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Neue Wohnungen (nicht) „zu teuer für die Masse“

 

In der letzten Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung behauptet Nadine Oberhuber, es gebe zwar einen neuen Bauboom, doch es würden nicht genügend günstige Wohnungen für Mieter und Normalverdiener gebaut. Überhaupt nahmen in den Medien die Themen „unbezahlbare Wohnungen“, „Mietpreisbremse funktioniert nicht“ und „Wir brauchen mehr Sozialwohnungen“ in den vergangenen Wochen einen breiten Raum ein.

Trotz der Aufregung haben wir es nicht wirklich mit einem Problem zu tun. Auch für die finanziell nicht so gut gestellten Haushalte fehlt es nicht an bezahlbarem Wohnraum. Sollte es tatsächliche eine Knappheit geben, wird sie nur vorübergehend sein. Die Märkte sind schon dabei, sie zu beseitigen, nämlich durch das gewohnte Zusammenspiel von Angebot, Nachfrage, Einkommen und Zinsen.

Um mit dem Naheliegenden zu beginnen: So lange angeblich überteuerte Neubauten gekauft oder vermietet werden, gibt es offenbar eine Nachfrage für sie. Sonst würde ja nicht so aufwendig gebaut. Von einem Überangebot kann, soweit ich das sehe, überhaupt keine Rede sein. Es gibt Käufer und Mieter, die in die neu gebauten Wohnungen einziehen. Der springende Punkt ist, dass sie in der Regel irgendwo ausziehen und dort freien Wohnraum hinterlassen, und zwar preiswerten – wenn auch vom Standard her nicht den allermodernsten. Für sich genommen erhöhen die Neubauten die im Markt vorhandenen Wohnungen. Ob die Quadratmeterpreise und Mieten dadurch sinken, hängt davon ab, wie hoch die Zuwachsraten sind.

Grafik: Baugenehmigungen und Baufertigstellungen von Wohnungeni n Deutschland

Zurzeit explodiert die Anzahl der Baugenehmigungen geradezu. In diesem Jahr dürften 350.000 neue Wohnungen gebaut werden, in den beiden folgenden Jahren voraussichtlich jeweils 400.000, sodass sich der Bestand in diesen drei Jahren von etwa 41,5 Millionen auf 42,7 Millionen erhöhen wird, eine Zunahme von 2,8 Prozent oder durchschnittlich rund einem Prozent pro Jahr. Nach 15 Jahren stark rückläufigen Wohnungsbaus geht es jetzt mit großen Schritten in die andere Richtung.

Selten war das Umfeld für einen Bauboom so günstig wie heute: Es hat sich in dieser langen Zeit ein beträchtlicher Nachholbedarf aufgestaut, durch die Zuwanderung gibt es einen Schub bei den Neugründungen von Haushalten, ebenso durch die starke Zunahme der Beschäftigung (zuletzt plus 1,3 Prozent im Vorjahresvergleich) und die Hypothekenzinsen sind real selbst für sehr lange Laufzeiten so niedrig wie seit Menschengedenken nicht mehr.

Hinzu kommt, dass sich das Bauen lohnt, nicht zuletzt als Kapitalanlage angesichts der Nullzinsen auf Sparkonten oder Anleihen. Deutsche Aktien mögen zurzeit eine attraktive Dividendenrendite von 3,16 Prozent aufweisen, sie sind aber zurzeit einem viel größeren Preis- und Kursrisiko ausgesetzt als Immobilien. Warum das? Weil die Nachfrage nach Wohnungen sichtbar und aus den genannten Gründen wohl auch nachhaltig zunimmt. Bis wir es mit einer Blase zu tun haben, also mit Übertreibungen, müssen selbst bei dem jetzigen Expansionstempo mindestens fünf weitere Jahre ins Land gehen.

Grafik: Tabelle: Wohnungsmieten in Deutschland

Angesichts der ausgeprägten Mietinflation dürften sich Wohnimmobilien um einiges besser verzinsen als Aktien. Ich denke, dass eine Rendite von vier bis fünf Prozent realistisch ist, sodass mit weiteren starken Kapitalzuflüssen in den Sektor zu rechnen ist. Immobilien sind zurzeit für Anleger die plausibelste Alternative. Aktien, die bisherigen Favoriten, sind übrigens inzwischen nicht mehr billig: Die 30 Werte des Dax haben auf der Basis der Gewinne der vergangenen vier Quartale im Durchschnitt ein Kurs-Gewinnverhältnis von 22, also weit jenseits des Normalen; selbst auf Basis der für dieses Jahr von den notorisch optimistischen Bankenanalysten erwarteten Gewinne liegt das KGV bei stolzen 12,8.

Während ich mir einigermaßen sicher bin, dass der Wohnungsbestand auf Jahre hinaus um ein Prozent oder sogar mehr pro Jahr zunehmen wird, habe ich Probleme mit der Nachfrage. Von 2010 bis 2014 hatte sich die Anzahl der Haushalte jährlich um rund 0,6 Prozent erhöht. Wenn es so weiterginge, wäre die „Lücke“ zwischen Angebot und Nachfrage rasch geschlossen. Vielleicht haben wir es aber angesichts des Zustroms von Ausländern neuerdings mit höheren Zuwachsraten zu tun, sodass die Nachfrage nicht viel langsamer steigt als das Angebot, oder sogar rascher. Das würde die Mieten weiter in die Höhe treiben – sie nehmen ja schon längere Zeit viel rascher zu als die Verbraucherpreise –, andererseits aber die Bautätigkeit und damit das Angebot noch mehr stimulieren. Auch Immobilienpreise wachsen letztlich nicht in den Himmel.

Es ist gut, dass viel gebaut wird. Je größer das Angebot, desto leichter wird es fallen, eine vom Preis, der Lage und der Ausstattung her passende Wohnung zu finden. Neue Wohnungen sind fast immer besser ausgestattet und teurer als die früher gebauten, aber manche Journalisten, Makler und Politiker können sich jedes Mal neu darüber aufregen. Bei Autos ist es übrigens ganz ähnlich. So ist das eben in einer Marktwirtschaft.

Eine andere Frage ist, wie man den Menschen finanziell helfen kann, für die selbst eine billige Wohnung zu teuer ist. Noch eine andere Frage ist, warum die Disparität im Mietenniveau so groß ist, wieso sich eine große Gruppe von Menschen sehr teure Wohnungen leisten kann, die Mehrheit aber auch mit den niedrigeren Bestandsmieten kaum zurechtkommt. Die zunehmend ungleiche Einkommensverteilung spiegelt sich am Wohnungsmarkt. Die Lösung dieses Problems besteht nicht primär darin, mehr Sozialwohnungen zu bauen, sondern das Steuersystem so umzugestalten, dass sich die Unterschiede in den Nettoeinkommen vermindern.