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Für die EZB ist die Krise vorbei

 

Mario Draghi war bei seiner Pressekonferenz rundum zufrieden mit sich: Die Maßnahmen der EZB seien erfolgreich, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Beschäftigung steigt zügig, und der Abbau der Überschuldung, die bisher einem Aufschwung im Weg stand (siehe die folgende Grafik), ist mehr oder weniger abgeschlossen.

Grafik: Kredite an den privaten Sektor im Euroraum (ggVj in Prozent)

Damit nicht sofort gefordert wird, jetzt möglichst bald die Zinswende einzuleiten, verwies er darauf, dass die Inflationsraten zwar für ein paar Monate bei über zwei Prozent liegen, danach aber wieder deutlich zurückgehen würden. Mit anderen Worten, noch sei es zu früh für einen Kurswechsel, zumal die Löhne, die wichtigste Determinante der Verbraucherpreise, nach wie vor nur moderat steigen und die Inflation eher bremsen als anheizen.

Die Ankaufsprogramme sollen daher bis Ende des Jahres fortgesetzt werden – wenn nötig, könne die EZB noch einmal zulegen. Keine Rede davon, dass auch das genaue Gegenteil eine Option sein könnte. Immerhin ließ Draghi durchblicken, dass sie im EZB-Rat flexibel seien und ihre Politik von der Datenlage abhängig machen wollen. Die Inflationsprognose der Experten der EZB für das laufende Jahr wurde zumindest schon einmal um 0,4 Prozentpunkte auf 1,7 Prozent angehoben. Wenn ich mit meiner Analyse recht habe, dass eine Menge an Inflation in der Pipeline steckt, wird die Inflationsrate keineswegs demnächst wieder deutlich unter zwei Prozent sinken, sondern das ganze Jahr darüber bleiben.

Die Diskussion über den kommenden Kurswechsel wird daher nach einer kurzen Atempause wieder intensiver werden. Wie die nächste Grafik zeigt, dürfte es keinen großen zusätzlichen Bedarf an Liquidität geben: Die Anleihekäufe können jederzeit eingestellt werden, ohne dass dadurch die Rentenmärkte kollabieren.

Grafik: Überschussliquidität der Banken beim Eurosystem

Vollkommen ignoriert hatte Draghi in seinem vorbereiteten Text die internationalen Aspekte seiner Geldpolitik. Wir wissen aber, dass der Zusammenhang zwischen den amerikanischen und europäischen Leitzinsen sehr eng ist und dass sowohl die frühere Bundesbank als auch die EZB nach einer gewissen Anstandsfrist immer der Fed folgten. Das wird auch diesmal nicht anders sein. Vermutlich wird es bereits in diesem Monat angesichts der robusten Konjunktur und des starken Anstiegs der US-Verbraucherpreise zur dritten Erhöhung der Fed Funds Rate in diesem Zyklus kommen; zwei weitere könnten bis zum Herbst folgen.

Was heißt das? Wenn es tatsächlich in den USA mit dem Leitzins in Richtung 1,5 Prozent geht und die EZB einfach stillhält, wird der Euro gegenüber dem Dollar weiter abwerten, was sowohl die Konjunktur als auch die Inflation in Europa stimulieren wird – und den Überschuss in der bilateralen Leistungsbilanz gegenüber den USA noch mehr erhöht. Das wird mit großer Sicherheit als eine unfreundliche Maßnahme seitens der Europäer aufgefasst werden.

Nein, dazu wird es nicht kommen. Ich gehe davon aus, dass die EZB ihren Krisenmodus rascher verlässt als sie sich das jetzt noch wünscht. Normale Zeiten passen nicht zu rekordniedrigen realen Leitzinsen (von etwa minus zwei Prozent). Der Gleichgewichtswert dürfte mindesten drei Prozentpunkte darüber liegen, was einen nominalen EZB-Refinanzierungssatz von drei Prozent impliziert. Dahin geht demnächst die Reise. Das ist der Grund, weswegen die Renditen für lange Laufzeiten jetzt wieder anziehen.