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Die SPD sollte in die Große Koalition gehen – unter drei Bedingungen

 

Die SPD ziert sich zu Recht, erneut in die Große Koalition mit Angela Merkel zu gehen. Am 24. September hat sie das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl seit Bestehen der Bundesrepublik eingefahren. Und in der Opposition plant sie nun sich zu erneuern, um dann bei der nächsten Wahl zum Bundestag wieder punkten zu können.

Doch so viel Ruhe kann sie sich wohl nicht gönnen: Nachdem die FDP die Jamaika-Sondierungsgespräche hat platzen lassen, erhöht sich der Druck auf die SPD, den Staatskarren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Das sollte sie tun – wenn sie drei Bedingungen daran knüpft: Erstens muss sie den Finanzminister oder die Finanzministerin stellen; zweitens muss sie im Koalitionsvertrag festlegen, dass die öffentlichen Investitionen massiv erhöht werden und dass, drittens, die gesetzliche Rente wieder gestärkt wird. Wenn sie das durchsetzen kann und alle Wähler jeden Tag daran erinnert, dass sie an höheren Investitionen und höheren Renten arbeitet, muss sie – würde ich wetten – vor den Wählern keine Angst mehr haben.

Dass die SPD vor vier Jahren nicht den Finanzminister gestellt hat, war ein schweres Versäumnis. Nur im Finanzministerium kann man zusätzlich Geld ausgeben, von dem die Leute auch etwas merken. Das Arbeitsministerium hat zwar den größten Etat, das meiste Geld fließt hier aber einfach nur durch, weil es feste Posten sind, die kaum geändert werden können. Und nur im Finanzministerium ist man politisch jeden Tag sichtbar und kann groß gestalten.

Der Ministerposten allein reicht aber nicht: Nur wenn die SPD massiv dafür sorgt, dass die öffentlichen Investitionen in Deutschland erhöht werden, führt er auch zu einem spürbaren Nutzen bei den Wählerinnen und Wählern und dann auch bei der SPD. Der öffentliche Kapitalstock in Deutschland verfällt. Eltern und Kinder können das jeden Tag besichtigen: Die Schulgebäude verrotten, viele SchülerInnen trauen sich nicht mehr auf die Toilette. Die Unternehmen beklagen sich über marode Straßen, auf denen es zusehends schwieriger wird, ihre Kunden zu beliefern. Besonders in den Kommunen ist es schlimm. Laut Umfragen der Kreditanstalt für Wiederaufbau haben sie einen Investitionsstau von satten 126 Milliarden Euro; und die öffentlichen Nettoinvestitionen sind negativ. Es verfällt also mehr an öffentlicher Infrastruktur als wieder neu aufgebaut wird.

Zu den öffentlichen Investitionen gehört auch der Wohnungsbau. Weil besonders in den Städten die Mieten immer höher klettern, geht ein immer größerer Teil der Einkommen für die Wohnung drauf. Selbst Mittelstandsfamilien finden es immer schwerer, noch ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu finden. Gleichzeitig steigt der Druck auf den Wohnungsmarkt durch die Zuwanderung, was besonders Mieter mit geringen Einkommen zu schaffen macht. Die Regierung kann hier helfen, wenn sie schnell und massiv in den öffentlichen Wohnungsbau investiert.

Der Bund ist zwar nicht für die Kommunen zuständig, weil Bundes- und Kommunalhaushalte zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Nur die Länder können per Zuweisungen die klammen Kassen der Kommunen aufbessern. Aber das darf den neuen Minister oder die neue Ministerin nicht aufhalten: Auch in der Wirtschaftskrise 2008/09 hatte die Bundesregierung viel Geld in die Hand genommen, um es direkt den Kommunen zu geben. Mit einem Gesetz zu Bekämpfung des kommunalen Investitionsnotstands müsste man hier doch was machen können. Der Investitionsstau, der Menschen und Wirtschaft jeden Tag massiv trifft, darf nicht wegen Kompetenzgerangel ins nächste Jahrhundert geschleppt werden. Wo ein Wille ist, sollte auch ein Weg sein.

Das gilt auch für die Verschuldungsgrenzen, die vergangene Regierungen per Schuldenbremsen und europäischer Fiskalpakt dem Staat auferlegt haben. Bund, Länder und Kommunen übererfüllen in den letzten Jahren die Vorgaben aus den Schuldenregeln, und zwar auf Kosten der Investitionen. Es gäbe also selbst mit den Regeln noch genug Spielraum, um Milliarden in die verfallene Infrastruktur zu stecken. Und wenn das nicht geht, muss man halt eine Ausnahme machen. Der neue Minister oder die neue Ministerin könnte dann durch die Lande fahren und haufenweise Fotos von sich machen lassen, wie Schulen dank SPD-Initiative renoviert werden.

Die zweite große Baustelle muss die Rente sein, und die SPD sollte hier klare Kante zeigen: Rauf mit der gesetzlichen Rente! Denn wenn sich jetzt nichts ändert, werden immer mehr Menschen in Altersarmut fallen: Selbst für den berühmten Eckrentner, der 45 Jahre mit Durchschnittslohn seine Beiträge gezahlt hat, geht die Renten den Bach herunter. 2015 bekam er nur noch knapp 48 Prozent seines Gehalts als Rente – 2030 werden es nur noch etwa 44 Prozent sein.

Für die meisten von all jenen, die weder 45 Beitragsjahre auf dem Buckel haben noch dauernd so viel verdient haben wie der Durchschnitt, wird die Rente noch sehr viel geringer sein. Zusammen mit der Arbeitslosigkeit der letzten Jahre haben die Rentenkürzungen schon jetzt dazu geführt, dass immer mehr Menschen über 65 Jahren im Alter von Armut bedroht sind. Die sogenannte Armutsgefährdungsquote der Über-65-Jährigen ist zwischen 2008 und 2016 von 12 Prozent auf knapp 15 Prozent gestiegen. Prognosen rechnen in der Zukunft sogar mit einer Armutsgefährdungsquote der Älteren von 20 Prozent – ein Fünftel der RenterInnen! Wer sein Leben lang gearbeitet hat, muss eine Rente bekommen, die deutlich und nicht nur ein paar Euro über der Sozialhilfe liegt.

Diese Entwicklung schürt nicht umsonst Zukunftsängste. Und die Alternative – die Riesterrente – hat sich als Flop herausgestellt. Zum einen kassieren die Versicherer viel zu hohe Gebühren und stecken sich damit einen Teil der staatlichen Förderung in die Tasche, zum anderen führen die niedrigen Zinsen für viele dazu, dass real kaum mehr Zuwachs beim privat Ersparten bleibt. Die Löhne aber steigen – und damit auch die Beiträge der gesetzlichen Rente. Die Rente also wieder armutsfest zu machen, das wäre eine wichtige Aufgabe einer sozialdemokratischen Regierung. Wie das geht, hat übrigens Österreich vorgemacht.

Infrastruktur und Rente – das sind die Themen, die jeden Menschen in diesem Land angehen und jeden Tag beschäftigen. Hier könnte die SPD zulangen und sich als Verteidigerin nicht nur der kleinen Frau und des kleinen Mannes sondern auch der Mittelschicht präsentieren. Das wäre der Preis, den sie von Angela Merkel verlangen müsste, damit Neuwahlen verhindert werden und Merkel noch vier Jahre Kanzlerin bleiben kann. Damit könnte sie zeigen, dass ihr Wahlslogan „mehr Gerechtigkeit wagen“ nicht nur ein inhaltloser Werbespruch war.