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Innereien und Äußerlichkeiten

Das war das Thema der zweiten JRE-Cooking Jam Session in Rothenburg. Wir trafen uns im historischen Schäfersaal in der Kochschule von Christian Mittermeier und kochten das, was vielen Köchen am meisten Spaß macht: Innereien, Kaldaunen, ….

Es herrschte das typische „Jeunes Restauranteur“-kameradschaftliche Klima: rumfrotzeln und gegenseitige Wertschätzung. Die Teilnehmer legten los und verarbeiteten folgende tierische Produkte: Kalbskopf mit samt Ohren, Maske, Zunge, Bries und Backen. Leider kein Hirn. Des weiteren Kalbsherz, Kutteln und Lüngerl. Blut, Herz, Nieren, Leber vom Schwein und Onglet vom Rind, was ja eigentlich keine Innerei ist, aber ziemlich nah dran. Daher auch das Synonym Nierenzapfen.

Es trafen sich: Anton Schmaus, Michael Philipp, Andreas Hillejan, Christian Mittermeier und ich. Die ganze Aktion wurde für die Nachwelt festgehalten und wird demnächst hier verlinkt.

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In Aktion: Anton Schmaus und Christian Mittermeier, der Rest guckt zu und staunt

 

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Viele bunte Teller vom Kalbskopf, gekocht von Michael Philipp und seinem Assistenten Robert Manz

Von mir gab es einen Klassiker: den Kuttelkuchen, den ich seit 25 Jahren hin und wieder mal in den Ofen schiebe

Zum Kuttelkuchen passt ein Wildkräutersalat (im Winter natürlich Feldsalat), gerne auch gegrillte Steinpilze oder auch mal mit gehobelten Trüffeln, ganz nach Gusto

Buchtipp: Das Schlachtfest – Rezepte rund ums Schwein, Verlag Tre Torri,  verfasst von meinem Freund Burkhard Schork, Metzgermeister und Küchenmeister

 

Ein Himmel voller Schinken

Im Nördlinger Ries, der einzigartigen durch einen Kometeneinschlag entstandenen Landschaft zwischen Stuttgart, München und Nürnberg, betreibt Jockl Kaiser sein besterntes Restaurant „Meyers Keller“.
Das Ries ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Gebiet: Durch den gewaltigen Rumms vor vielen Millionen Jahren ist ein 500m tiefes Loch entstanden, einzelne Steine flogen bis zu 450km weit und alles Leben ringsum erlosch auf einen Schlag. Nachdem sich in der Vertiefung für zwei Millionen Jahre ein See bildete, versalzte und danach wieder verschwand, wurde später daraus eine fruchtbare und einzigartige Gegend mit unverwechselbarer Geologie, Fauna und Flora. Nahezu rund und flach, mitten in den Hügeln der fränkischen und der schwäbischen Alb. Dieser Kessel von mehr als zwanzig Kilometern Durchmesser ist heute an seinem Rand von Bäumen gesäumt und liegt immer noch mehr als hundert Meter tiefer als der Rest des gesamten Landstrichs.
Jockl ist, solange ich ihn kenne, ein wirklich unverbesserlicher Idealist. Getrieben von einem regelrechten Jagdfieber nach den besten Produkten, beseelt vom Drang alte und gefährdete Sorten und Arten zu erhalten, sucht er stets das Reine und Wahre. Er bekniet Bauern, ihm nach seinen Vorgaben Lebensmittel zu erzeugen und wird nicht müde, seine hehren Überzeugungen Tag für Tag gegen einfachere, leichtere, pragmatische Haltungen zu verteidigen. Das macht ihn manchmal unbequem und dafür bewundere ich ihn.
Sein elterlicher Betrieb, einst eine Brauerei, ist heute Sterne-Restaurant, Wirtshaus und Biergarten in einem. Die großen Kastanien im Garten hatten früher den Zweck die weit darunter liegenden Eiskeller schattig zu halten. Diese Eiskeller halten, heute auch ohne Eis, 12 Meter unter dem Biergarten das ganze Jahr über eine natürliche Temperatur von 12°C bei recht hoher Luftfeuchtigkeit. Das sind optimale Voraussetzungen zur Schinkenreife. Jockl hat sich den König der Schinken, den Culatello, zum Vorbild genommen um aus regionalem Fleisch ein absolutes Spitzenprodukt herzustellen. Dazu wird die Ober- und die Unterschale von schweren heimischen Sauen gesalzen und in einer Schweinsblase sorgfältig vernäht. Die Reife unter der Decke dauert zwei Jahre lang und an Gewicht bleibt gerade einmal die Hälfte übrig. Ungeräuchert, ungewürzt und bei seiner Herstellung lediglich sich selbst und den natürlichen Prozessen überlassen entsteht so der König der Schinken, dessen filigranes und vielschichtiges Aroma mit Worten nur unzureichend zu beschreiben ist.
Etliche Versuche waren notwendig um den richtigen Dreh herauszufinden. Die Abstimmung mit den Lebensmittelbehörden war aufwendig, doch von Erfolg gekrönt und Jockl hat unendlich viel Zeit, Geld und Energie darauf verwendet, sich und seinen Gästen den Traum vom Schinkenhimmel zu verwirklichen. Er ist nach Italien gereist, hat die theoretischen und praktischen Grundlagen studiert. Manches hat er übernommen, anderes verworfen oder verbessert. Er hat die Methode auf seine Produkte und seine Möglichkeiten übersetzt, hat gewagt und gewonnen.

Nach zwei Jahren Reife wird der Culatello abgenommen, von der Schnur befreit und für zwei Tage in Weißwein eingelegt, damit die steinhart getrocknete Blase aufweicht und entfernt werden kann. Aufgeschnitten wird sein Culatello auf einer alten Berkel, deren schweres und scharfes Messer hauchdünne und gleichmäßige Scheiben eher hobelt als schneidet. Ob auf Risotto oder einer Scheibe Graubrot, ob in Kombination mit Fisch, Fleisch oder auch pur: Des Kaisers Ärschchen (dt. Ubersetzung von Kaisers Culatello) ist eine Pionier-Leistung bei der Bearbeitung regionaler Produkte und ein mutmachender Beleg dafür, dass manchmal auch die Idealisten gewinnen.

 

Drauf losgekocht

Bei fröhlichen Kochen unter Freunden war Fachwissen ebenso gefragt wie die Lust, mal etwas Neues auszuprobieren. So testeten 5 Jeunes Restaurateurs, wie die mitgebrachten und zubereiteten Wolfsbarsche schmeckten und brachten spontan verschiedene Gerichte auf die Teller. Den Loup als Cevice, mit Allgäuer Steinpilzen, im Salzteig gebacken, gegrillt mit Haut und ohne, dazu die üblichen Verdächtigen wie verschiedene Kresse, Paprika-Gel, Limetten-Mayonnaise usw.
Jeder kochte nach eigenem Gusto und die Ergebnisse waren so unterschiedlich wie die Köche. Dennoch waren wir uns relativ einig darüber, dass Aquafarming eine Notwendigkeit für den Erhalt der Wildbestände ist. Aber vielleicht gibt es Fische, die sich besser dafür eignen als Wolfsbarsch.

 

Amrumer Lamm

Eine Salzwiese ist ein eigenartiger und faszinierender Lebensraum. Bereits auf kleinster Fläche zeigt sich ein kraftstrotzender und vielfältiger Bewuchs, der sich offenbar bestens mit den wirklich rauen klimatischen Bedingungen arrangiert hat. Ein Potpourri von sattgrünen Pflanzen, durchsetzt mit bunten Blüten. Strandflieder, Strandastern, Portulak-Salzmelden, natürlich Queller, Sode und Strand-Wermut, Salz-Spärkling und Meersenf sind nur einige Vertreter einer üppigen Vegetation, die oftmals mit Schafen beweidet wird. Bereits beim Vorbeiradeln geht von diesem Stück intaktem Lebensraum eine regelrechte Faszination aus, die Luft ist geschwängert von Kräuterduft und Salz, kreischende Möwen und rauschende Brandung vermitteln Ursprünglichkeit und Romantik. Auf Amrum gehen die Dinge ihren Gang, die Insel bietet sich an für einen geschlossenen Kreislauf zur Aufzucht, Schlachtung und Verarbeitung von Schafen und Rindern.
Es scheint eine Art von friesischer Unaufgeregtheit zu geben, die sich auch im souveränen Umgang mit hochwertigen Lebensmitteln manifestiert. Es wird nicht besonders viel Tamtam um die Herkunft der Waren gemacht. Es erscheint vielmehr normal und natürlich, dass (für einen leicht höheren Preis) die Butter und Milch von den Halligen, die Eier aus Föhr und der Käse von der Festlandküste kommen. Die Qualität der Produkte ist bemerkenswert gut und entspricht überhaupt nicht dem Vorurteil, dass Genuss in Süddeutschland größer geschrieben würde als im Norden der Republik. Einer der besten Botschafter dieser Köstlichkeiten ist Johannes King vom Söl´ring Hof in Rantum, der sich für Feinheimisch einsetzt.

Der wöchentliche Rhythmus, in dem Helge Dethlefsen aus Nebel seine Lämmer schlachtet, kommt mir sehr entgegen. So kann ich eine abgehangene, gut gereifte Lammkeule aus der Vorwoche erstehen und dazu tagesfrische Innereien. Schade, dass diese sonst nur als Hundefutter verkauft werden… Die Keule habe ich ausgelöst, zugeschnitten und alle Teile außer der Haxe in kleine Steaks von jeweils ca. 70g geschnitten. Das Fleisch ist mürbe, trocken und saftig zugleich, von marzipanartiger Struktur. Ich habe es mit griechischem Joghurt, Bohnenkraut, weißem Pfeffer, Zwiebeln und Knoblauch noch einige Stunden mariniert. Die Innereien wurden in walnussgroße Stücke geschnitten, dann mit Paprika, Zwiebeln und Speck zu kleinen Schaschliks gespießt. Beides wurde anschließend auf Holzkohle gegrillt und sorgte für manchen Zungenschnalzer.
In meiner kulinarischen Welt lege ich größeren Wert auf Produktqualität als auf Regionalität. Aus diesem Grundsatz leitet sich manche, zugegebenermaßen technokratisch geprägte Sichtweise zu Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln ab. Ich erlaube mir gerne und mit gutem Grund amerikanisches Rindfleisch zu verarbeiten. Doch wenn mit Tradition und mit Fleiß, mit Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit alles so gut zusammenpasst, wie es hier der Fall ist, dann ist Amrum zumindest in dieser Hinsicht eine Insel der Glückseligen. Und darauf gilt es gut aufzupassen!

 

Welcher Fisch gehört in die Pfanne?

Heiß zur Sache ging es im historischen Schäfersaal zu Rothenburg. Draußen herrschten hochsommerliche Temperaturen, drinnen brutzelten die Fische in der Pfanne und 5 Jeunes Restaurateurs führten hitzige Debatten über Fischzucht und über Fischfang. Michael Philipp, Peter Strauß, Erich Schwingshackl, Jürgen Koch und ich hatten etliche Wolfsbarsche mitgebracht. Ein Vergleich sollte zeigen, ob wild gefangene Tiere wesentlich anders schmecken als gezüchtete.
Es sollte kein wissenschaftlich angelegter Vergleich werden, denn zu viele Fehlerquellen wären bereits vorprogrammiert: So sind die gezüchteten Tiere in der Regel doch wesentlich kleiner als ihre wild gefangenen Pendants. Bei den wilden wiederum ist zu unterscheiden, ob sie im Netz oder mit der Ligne gefangen wurden. Fische aus dem Mittelmeer schmecken potentiell anders als solche aus dem Atlantik usw.
Vielmehr sollte ein ungeplantes und spontanes Draufloskochen uns zeigen, welcher Koch aus welchem Fisch welches Gericht zubereitet und wir waren gespannt, ob uns so eine Jam Session auch zu brauchbaren Ergebnissen führen könnte. Um es vorweg zu nehmen: sie konnte.
Es gab den Loup als Cevice, mit Allgäuer Steinpilzen, im Salzteig gebacken, gegrillt mit Haut und ohne, dazu die üblichen Verdächtigen wie verschiedene Kresse, Paprika-Gel, Limetten-Mayonnaise usw.

Gewürzt war dieses Treffen mit jeder Menge freundschaftlichem Spaß und Kameradschaft und mein persönliches Fazit in fachlicher Hinsicht mag ich so beschreiben:
Aqua Farming mag eine geeignete Methode sein, um den Hunger der Menschheit nach Fisch zu stillen. Moderne Fischzuchten arbeiten ohne Antibiotika und verfüttern Pellets, die wiederum aus anderen Fischen hergestellt werden. Ich vermag nicht zu beurteilen, ob die Fischbestände zur Futterpellets-Herstellung auch gefährdet sind. Wenn sie es nicht sind, halte ich Fischzucht für eine gute Alternative zum Fang. Allerdings folgt m.E. die Zucht von Wolfsbarsch ganz einfach dem Verbraucherwunsch nach einem in Mode geratenen Fisch, den vor zwanzig Jahren hier noch kaum jemand kannte. Ich habe schon gezüchteten Fisch weit besserer Qualität probiert als die Loups in unserem Versuch. Weißer Heilbutt, Eismeer-Forelle, Kabeljau und durchaus auch Lachs hoher Güte haben mir dabei viel besser gefallen. Der Loup mit 3,5 kg den ich dabei hatte, der hat mich fast 200 Euro gekostet. Anfänglich habe ich mich über den Preis geärgert. Aber im Nachhinein finde ich es prima, dass es jetzt vielleicht doch die Gesetze des Marktes sind, die den verbliebenen Prachtexemplaren in den Weiten der Meere ein bisserl Ruhe verschaffen.
Von unserem Treffen haben wir einen Film gemacht, der wird gerade geschnitten. Wenn er fertig ist, stelle ich ihn hier ein.

 

Wildfang oder Zucht?


Die Meere sind überfischt und sicher schwimmen mittlerweile weniger Fische darin, als Mutter Natur das vorgesehen hat. Der eine sucht die Rettung in Fish-Farming, der andere tröstet sich damit, dass es bestimmte Bestände gibt, die noch ausreichend Potential für gewerblichen Fischfang bieten ohne dadurch gefährdet zu sein. Diejenigen, die auf Aqua-Kulturen stehen, betonen gerne die Unterschiedlichkeit in der qualitativen Auslegung derselben. Der Verbraucher schaut diesem von Interessenslagen geleiteten Treiben hilflos zu und ist sich, wie so oft, seiner Sache nicht sicher, was er kann, was er soll, was er darf. Es mag gute Gründe geben, das eine oder das andere Produkt zu bevorzugen. Geschmack, Textur, Carbon Footprint, Preis, Verfügbarkeit und vieles mehr sind Grundlagen, die bei der Kaufentscheidung von Belang sind.
Am Dienstag, den 10.Juli2012 werden fünf Jeunes Restaurateurs diesen Fragen nachgehen. Wir werden Wolfsbarsche zubereiten, nach Lust und Laune. Solche aus Zucht und solche aus Wildfang. Dazu treffen wir uns in Rothenburg ob der Tauber, in der Kochschule der Villa Mittermeier und kochen und quatschen einfach drauf los.
Wir wissen jetzt noch nicht, ob wir hinterher schlauer sind als vorher, ob wir neue Erkenntnisse gewinnen. Aber wir geben uns Mühe und versuchen auch solche Fragen zu beantworten, die Sie uns in der Kommentarfunktion dazu stellen können. Wir werden von unserer „Koch-Jam-Session“ ein paar Bilder machen und ein kleines Video drehen, das ich dann hier einstellen werde.

 

Morchelbecherlinge

Gestern bekam ich einen Anruf. „Ihr Vater hat meinem Vater immer im Frühjahr, wenn die beiden sich auf dem Bauerngroßmarkt in Freiburg getroffen haben, Pilze abgekauft.“ Oh ja, schwache Erinnerung, ich glaube, diese Pilze heißen im Breisgauer Dialekt „Schabbele“ oder so ähnlich. Aber das ist lange her, damals gab es kein Internet.

Also ich auf’s Rad, weil ich sowieso eine Runde drehen wollte, und Richtung Rheinwald bei Breisach gesaust. Es stellte sich bei kleinen Nachforschungen (Wikipedia) heraus, dass es sich um Morchelbecherlinge handelt. Sehen ganz anders aus als Morcheln, schmecken in gekochtem Zustand intensiv nach Morchel, roh nach nichts.

Heute Abend stehen sie auf der Speisekarte, à la crème gekocht mit etwas glatter Petersilie, Spargelspitzen und feinen Nudeln!

 

Milchmädchen-Rechnungen

1 kg Äpfel oder Birnen bei Anlieferung zur Versaftung 0,08 Euro
1 kg w.o. aus kontrolliertem Anbau (mit Nachweis) zur Versaftung 0,15 Euro
1 kg Getreide Sackware 0,26 Euro
1 kg Grillhaxen vom Schwein Vlies-Schnitt 1,39 Euro
1 kg Hähnchen TK 1,63 Euro
1 kg halbes Schwein (HKl E wie „Extra“) 1,99 Euro
1 kg Mangold 2,25 Euro
1 kg Äpfel 2,55 Euro
1 kg Schalotten 3,25 Euro
1 kg Rehwild in der Decke 4 Euro
1 kg Lachsforelle 7,95 Euro
1 kg Ochsenherz-Tomaten 8 Euro
1 kg Panko Paniermehl 8,11 Euro
1 kg industriell hergestellter Schokoriegel 8,60 Euro
1 kg Büffel-Mozzarella 12,75
1 kg Kräutersaitling (Zuchtpilze) 13,90
1 kg Presa Iberica de Bellota (Schwein aus Spanien) 25,90
1 kg industriell hergestellter Tete de Moine in Röschen 35,90
Alle Preise ohne MwSt.

Nun ein paar Milchmädchen-Rechnungen:
Wenn ich also 10 Kilogramm Äpfel aufsammle und zur Sammelstelle bringe, kann ich mir vom Erlös ein ganzes Vollkornbrötchen kaufen.
Oder:
Für fast sechs Kilo Schweinshaxe ist schon ein Kilo Tomate zu bekommen. Toll.
Jedoch:
Für ein Kilo Panko-Paniermehl braucht’s  schon mehr als 30 Kilo Getreide… das ist mühsam.
Wenn noch ein paar andere Milchmädchen mitrechnen, wird’s noch spannender:
Eine Handwerker-Meisterstunde entspricht 180 Kilo Getreide.
Ein Auto-Außenspiegel (grundiert) kostet dasselbe wie 225 Kilo Schweinehaxen (Vlies-Schnitt).
Alles richtig?

 

Limpurger Ochse I

Slow-Food heißt Slow-Food weil manches halt einfach mal ein bisserl länger dauert. Dafür wird es dann besser. Sich Mühe zu geben, sich treu zu bleiben und auf Kontinuität zu setzen statt schnelle Erfolge zu feiern benötigt halt einfach Zeit. Ganz in diesem Sinne haben es die Züchtervereinigung Limpurger Rind e.V. und das Slowfood Convivium Mainfranken-Hohenlohe in jahrelanger Arbeit geschafft, dass der Begriff „Weideochse vom Limpurger Rind“ durch das Deutsche Patent- und Markenamt ein Markenzeichen erhalten hat. Passagier der „Arche des Geschmacks“ wurde er 2005 schon und mittlerweile gibt es sogar schon ein „Presidio“(ital. Schutz) für ihn. Die Verleihung des Presidio-Status kommt einer Zertifizierung gleich, die sich an den Slow Food – Kriterien gut – sauber – fair orientiert.

Hans-Werner Bunz von Slow Food, Dieter Kraft, der Zuchtleiter Limpurger Rind vom Landwirtschaftsamt Ilshofen, Otto Geisel und viele andere Idealisten haben sich um den Erhalt, die Förderung der Weiterzucht und die Etablierung dieser wertvollen Rinder-Rasse in Franken und Hohenlohe verdient gemacht.

Eines dieser eindrucksvollen Tiere, ein Prachtexemplar mit über 700kg Gewicht, habe ich heute gekauft und lasse ihn am Donnerstag schlachten. Er ist zusammen mit anderen Tieren auf der Kleincomburg, auf einer Weide aufgewachsen. Die Kleincomburg, am Rande von Schwäbisch Hall, ist der landwirtschaftliche Betrieb der dort ansässigen Vollzugsanstalt. Der Ochse ist über drei Jahre alt. Zum Vergleich: Konventionell aufgezogene Tiere werden gerade einmal halb solange gefüttert. Nach etwas mehr als einem Jahr ist der Punkt erreicht, an dem das Verhältnis von Fütterung und Gewichtszunahme sich zu ungunsten des Bauern verschiebt. Er muss mehr reinstecken als er rausholt. Doch wenn das Tier älter wird, verbessert sich Struktur und Geschmack des Fleisches, es wird wertvoller.

Der Plan ist, die beiden Schlachttier-Hälften so gut es geht vollständig zu verarbeiten und spannende Gerichte daraus zu kochen. Die gibt es dann im Restaurant, in der Blauen Sau , bei Caterings und Events. Ganz nach Eignung der Fleischteile. Und wenn der Reifeverlauf von Hals, Rücken und Lende so klappt wie ich mir das vorstelle, dann gibt es diese Teile auf dem Hofschoppenfest der Tauberhasen.  Ich werde berichten.

 

Nostalgie für Gourmets

Sauerbraten, so dachte ich, wäre in seiner Textur, seinem Geschmack und seinem Schnittbild völlig unterschiedlich zum gewöhnlichen Schmorbraten. Als ein gutes Stück deutscher Küchenkultur und Aushängeschild der handwerklichen, gutbürgerlichen Küche meiner Eltern und Großeltern wird Sauerbraten schließlich immer gerne bestellt. Man vertraut diesem Gericht. Ganz besonders sei er, bodenständig, ein Gericht und eine Zubereitungsart, die sehnige, bindegewebsreiche Fleischstücke überhaupt erstmal genießbar macht. Sauerbraten setzt sich in Szene, mit einem Spiel aus Süße und Säure so wie Yin und Yang, sich gegenseitig fordernd und hebend, auflösend, Spannung erzeugend und nicht zuletzt unterschwellige Freud´sche oder Pawlow´sche Funktionen bedienend, die im besten Sinne zur „Küche der Erinnerungen“ gehören. Vielleicht Erinnerungen an eine Zeit, in der die Welt irgendwie unkomplizierter war. Zumindest in der Küche, denn dort wurden vor 30 Jahren ganz einfach Regeln befolgt und für jede Fach-Frage gab es eine Antwort im Der junge Koch, im Hering oder im Duch. Damals, als Sauerbraten groß in Mode war, als berühmte Köche hohe Kochmützen trugen, grimmig mit vor der Brust verschränkten Armen in die Kamera linsten und güldene Ketten (die mindestens so groß waren wie die des Bürgermeisters!) von der Würde des Meisters zeugten, war Sauerbraten ein Gradmesser guten Handwerks.

Diesem Sauerbraten wollte ich nun vor einigen Wochen endlich seine Geheimnisse entlocken, wollte verstehen was beim Säuern, Beizen, Einlegen passiert. Um die Prozesse zu entschlüsseln war es zuerst notwendig, die richtige Herangehensweise festzulegen. Praktische Versuche waren schnell angelegt, viele und präzise Fragen waren soweit klar, doch eine schier unüberwindliche Hürde in der Versuchsanordnung war die Unzahl von auf das zu erwartende Ergebnis einflussnehmenden Details: Rasse, Alter, Fütterungsmethode, Geschlecht des Tieres, von dem das Fleisch stammen sollte. Die Schlachtmethode. Das Fleischteil (welches überhaupt?): Gereift oder ungereift? Pferd? Hammel, die Beize mit Rotwein oder mit Essig und vor allem nach welcher Rezeptur? Kalt oder warm angegossen? Wie lange gebeizt und bei welcher Temperatur? So wie früher bei ungefähr 12°C oder so wie heute bei 2°C? Essig mit 5% oder mit 10% Säure, der Essig aus Rot- oder aus Weisswein gemacht? Traditionell natürlich, mit der Buchenspan-Methode.

Diese vielen Optionen zum Thema haben mich fast in den Wahnsinn getrieben. Die Matrix der Möglichkeiten schien schnell so weit auszuufern, dass ein anderer Ansatz her musste. Das konnte nur gehen, wenn ein heuristischer, meinetwegen semiprofessioneller und handfester Versuchsaufbau frei nach Franz Beckenbauer die Grundlage der Wissens-Ermittlungen wurde: Schaun mer mal, dann sehn mer schon. Also mit begrenztem Wissen und wenig Zeit ein möglichst gutes Ergebnis zu bekommen, war der einzige Weg, sich bei diesem multifaktoriellen Thema nicht unendlich zu verlaufen.

Nach stundenlangem büffeln und pauken, dozieren und fragen, säuern und einlegen wurde gekocht und probiert. Theorie und Praxis, erlerntes Wissen und geschulter Geschmack, Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft und Handwerk, pragmatischer Schul-Denke und anspruchsvoller Lebensart. Am nachmittag hat die Experten-Runde verkostet und war – völlig überrascht.

Nach 25 Fleischproben wurde klar, was da los ist:

Die Beize dringt selbst nach einer Woche Einlegens kaum mehr als ein bis zwei Zentimeter tief in das Fleisch ein. Dieser gebeizte und auch verfärbte Rand ist deutlich weicher als das Fleischinnere, die Säure hat also hier ihr Werk getan und Bindegewebe aufgelöst.

Im Fleischinneren jedoch ist gar nichts passiert, was auf eine veränderte Struktur zum jeweils ungebeizten, doch geschmorten Referenz-Fleischstück hinweisen würde. Es könnte natürlich sein, dass unterschiedlich kleine Moleküle je nach Polarität, Ladung, Hydrophobizität unterschiedlich tief eingedrungen sind. Doch die vermutete Osmose der gesamten Beizflüssigkeit wurde offensichtlich überschätzt. Vielmehr steht zu vermuten, dass beim Eindringen lediglich Kapillarwirkung eine Rolle spielt. Die Porösität des Fleisches lässt eine Eindringtiefe nur sehr begrenzt zu und so ist nach ungefähr 15mm Schluss. Tiefer dringt die Beize nicht ein und so ist im Inneren alles so, wie es vor dem Beizen war.

Das hat uns ratlos gemacht und wir konnten das Ergebnis zuerst gar nicht glauben. Nach und nach hat sich aber eine mögliche Erklärung abgezeichnet. Unterstellt, dass die saure Beize vor Jahrhunderten in erster Linie eine Konservierungs- oder Aufbewahrungsmethode war, erhält folgende Theorie eine gewisse Wahrscheinlichkeit:

Das Schlachtalter der Tiere lag früher wesentlich höher und es mussten Nutztiere als Lieferanten für wertvolles und hochwertiges Eiweiß dienen, die vorher jahrelang Milch gegeben oder Kärren gezogen haben. Im Fleisch dieser Tiere waren durch Beanspruchung und Lebensalter die Aminosäuren wesentlich stärker vernetzt. Das Muskelfleisch enthielt ein Vielfaches an quervernetztem Kollagen im Gegensatz zu dem Fleisch wesentlich jüngerer Tiere, das heute fast aussschliesslich im Handel ist. Und der Kollagengehalt bestimmt maßgeblich die Biss-Festigkeit, die Textur, die zum Kauen notwendigen Scherkräfte.

Sauer eingelegt wurde damals, solange es keine Kühlschränke gab, im Keller bei geschätzten 12°C bis 14°C. Die Beize hatte keine direkte Weichmacher-Funktion, sondern diente dem Luftabschluss und schränkte die Tätigkeit gefährlicher und unerwünschter Mikroorganismen ein. Kollagenasen konnten nun in dieser geschützten Atmosphäre das an und für sich zähe Fleisch zart machen, weil diese Enzyme bei eben Temperaturen von 12°C bis 14°C aktiv sind und nach einigen Tagen war durch die Enzym-Tätigkeit das zähe Fleisch zart.

Zum heutigen Küchenalltag gibt es allerdings zwei grundlegende Unterschiede:

1.)Weder ist heute Fleisch von alten Tieren im Handel, noch würden wir heute unseren Sauerbraten in der Beize wärmer als 3°C lagern. Bei dieser Temperatur allerdings sind die Kollagenasen inaktiv wie die van t´hoffsche Regel lehrt. Somit erfolgt keine nennenswerte Eiweiss-Aufspaltung durch die Enzyme während der Lagerung in Kühlschrank oder Kühlhaus, dazu ist es einfach zu kalt.

2.)Das Fleisch von jungen Tieren muss erst gar nicht gebeizt werden, weil das Bindegewebe auch durch normales Schmoren zart genug wird. Und das Fleisch von alten Tieren ist heutzutage eben nicht mehr im Handel, spielt im Alltag überhaupt keine Rolle mehr.

Es gibt nun zwei Lehren aus diesen Versuchen. Beide sind richtig, doch im Ergebnis gegensätzlich

1.)    Kein Mensch braucht Sauerbraten. Reifung und Lagerung kann heute anders stattfinden. Hygienischer, praktischer und mit kleinerem Aufwand. Es gibt nach dieser Sichtweise also keinen praktischen Grund mehr, Fleisch sauer einzulegen.

2.)    Das Aroma der Beize wird weitestgehend in der Soße transportiert, nicht im Fleisch selbst. Dennoch oder darum schmeckt Sauerbraten ganz einfach klasse und ist Teil unserer kulinarischen Tradition. Auch Tradition hat ihre Berechtigung in der Küche und wer so kocht dass es gut schmeckt, der hat ganz einfach Recht. Basta.

Jetzt darf sich jeder seine persönliche Lieblings-Schlussfolgerung daraus ziehen, die dann auch noch stimmt. Und das ist, so finde ich, dann doch bei aller geraubten Illusion ein versöhnliches Ergebnis.

Nachtrag vom 15.4., betr. die Kommentare 1 und 2:

zu 1.) Gegen die (hygienische) Lagerung in einer Essigbeize bei etwas höheren Temperaturen spricht im Privat-Haushalt nach meinem Dafürhalten nichts, im gewerblichen Bereich ist das jedoch nicht erlaubt. Allerdings bringt es wohl bei Schlachtfleisch von jungen Tieren kein besseres, weil wir oben beschrieben lange nicht soviel quervernetztes Eiweiss darin enthalten ist. Falls Sie es mit interessanten Ergebnissen dennoch probieren, freue ich mich auf Nachricht.

zu 2.) Salz und Zuckergehalt war immer gleich, gelagert wurden die gebeizten und ungebeizten Fleischteile einzeln im Vakuum-Beutel. Die interessanten Schlussfolgerungen, u.a. dass kaum osmotische Effekte zu beobachten waren, verdanken wir der hervorragenden Arbeit von Thomas Eberle aus Kulmbach, der uns sehr geholfen hat, diese Zusammenhänge zu verstehen.