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Inflationsrate steigt, Zinsen auch

 

Damit die Bondrenditen nicht nur vorübergehend, sondern nachhaltig anziehen und sich damit endlich wieder zu normalisieren beginnen, kommt es vor allem auf Eins an: dass die Inflationsrate weiter steigt – und mit ihr die Inflationserwartungen. Ich gehe davon aus, aber ich sehe auch, dass es immer noch starke Gegenkräfte gibt.

Im vergangenen Sommer hatte der Wind am Rentenmarkt gedreht. Seit dem damaligen Tiefpunkt haben die Renditen der zehnjährigen Bundesanleihen um 0,50 Prozentpunkte (oder 50 Basispunkte) zugelegt, betragen aber immer noch lediglich 0,31 Prozent und sind damit nicht nur deutlich niedriger als die deutsche Inflationsrate, die im Dezember im Vorjahresvergleich 1,7 Prozent erreicht hatte, sondern liegen auch weit unterhalb dessen, was die Marktteilnehmer für den Durchschnitt der nächsten zehn Jahre an Inflation erwarten (1,26 Prozent, abgeleitet aus inflationsindizierten Bundesanleihen). Die Realzinsen dieser Anleihen sind also negativ, zur Freude der Schuldner, zum Kummer der Sparer.

Etwas anders sieht es aus, wenn ich die 10-jährige Bundrendite nicht mit der deutschen, sondern mit der Inflationsrate des Euroraums vergleiche – sie betrug im Dezember 1,1 Prozent. Die langen Realzinsen sind demnach immer noch negativ, mit -0,8 Prozent aber nicht so extrem. Trotzdem bleibt der Weg hin zu einer Normalisierung sehr lang.

Was heisst „normale Rendite“? Für die zehnjährigen Bonds eines europäischen Landes mit gesunden Staatsfinanzen ist sie, grob gesprochen, das Produkt aus der trendmäßigen Wachstumsrate der Produktivität (etwa ein Prozent) und einer Risikoprämie für die mit der Laufzeit ansteigende Anfälligkeit für Kursverluste (vielleicht dreiviertel Prozentpunkte), real also 1,75 Prozent. Um zur „Normalität“ zurückzufinden, müssten die realen Renditen daher von heute an um rund 2,5 Prozentpunkte ansteigen. Für die nominalen Renditen dürfte der Gleichgewichtswert irgendwo zwischen drei und vier Prozent liegen, wenn die EZB in der Zukunft wirklich ihr Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent erreicht.

Das ist alles sehr theoretisch. Wenn die Zinsen steigen, steigen sie oft sehr rasch und tendieren dazu, zu überschiessen. Wenn auf einmal Disinflation und Deflation keine Themen mehr sein sollten, gibt es Gewinnmitnahmen. Rette sich wer kann, heisst dann die Devise. Im Verlauf des Bondbooms, der in den frühen achtziger Jahren begann, ist das Volumen des globalen Rentenmarkts gewaltig gestiegen. Allein das der Staatsanleihen der OECD-Länder dürfte inzwischen 40 bis 50 Billionen Dollar erreicht haben (was etwa ihrem BIP entspricht) – hinzu kommen die Anleihen der Banken und sonstigen Unternehmen. Wenn Anleger versuchen, die Laufzeiten zu verkürzen und das Gewicht von Bonds in ihren Portefeuilles zu vermindern, könnte angesichts dieser Größenordnungen aus dem Gedränge vor dem Ausgang rasch eine Panik werden.

Anleger sollten darauf vorbereitet sein. Als Gesamtheit haben sie allerdings keine Chance, einem allgemeinen Ausverkauf zu entkommen. Wie gesagt, noch haben wir es mit starken Gegenkräften zu tun, die einen crashartigen Ausverkauf für’s Erste unwahrscheinlich machen.

Hier ist eine Liste dieser Kräfte:

  • Nach wie vor ist die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung Eurolands sehr niedrig – da fällt es nicht leicht, Preise zu erhöhen.
  • Die Arbeitslosigkeit liegt bei 9,8 Prozent und geht nur langsam zurück – das hält die Lohninflation in Schach; die sogenannten Lohnstückkosten, der wichtigste Kostenfaktor, nehmen nur mit einer Rate von weniger als ein Prozent zu (siehe die folgende Grafik).

Grafik: Entwicklung der Lohnstückkosten im Euroraum

  • Am Markt liegen die erwarteten europäischen Inflationsraten für die nächsten zehn Jahre zwischen ein und eineinviertel Prozent – sie haben sich in letzter Zeit kaum bewegt. Auch die Analysten schätzen, dass die Inflation auf Jahre hinaus deutlich unterhalb des EZB-Ziels bleiben wird.
  • Der Euro hat seit Mitte 2014 gegenüber dem Dollar stark an Wert verloren und dürfte inzwischen den größten Teil der Abwertung wegen des riesigen Überschusses in der Leistungsbilanz und den relativ gesunden öffentlichen Finanzen Eurolands hinter sich haben – eine neue Aufwertung würde deflationär wirken und so Zinserhöhungen tendenziell verhindern.
  • Die EZB hat bisher noch nicht signalisiert, dass sie demnächst die Zinsen erhöhen könnte – sie ist vielmehr entschlossen, die Geldschleusen noch länger als angekündigt offen zu halten, wenn sich die gewünschten Effekte auf Wachstum und Inflation nicht einstellen.

Und jetzt eine Liste der Faktoren, die für eine Wende bei den Leitzinsen und weiter steigende Bondrenditen sprechen:

  • Durch die starke Abwertung des Euro in den vergangenen zweieinhalb Jahren und den Anstieg der Rohstoffpreise importiert Euroland Inflation.
  • In den vergangenen sechs Monaten sind die industriellen Erzeugerpreise und die Einfuhrpreise annualisiert mit Raten von 4,2 und 4,8 Prozent gestiegen (vgl. die folgende Grafik) – auf den vorgelagerten Stufen der Wertschöpfung hat sich daher eine Menge an Inflation aufgestaut.

Grafik: Produzenten- und  Einfhrpreise im Euroraum

  • Die Fed, die amerikanische Notenbank, beabsichtigt bisher, die Leitzinsen 2017 noch mindestens zweimal anzuheben; in der Vergangenheit sind sowohl Bundesbank als auch EZB stets der Fed gefolgt, wenn auch mit unterschiedlich langem zeitlichen Abstand. Das dürfte diesmal nicht anders sein.
  • Die Geldmengenpolitik scheint bei den Krediten an den privaten Sektor Früchte zu tragen – nach negativen Änderungsraten von minus 2,6 Prozent Mitte 2014 hat sich die Lage ständig verbessert. Zuletzt wurden Zuwachsraten von plus 2,4 Prozent gemeldet. Die Verschuldung bewegt sich in die gewünschte Richtung. Wenn Ausgaben zunehmend mit geliehenem Geld bestritten werden, sind das gute Nachrichten für die Konjunktur und die Inflationserwartungen. Die Bondrenditen steigen, weil es der Realwirtschaft besser geht.
  • Frühindikatoren wie die PMIs (Purchasing Managers‘ Indicators), die Umfragen der EU-Kommission, die Auftragseingänge und Ifo signalisieren eine zunehmende Dynamik der wirtschaftlichen Aktivität – auch aus diesem Grund ist mit einem Anstieg der Inflationserwartungen zu rechnen.
  • Nach Einschätzung der EU-Kommission hat die Finanzpolitik in den Ländern der Währungsunion inzwischen auf „leicht expansiv“ umgeschaltet. Das langsame Wirtschaftswachstum und insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit werden zunehmend als ein Problem für den Fortbestand des Euro empfunden. Zudem sind durch die Erfolge bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen Spielräume entstanden, die genutzt werden können. Höhere Bondrenditen dürften ein Nebeneffekt sein.

Wenn ich mir die Zeitreihe mit den Bondrenditen ansehe, muss ich nüchtern feststellen, dass wir es nicht zum ersten Mal mit einem Ansatz zu einer Trendwende zu tun haben. In den Jahren 1994, 1999, 2005 bis 2008, Ende 2010, im Sommer 2013 und im Frühjahr 2015 kam es jeweils zu einem Anstieg der langen Zinsen, der dem jetzigen in nichts nachstand. Was die Sache diesmal besonders macht, ist die Tatsache, dass der untere Wendepunkt weit im negativen Bereich lag, also nach unten, anders als bei früheren Gelegenheiten, kaum mehr Spielraum war.

Trotzdem ist mir klar, dass ich mich mit meiner Argumentation und insbesondere mit der Überschrift weit aus dem Fenster lehne. Hier ist jemand, der einen Wendepunkt vorhersagt. Ökonomen können das in der Regel nicht.