Nicht der Preis für Rohöl sollte steigen, sondern der Preis, den die Endverbraucher für Benzin, Diesel, Heizöl und andere Erdölprodukte zu entrichten haben. Er ist viel zu niedrig. Zuletzt wurden in Europa trotz der eher lahmen Konjunktur 13,7 Prozent mehr Autos zugelassen als vor einem Jahr, bei einem stark gestiegenen Anteil benzinfressender SUVs. Da auch die Preise für Heizöl im freien Fall sind, wird zudem wieder großzügiger geheizt. Kohle ist so billig geworden, dass sie das vergleichsweise saubere Gas bei der Stromproduktion zunehmend verdrängt.
Mit anderen Worten, die Märkte reagieren auf vorhersehbare Weise auf die Preissignale. Für die Umwelt sind das schlechte Nachrichten: Nachdem in der OECD Jahr für Jahr weniger CO2 in die Atmosphäre geblasen wurde, könnte sich dieser Trend inzwischen gedreht haben – in den Entwicklungs- und Schwellenländern, die sich im wirtschaftlichen Aufholprozess befinden, wird die Umwelt ohnehin erbarmungslos zerstört, ohne dass es Anzeichen dafür gibt, dass sich die Dinge demnächst zum Besseren wenden könnten. Selbst Optimisten rechnen nicht damit, dass sich der Anstieg der durchschnittlichen Welttemperatur in den nächsten Jahrzehnten aufhalten lässt. Die Produktion von Erdöl wird weiterhin so gesteigert, als gäbe es kein Morgen.
Wenn darauf von der Politik nicht rasch reagiert wird, dürften sich die ehrgeizigen Klimaziele, auf die sich 195 Länder am vergangenen Wochenende in Paris geeinigt haben, kaum erreichen lassen. Die Anreize, mehr Treibhausgase freizusetzen, sollten daher so rasch es geht beseitigt werden. Auf die vielen schönen Worte und Erfolgsmeldungen müssen in dieser Hinsicht Taten folgen.
Es gibt grundsätzlich zwei Ansatzpunkte: den Preis und die Menge.
Höhere Preise für Erdölprodukte und andere Kohlenwasserstoffe lassen sich durch höhere Steuern auf den Verbrauch oder die freigesetzte Menge an Treibhausgasen sowie durch handelbare und gleichzeitig knappe CO2-Emissionszertifikate erzielen. Je ehrgeiziger dies gehandhabt wird, desto kräftiger sinkt die Nachfrage, desto besser für die Umwelt. Tendenziell kann sich allerdings durch die Verteuerung der Energie die Inflationsrate erhöhen. Glücklicherweise ist das allerdings im Augenblick ein eher wünschenswerter Effekt, übrigens ebenso wie die weitere Verbilligung der Einfuhren von Erdöl, Kohle und Gas.
Andererseits kann die Politik Vorschriften betreffend den Energieverbrauch oder die Abgaswerte erlassen (etwa pro verkauftes Auto) und/oder umweltfreundliche Technologien fördern (wie bei der deutschen Energiewende). Da die Zeit so drängt, empfiehlt sich ein Mix aus den verschiedenen denkbaren Maßnahmen.
Prinzipiell ist vollkommen klar, wie sich die Klimawende schaffen lässt. Der Teufel steckt in der politischen Umsetzung.
Das wichtigste Argument gegen einen raschen Umstieg auf alternative Energien betrifft den Verlust von Arbeitsplätzen. Wie bei jedem Strukturwandel auf der Angebots- oder Nachfrageseite wird es auch hier zu einem Verlust von Arbeitsplätzen kommen, in diesem Fall etwa bei den Kraftwerksbetreibern, in der Automobilindustrie, bei den Erdölraffinerien, in der Logistik und so weiter. Das ist einer der Gründe, warum die Bundesregierung gleichzeitig die Energiewende vorantreibt und in Brüssel (erfolgreich) gegen eine Verschärfung der Abgaswerte kämpft, also widersprüchliche Positionen vertritt. Jobs sind in Wahlkämpfen wichtiger als saubere Luft. Außerdem verfügen die etablierten Branchen und Monopolisten in der Regel über einflussreiche Lobbys, die sich nicht so schnell geschlagen geben.
Übersehen wird dabei gerne, dass durch den Umstieg auf klimafreundliche Produkte und Verfahren viele neue und zukunftsträchtige Arbeitsplätze entstehen, die Wirtschaft insgesamt modernisiert wird und damit bessere Chancen hat, sich auf den Weltmärkten zu behaupten. Beim Strukturwandel gibt es auf den ersten Blick oft mehr Verlierer als Gewinner, dennoch ist er bei Freihandel, wegen des Drucks der ausländischen Konkurrenten, oft ohne Alternative. Er muss allerdings geschickt und fair organisiert werden. Ich stelle mir zudem vor, dass der Staat angesichts der Zusatzeinnahmen aus den Abgaben und Steuern auf Kohlenwasserstoffe die Steuern auf das Einkommen oder den allgemeinen Verbrauch aufkommensneutral senkt, sodass die Abgabenlast für die Bürger insgesamt unverändert bleibt.
Das zweite Argument hat mit den Kosten des Umstiegs zu tun. Ein wichtiges Element sind dabei die Abschreibungen, die auf die bestehenden Anlagen und die Reserven im Boden vorgenommen werden müssen. Fabriken, die Verbrennungsmotoren herstellen, sind auf einmal nicht mehr viel wert. Darüber hinaus müssen neue Produktionsprozesse und Vertriebswege eingerichtet werden, was natürlich viel Geld kosten kann (immerhin aber auch Jobs schafft). Im Grunde passiert das ständig und ist daher kein ernst zu nehmender Einwand gegen die Verteuerung der Kohlenwasserstoffe.
Zum Dritten: Was ist mit den Trittbrettfahrern? Deutschland oder die Europäische Union dürften zwar willens und in der Lage sein, die Emissionen von Treibhausgas innerhalb weniger Jahrzehnte auf null zurückzufahren. Aber was passiert, wenn die anderen nicht mitmachen und sich stattdessen über ihre Kostenvorteile freuen? Erdöl wird durch den Rückgang der Nachfrage ja immer billiger. Gleichzeitig weht aus Europa sauberere Luft zu ihnen herüber und vermindert damit ihre Umweltbelastung, ohne dass sie etwas dafür zu tun brauchen. Das Rezept gegen eine solche Strategie besteht darin, die Produkte und Dienstleistungen aus den Ländern, die sich durch das Pariser Abkommen nicht wirklich gebunden fühlen, mit Strafzöllen, also Umweltzöllen, zu belegen. Da die EU nach wie vor der größte Wirtschaftsraum und im Handel führend ist, würde eine solche Strategie vermutlich erfolgreich sein, wenn sie nicht in einen Handelskrieg ausartet. Mit anderen Worten, die Länder außerhalb der EU, die sich an die Klimaziele halten, werden durch einen besseren Zugang zu den Märkten unseres Kontinents belohnt. Es fragt sich nur, ob die Europäer tatsächlich mit einer einheitlichen Stimme sprechen würden – ich denke da etwa an die polnische Kohleindustrie oder die Atomstrategie der Franzosen.
Deutschland selbst ist das beste Beispiel dafür, wie der Energieverbrauch und damit der Ausstoß von Treibhausgasen auch dann gesenkt werden kann, wenn die gesamtwirtschaftliche Produktion zunimmt. Nichts spricht dagegen, diesen erstaunlichen Prozess weiter zu beschleunigen. Es wäre gut für unser Land, gut für das Klima und letztlich auch gut für den Arbeitsmarkt – und ein Rollenmodell für die anderen Länder.