Neue Fragerunde nach dem Gutachten des Psychiaters Henning Saß über Beate Zschäpe: Am Mittwoch wandte sich Pflichtverteidigerin Anja Sturm an den Sachverständigen, der Zschäpe für voll schuldfähig und weiter gefährlich hält. In der Sache ging es kaum weiter – stattdessen forderte Sturm, dass Saß anhand seiner Notizen all seine Beobachtungen aus dem Verfahren schildert.
Die drei Altverteidiger wollten anhand ihres Umgangs mit dem Gutachten auch zeigen, „dass sie Zschäpe, auch wenn die das nicht einsieht, besser verteidigt hätten als die seit eineinhalb Jahren tätigen Vertrauensanwälte“, meint Gisela Friedrichsen von der Welt. Sie versuchten zumindest noch, die drohende Sicherungsverwahrung abzuwenden. Das Gericht habe angesichts der eindringlichen Befragung irritiert gewirkt.
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Der Tag habe gezeigt, „unter welcher Anspannung die drei Altverteidiger stehen“, schreibt auch Björn Hengst von Spiegel Online. Schließlich habe sich herausgestellt, dass Zschäpes vollständige Abwendung von den dreien „ein folgenreicher Fehler für die Angeklagte war“. Ihr neuer Verteidiger Hermann Borchert hatte Saß am Vortag ohne Erfolg befragt.
„Das Gutachten, letzter wichtiger Aspekt vor dem Urteil, wird das Gericht wohl noch mehrere Wochen beschäftigen“, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. In dieser Zeit muss sich Saß „einer verschärften Befragung durch Zschäpes Verteidiger unterziehen lassen“. Deutlich wurde dabei bereits, dass die Altverteidiger eine andere Strategie als Anwalt Borchert gewählt haben und vor allem ergründen, wie genau das Gutachten entstand.
Die Angaben von Saß dazu seien „kühl und knapp, lassen Nachfragen offen, wirken dadurch provokant“, urteilt Eckhart Querner vom Bayerischen Rundfunk. Die Diskussion, die „vom Zaun gebrochen“ schien, habe gezeigt, „wie blank die Nerven bei der Zschäpe-Verteidigung liegen“. Von Vorteil sei die Taktik wohl nicht, eher ein Versuch, das Verfahren zu verzögern.
Am Nachmittag folgte auf die Befragung ein Eklat, ausgelöst von den Verteidigern des Mitangeklagten Ralf Wohlleben. Sie beantragten, einen Demografen ins Gericht zu laden, der beweisen soll, dass in Deutschland ein „Volkstod“ grassiere. Durch Einwanderung seien Deutsche bis zum Jahr 2050 die Minderheit im eigenen Land. Die Äußerung sorgte für Protest: Der Großteil der Nebenklageanwälte verließ den Saal. Opfervertreter Mehmet Daimagüler wertete den Antrag in einer Stellungnahme als Beleg für die rechtsgerichtete Ideologie von Wohlleben und seinen Verteidigern.
Das Gesuch war in gewisser Hinsicht ein Déjà-vu: Die Anwälte hatten in der Vergangenheit „wiederholt mit explizit rechtsgewirkten Anträgen auf sich aufmerksam gemacht“, merkt Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung an. Als „Neonazi-Propaganda wie wir sie in diesem Prozess noch nicht erlebt haben“, bezeichnet der Nebenklageanwalt Yavuz Narin den Vorstoß gegenüber der taz. Die Opfer und Hinterbliebenen seien dadurch verhöhnt worden.
Wohlleben-Verteidiger missbrauchen den #NSU-Prozess für NS-Propaganda. Wird Zeit, dass sie ihren eigenen Prozess bekommen.
— Winterschlafist (@rocknproll) 25. Januar 2017
Zschäpe droht aufgrund des Sachverständigengutachtens die Sicherungsverwahrung, also Vorbeugehaft auf unbestimmte Zeit. Mit dem Thema beschäftigt sich Wiebke Ramm in einem Hintergrundstück für die Süddeutsche. Die Verwahrung ist demnach zusammen mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe unwahrscheinlich, weil für die Entlassung in beiden Fällen die gleiche Voraussetzung gilt: Der Verurteilte darf keine Gefahr für die Allgemeinheit mehr darstellen. In einem Präzedenzfall urteilte der Bundesgerichtshof bereits, dass die Maßregel nicht zusätzlich zum Lebenslang-Urteil verhängt werden durfte.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 27. Januar 2017.