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Deutschland wieder auf dem Weg in die Deflation

 

Von Inflation ist in Deutschland weit und breit nichts zu sehen. Es geht vielmehr in die andere Richtung: Nach den Zahlen, die heute früh veröffentlicht wurden, lagen die gewerblichen Erzeugerpreise im Mai saisonbereinigt um 0,4 Prozent unter dem Aprilwert, und seit Februar sind sie annualisiert mit einer Rate von nur 0,6 Prozent gestiegen. Die niedrigen Renditen auf Bundesanleihen haben nicht nur damit zu tun, dass Deutschland wegen seiner soliden Staatsfinanzen als Safe Haven gilt, sondern auch damit, dass die Inflationsrisiken minimal sind.

Grafik: Deutsche Erzeugerpreise 3m-annualisiert 1997-1205

Bei den Verbraucherpreisen gab es im Mai bekanntlich ebenfalls einen Rückgang gegenüber April (0,1 Prozent), und nur einen annualisierten Anstieg von 0,4 Prozent seit Februar. Das hatte wesentlich mit der Wende bei den Energiepreisen und dem Rückgang der Einfuhrpreise insgesamt zu tun. Selbst bei den Ausfuhrpreisen herrscht inzwischen absolute Stabilität.

Grafik: Deutsche Verbraucherpreise 3m-annualisiert 1997-1205

Da das reale Sozialprodukt jetzt kaum noch expandiert, wofür vor allem die ZEW- und Ifo-Indikatoren sowie die rückläufigen Auftragseingänge in der Industrie sprechen, ist es für die Unternehmen sehr schwer, ihre Preise zu erhöhen. Der schwache Euro hilft ihnen dabei nur der Tendenz nach, fundamental ändert er nichts an der Tatsache, dass die deutschen Inflationsraten dabei sind, ins Negative abzurutschen. Der wichtigste Grund dafür ist die schwächelnde Weltwirtschaft. Deren reales BIP scheint im zweiten Quartal nur noch mit einer Verlaufsrate von 1,5 Prozent zugenommen zu haben, verglichen mit einem Langfristtrend von etwas unter 3 Prozent. Sowohl in Deutschland als auch global vergrößern sich also die Outputlücken. Schwache Nachfrage kombiniert mit einer Zunahme des potenziellen Sozialprodukts erzeugt stets einen Abwärtsdruck auf die Preise.

Auch von den Löhnen geht keine Inflationsgefahr aus. Im Gegensatz zu dem, was die Medien in letzter Zeit verbreitet haben, und dem Eindruck, der in der Öffentlichkeit entstanden ist, sind die Zuwachsraten auf’s Ganze gesehen immer noch sehr moderat. Im ersten Quartal waren die tariflichen Stundenlöhne gerade einmal 1,9 Prozent höher als vor Jahresfrist. Da die Anzahl der Arbeitslosen seit Januar bei 2,9 Millionen verharrt, was einer Arbeitslosenquote von 6,8 Prozent entspricht, ist nicht zu erkennen, wie und wo Lohninflation entstehen könnte.

Die Europäische Zentralbank druckt derweil als de facto-Lender of Last Resort für die Banken und staatlichen Schuldner des Euroraums agressiv Euro, was denen, die an eine feste Verbindung zwischen Notenpresse und dem Ausgabeverhalten von Haushalten, Unternehmen und Staat glauben, Schweißperlen auf die Stirn treibt. Sie können sich beruhigen: Da der Schuldenabbau bei allen Akteuren obenan auf der Prioritätenliste steht, gibt es diesen Nexus auf absehbare Zeit nicht mehr. Bei unterausgelasteten Kapazitäten wäre er auch in einer „normalen“ Rezession nur sehr schwach. Gegenüber dem vergangenen Jahr haben die Banken Eurolands im April ihre Kredite an den privaten Sektor nur um 0,3 Prozent ausgeweitet; real ist das ein kräftiger Rückgang. Der sogenannte Transmissionsmechanismus zwischen Geldpolitik und nominalem Sozialprodukt funktioniert nicht mehr. Wir kennen das von Japan.

Grafik: M3 und Kredite in der EWU 1999-1204

Das heißt allerdings nicht, dass die EZB nicht noch mehr Gas geben könnte, oder dass das von Vornherein wirkungslos wäre. Je nachdem wie man rechnet, ergibt sich nach der Taylor-Rule für den Leitzins der Notenbank ein „angemessener“ Wert zwischen plus 0,5 und minus 2 Prozent. Da gibt es also noch Spielraum, angesichts der Zinsuntergrenze von Null ist er aber nicht groß. Der stärkste expansive Effekt käme dann zustande, wenn die EZB unter dem Druck der Umstände direkt oder indirekt eine nachhaltige Sanierung und Rekapitalisierung der Banken auf den Weg brächte. Darauf dürfte es in den nächsten Tagen und Wochen wohl hinauslaufen

Tendenziell deflationär wirkt im Übrigen die europäische Finanzpolitik. Das reale BIP von Euroland dürfte in diesem Jahr um etwa 0,6 Prozent niedriger sein als 2011, nicht zuletzt weil die staatlichen Defizite um nicht weniger als 1,7 Prozentpunkte des BIP zurückgefahren werden dürften. Diese extrem pro-zyklische Politik bewirkt für sich genommen im Jahr 2012 einen Rückgang des realen BIP gegenüber 2011 um 0,9 Prozentpunkte. Bislang gibt es noch keinen akzeptierten Plan, wie gleichzeitig das Wachstum nennenswert stimuliert werden könnte. Schulden sollen ja nach dem Willen unserer Kanzlerin nicht mit neuen Schulden bekämpft werden. Das volkswirtschaftliche Verständnis der schwäbischen Hausfrau eben. Strukturreformen am Arbeitsmarkt, bei der Finanzverwaltung und anderen Institutionen brauchen aber Jahre, bis sie sich in höheren Expansionsraten beim Sozialprodukt niederschlagen. Kurzfristig ist nicht viel gewonnen, und langfristig sind wir alle tot.

Solange nicht erkennbar ist, dass sich hier etwas tut, kann ich wohl getrost bei meiner Überschrift bleiben – dass Deutschland auf dem Weg in die Deflation ist.