Als der amerikanische Finanzminister Tim Geithner vor einiger Zeit vorschlug, auf internationaler Ebene Obergrenzen für die Leistungsbilanzen festzulegen (wohlgemerkt: es ging nicht um die Exporte, sondern um die Exportüberschüsse), ging ein Aufschrei durch das orthodox-ökonomische Establishment in Deutschland: Planwirtschaft, der Versuch der Bestrafung der Erfolgreichen und vieles mehr wurde dem armen Geithner vorgeworfen. Wir spielen eben in der Championsleague und die anderen sollen sich gefälligst anstrengen statt uns herunterzuziehen.
Es ist schon erstaunlich, dass exakt diejenigen, die die deutschen Exportüberschüsse damals verteidigten, jetzt Hans-Werner Sinn zujubeln und eine Begrenzung der Target-Salden fordern. Wie Gustav Horn korrekt schreibt: Ein Überschuss in der Leistungsbilanz bedeutet zwingend, dass Forderungen gegenüber dem Ausland aufgebaut werden. Wer mehr exportiert als er importiert, wird zum Gläubiger der Welt und macht sich damit abhängig von der Zahlungsfähigkeit seiner Handelspartner. Wir tauschen also Güter gegen Papier. Ob das nun Target-Forderungen sind, Lehman-Zertifikate oder kolumbianische Staatsanleihen.
Sinn ist sich dieser Zusammenhänger immerhin bewusst und er hat deshalb als einer der wenigen konservativen deutschen Ökonomen schon vor einiger Zeit auf die Schattenseiten hoher Exportüberschüsse hingewiesen.
Sinns Anhänger dagegen verzichten auf jede Stringenz. Sie wollen den Handelspartnern in Europa die Zentralbankgeldzufuhr abschneiden und trotzdem weiter fleißig Waren dorthin verkaufen. Sie wollen, dass der Rest Europas endlich aufhört, über seine Verhältnisse zu leben, wir aber weiter unter unseren Verhältnissen leben. Sie wollen also, dass der Süden sein Leistungsbilanzdefizit schlagartig reduziert, wir aber weiter Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaften. Wir sollen weiter exportieren, aber niemand soll mehr importieren.
Das passt logisch natürlich überhaupt nicht zusammen – aber es geht nicht um Logik, sondern um Ideologie. Schließlich müssen unsere lieben konservativen Ökonomen ja irgendwie den Spagat hinbekommen, sowohl gegen höhere Löhne zur Stimulierung der Binnennachfrage als auch gegen Rettungsprogramme für die faulen Südeuropäer zu sein. Da verzichtet man dann schon einmal darauf, die eigene Agenda auf Stimmigkeit zu überprüfen.
Der Exportüberschuss mit den großen Target-Defizitstaaten Frankreich, Italien, Griechenland, Portugal und Spanien belief sich im vergangenen Jahr auf 54 Milliarden Euro, das Exportvolumen auf 194 Milliarden Euro. Wird lustig, wenn das alles wegfällt, weil die EZB diese Staaten von heute auf morgen von der Refinanzierung abschneidet.
Eine gewisser Ausgleich der Leistungsbilanz ist im deutschen Interesse – aber niemandem ist geholfen, wenn dieser Ausgleich schlagartig erfolgt. Insofern ist die Strategie, die Anpassung durch Hilfsmaßnahmen zeitlich zu strecken vollkommen richtig. Und auch wenn die üblichen Verdächtigen es nicht wahrhaben wollen: Dieser Chart zeigt, dass genau das passiert: