Anbieter von Finanzdienstleistungen ist. Wie auch immer: 117 Prozent ist schon weit weniger dramatisch als 220 Prozent und das könnte ein Grund dafür sein, dass die Japaner mit ihren Schulden gut leben können.
Cline zufolge ist auch Griechenland so ein Ausnahmefall. Ein Großteil des vom IWF im Juli vorhergesagten Anstiegs der Verschuldung auf 172 Prozent des BIP sei darauf zurückzuführen, dass die griechische Regierung mehr Geld in ihre Banken und den Aufbau eines Vorrats an Sicherheiten für den geplanten Anleihetausch im Rahmen der auf dem letzten EU-Gipfel vereinbarten Privatsektorbeteiligung stecken müsse. Würde man diese Verbindlichkeiten mit dem dadurch erworbenen Vermögen gegenrechnen, läge die Schuldenquote um 33 Prozent niedriger.
Cline simuliert nun die Entwicklung der griechischen Nettoverschuldung unter der Annahme, dass die im Juli vereinbarten Vorgaben eingehalten werden.
In the central baseline through 2020 after the July 2011 package, gross debt peaks at 175 percent of GDP in 2012, then falls to 113 percent by 2020; net debt falls from 121 percent of GDP in 2011 to 69 percent by 2020.
Die Nettoverschuldung Griechenlands liegt also im Jahr 2020 bei 69 Prozent der Wirtschaftsleistung – Griechenland stünde besser da als der Durchschnitt der sieben führenden Industrienationen heute, die im Mittel eine Nettoverschuldung von 73 Prozent des BIP haben. Die Zinslast fällt von 7,2 Prozent des BIP in diesem Jahr auf 5,2 Prozent in 2020.
Voraussetzung ist, dass die Griechen einen strengen Konsolidierungskurs fahren. Doch wenn das Land die Privatisierungen vorantreibt, wäre nach Schätzungen von Cline ein Haushaltsüberschuss vor Zinszahlungen von 4,4 Prozent des BIP im Jahr ausreichend. Das ist hart, aber machbar.
Nun ist es wie immer in der Ökonomie: Man kann auch zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Aber Clines Zahlen sind durchaus interessant – und sie sollten all jenen eine Lehre sein, die mit der Insolvenz schnell bei der Hand sind.