Die USA sind voller Konflikte, die niemand beseitigen will. Man hat gelernt, sich damit einzurichten. Diese Fähigkeit werden die Amerikaner jetzt mehr denn je brauchen.
Los Angeles hat was von einer Zeltstadt. Nicht nur wegen der Zelte der Obdachlosen, sondern auch historisch: Ihre Gegenwart verschwindet zwischen dem Licht imaginierter Zukunft und den Trugschatten von in Überhöhung und Vergessen gespaltenen Vergangenheiten. Und es amüsiert mich, diese Folie und die von Occupy-Camps oder vom Camp am Standing Rock übereinanderzulegen. Weiter„Schwindelnd in die Zukunft“
Altern ist in Verruf geraten. Wir setzen alles daran, die vergehende Zeit aufzuhalten. So ein Unsinn! Viel klüger wäre: mit dem eigenen Älterwerden anders umzugehen.
Als ich kurz vor Weihnachten bei meinem Hausarzt eine Infusion bekam, also zwar schniefend, doch gemütlich auf der Pritsche lag, begann die Ärztin das Zimmer aufzuräumen. Vor dem großen Ansturm. Der im Januar einsetzen würde. Zum neue Jahr fasse die Menschheit Vorsätze, nicht wenige hätten mit Rauchen, Essen, Bewegung, kurzum Gesundheit zu tun – ein Arztbesuch scheine da vielen ratsam. Weiter„Das Gespenst im Badezimmerspiegel“
Immer mehr Menschen verlieren den Glauben an die Demokratie. Wie kann das sein? Auf einer Reise an die Ränder Europas, nach Nowosibirsk, beginnt man zu verstehen.
In den letzten Monaten habe ich beinahe ununterbrochen dunkle Gedanken. Eines der wichtigsten Ereignisse im Leben meiner Eltern war unsere Auswanderung von Polen in die BRD. Meine Eltern hatten ihre Jugend und die ersten Jahre ihres Familienlebens unter einer kommunistischen Diktatur verbracht, weshalb unsere Ankunft im demokratischen Westen für sie wirtschaftliche Selbstbestimmung, die Freiheit, zu denken und zu äußern, was sie wollten, und ein Ende der staatlichen Willkür bedeutete. Weiter„Wovon träumen die Menschen in Sibirien?“
Die Prohibition funktioniert. Allen, die anders sind, wird mit Feindschaft begegnet. Wie überlebt man in den Südstaaten der USA, wo der Geist weißer Kleinbürger regiert?
Sowohl Kansas City als auch Detroit besitzen Statuen ihrer Geister aus den 50er Jahren. Detroits berühmter spirit hält in der einen Hand Gott, in der anderen die Familie und bekommt anlassbezogen die Dressen der heimischen Mannschaften angezogen. Die Bronzestatue in Kansas City ist im Internet kaum präsent; es handelt sich um eine nackte Fischerin, die ihr Netz wie eine Boa gedankenverloren hinter sich schleifen lässt, während die Fische entweichen. Möglicherweise ist diese Figur, so wie das berühmtere gleichnamige Bild von Norman Rockwell, eine Referenz auf die Flutkatastrophe 1951. Weiter„Als Nomade im Bible Belt“
In den vergangenen Monaten wurde der Sinn für apokalyptische Szenarien geschärft. Ist Auswandern die Lösung? Wenn ja, nach Hintersibirien oder lieber in die Schweiz?
Der Text verwendet Auszüge aus dem Buch Hinter Sibirien – Eine Reise nach Russisch-Fernost von Katerina Poladjan und Henning Fritsch, erschienen im Herbst 2016 im Rowohlt Berlin Verlag.
Zur heiligen Quelle Molokanka fährt eine Marschrutka. Der Begriff Marschrutka stammt vom deutschen Wort Marschroute ab. Das Ding selbst ist ein Kleinbus, ein Linientaxi. Mit drei weiteren Fahrgästen, die alle leere Plastikflaschen bei sich tragen, spekulieren wir, wo der Fahrer geblieben sein könnte. Katerina und ich glauben, er gönnt sich vielleicht noch ein Schaschlik auf die Hand, die anderen Fahrgäste aber sind misstrauischer und wollen die Miliz rufen. Heutzutage müsse man auf das Schlimmste gefasst sein. Was das Schlimmste sein könnte, wollen wir wissen, und alle schweigen, denken nach. Gute Frage, damals in Hintersibirien im März 2015. Weiter„Heiliges Wasser ist die Rettung“
Wieder mal zum Zahnarzt, eine Festanstellung bei Google, oder doch lieber auf Lehrer umschulen? Bis Mitternacht darf vorgeträumt werden, damit das neue Jahr besser wird.
Bei meinem Zahnarzt gibt es ein Hinterzimmer, das sich zu einem riesigen Open-Space-Büro vergrößert, wenn man an der Rezeption, wo man sein Bonusheft abgegeben hat, vorbeiläuft, nach links abbiegt, den Gang hinunter und an den Behandlungszimmern vorbei bis zu dem Raum, wo normalerweise geröntgt wird. Weiter„Unsere Träume werden in Erfüllung gehen“
Mit Rassismus ist es wie mit vielen Problemen: Es herrscht der Konsens, ihn abzuschaffen, aber die Apparate laufen weiter, die ihn aufrechterhalten. Zu Besuch in Washington
Bitte lassen Sie die Kunden zuerst aussteigen, heißt es in der U-Bahn in Washington, das Wort durch den überdehnten Gebrauch in einen sarkastischen Metajargon einschleusend. Müsste es nicht heißen: „the people who self-identify as customers“ – die Leute, die sich selbst als Kunden bezeichnen? Die Phrase von der Selbstidentifikation hat sich stark ausgebreitet, in offiziellen Formulierungen und Medien und im notorisch tastenden privaten Sprachgebrauch. Ironien sind im sogenannten uptalk oder high rising terminals (UK) zu einem standardisierten Unsicherheits-Absicherungsbrei geworden. Überall Mangel an Verben im Vokabular – stattdessen sagt man „ist“ mit einer Distanzierung und sucht dann nach einem passenden Adjektiv: it’s like, like, like, uhm … nice?Weiter„Eissturm war in Washington“
Könnte Trumps skandalöse Unberechenbarkeit nicht auch eine Art Hoffnung darstellen? Unsere Autorin ist nach New York gereist, um Amerika verstehen zu lernen.
Beim Anflug auf New York hatte ich mehrere Aufgaben im Kopf. Eine von ihnen war, herauszufinden, was es mit dem Trump-Problem wirklich auf sich hat. Klar, das ist ein übles Tier, ungustiös, die geradezu körperliche Ekelreaktion, von der viele sprechen, leuchtet sofort ein, und wenn ich daraus eine Meinung bilden wollte, wie es dem Menschen natürlich liegt – instinktiv empfundenen Ekel mit moralischen Gründen unterfütternd – wäre sie schon fertig. Weiter„Der Zufallsgenerator“
Überteuerte Bratwurst, am Karussell endlose Schlangen, das Kind schreit nach Zuckerwatte. Aber mit den richtigen Tricks überstehen Sie den Weihnachtsmarktbummel.
Sobald man etwas zweimal tut, hat es schon Tradition und man muss es deshalb immer wieder tun, so geht es mir mit dem jährlichen Besuch des Weihnachtsmarkts. „Tradition“ klingt allerdings harmlos, genauso könnte ich sagen, das Ausfüllen meiner Steuererklärung habe bei mir Tradition, oder dass ich jeden Winter an einer Magen-Darm-Grippe erkranke. Weiter„Warum nur alle Jahre wieder?“
An jeder Dorfeinfahrt steht, wann Weihnachtsgottesdienst ist. Nirgendwo erfährt man, wann Chanukka beginnt. Muss man dafür etwa Netanjahu anrufen? Es geht auch anders.
Ja, ich lese Zeitung. „Das ist das große weiße Papier mit der schwarzen Schrift“, erkläre ich meinen Söhnen, die nur noch an Dinge glauben, die mit „online“ anfangen. In der Regel lese ich in der Woche Tageszeitungen, am Wochenende die Beilagen, regional, überregional, je nachdem, wo ich mich befinde und was zu haben ist. Unterwegs klaue ich gerne in der 1. Klasse der Bahn die Zeitung, um sie genussvoll in der 2. zu lesen. Das befriedigt meine kriminelle Ader und die Sozialistin in mir. Weiter„Apropos weltoffen“