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Wir dürfen uns nicht an ihren Hass gewöhnen

Gewalt und Menschenverachtung sind Alltag auf den Straßen geworden. Wir leben weiter, als wäre nichts passiert. Wo bleibt der Aufschrei: Das ist nicht mehr unser Land!

Es war halb ein Uhr nachts, zu warm für November, zu kalt, um draußen zu schlafen  – und dass man Letzteres überhaupt feststellen muss! Es war am Lageso, diesem Ort, der zu einem Synonym geworden ist für einen Umgang mit Menschen, der das „Menschen“ oder die „Würde“ in „Menschenwürde“ vergessen hat, für Überforderung, für unfassbare politische Praktiken, für den Versuch, die Realität auszublenden, und für Bilder, die man zu vergessen versucht. Weiter„Wir dürfen uns nicht an ihren Hass gewöhnen“

 

Der Syrer meiner Mutter

Wie fremd muss für den Vater das bayerische Dorf gewesen sein, als er 1958 aus Syrien kam. Über die heutige Unbarmherzigkeit Flüchtlingen gegenüber würde er verzweifeln.

Der Syrer meiner Mutter tauchte Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auf und blieb bis zum März 2012. Dann starb er. In der Zeit davor lebte er als Ausländer unter Bayern. Manchmal stieg er in ein Flugzeug und reiste nach Spanien, Amerika, Kanada, Südafrika, in ferne Länder, wo er ein Ausländer war wie jeder andere. Was er wohl dachte, wenn er wieder zurückkam in sein bayerisches Dorf, zu den Menschen mit dem schwer verständlichen Dialekt? Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, hätte man ihn kennen müssen. Kannte ich den Syrer meiner Mutter? Weiter„Der Syrer meiner Mutter“

 

Wer zu viele Ängste hat, der sollte zum Arzt gehen

Wer als junger Mensch Helmut Schmidt zuhörte, der begriff plötzlich das Denken der eigenen Generation. Lernen konnte man noch etwas anderes: den Mut zur Widerständigkeit.

Der Kanzler meiner Großeltern war Willy Brandt, der Kniefall in Warschau das Bild, mit dem sie sich ihr Leben nachträglich erklärten. Der Kanzler meiner Eltern war kein Kanzler, sondern die Sponti-Bewegung, Joschkas Turnschuhe im Bundestag, „besetzt Springer statt Nato-Doppelbeschluss“. Gegen Helmut Schmidt gingen sie auf die Straße. Mein Kanzler war ein Kanzler zum Abwählen. Sechzehn Jahre reichten. Wir wählten nicht Schröder, wir wählten Kohl ins Aus. Viele von uns zumindest. Doch wie auch immer wir politisch sozialisiert wurden, es gab eine Stimme, die, für manche leiser, für andere lauter, uns bei einer Zigarette erklärte, in welcher Welt wir eigentlich lebten – und vor allem: aus welcher wir kamen. Weiter„Wer zu viele Ängste hat, der sollte zum Arzt gehen“

 

Die Karte zum Paradies muss wasserdicht sein

Gibt es etwas Schöneres als Urlaub hoch zu Rad? Wenn der Duft der Felder in der Nase kitzelt? Wenn Erinnerungen wach werden an vergangenes Glück? Eindeutig: ja.

Deutschland fährt Rad. Die Dicken, die Kleinen, die Ausgemergelten, die Alten, die Frauen, alle sind sie mit dem Rad unterwegs. Und ich meine nicht auf dem Rad mal eben zum Markt, sondern: Fernradwege, Routen quer durch ganze Bundesländer. Strecke ist gefragt, die ganze Welt per Drahtesel. Und bald vielleicht noch weiter: Auf dem Mars ist ja nun Wasser gefunden worden. Weiter„Die Karte zum Paradies muss wasserdicht sein“

 

Sex ohne Liebe, ewig verwirrend

Das größte Problem mit unserer Sexualität entstand, als plötzlich die Romantik dazu kam. Wenn man das seinem Hund erklärt, was sagte er wohl dazu?

Adele, komm mal her! Mach Sitz! Und hör gut zu. Heute erkläre ich dir die Sexualität.

Hm. Das wird jetzt hoffentlich nicht zu heikel. Die Sexualität sollte dir eigentlich besser dein Frauchen erklären. Aber jetzt habe ich nun mal diesen Job übernommen, und das ist vielleicht auch gut so. Tun wir eben was gegen diese alten Geschlechterrollenzuweisungen. Weiter„Sex ohne Liebe, ewig verwirrend“

 

Gibt es einen Plural von Heimat?

Wenn Menschen wegen ihrer Religion ihr Zuhause verlieren, kann etwas nicht stimmen. Findet man Geborgenheit tatsächlich im Glauben oder helfen in Berlin auch Currywurst und Sechs-Tage-Rennen?

Der Sommer ist vorbei, das ist ganz offensichtlich, jedenfalls in Berlin. Alle sind zurück, und es gibt kein Durchkommen mehr am Landwehrkanal oder am Nollendorfplatz. In der Uhlandstraße ist es aussichtlos, in welche Richtung auch immer abzubiegen. Überall Stau, alles eine riesige Baustelle: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr…“ Haben sie alle plötzlich Rilke gelesen? Aber ich will nicht klagen: „Der Sommer war heiß und lang.“ Weiter„Gibt es einen Plural von Heimat?“

 

Wenn die große Liebe plötzlich auf dich zählt

Die Wohnzimmertür geht auf und Adriano Celentano kommt rein. Das muss ein Missverständnis sein, will unsere Autorin vom Sofa aus noch rufen. Aber da singt er auch schon.

Gestern habe ich geträumt, dass ich in einem lila Samtanzug auf einem mir unbekannten Sofa liege und versuche einzuschlafen. Alles ist so hergerichtet, wie ich es mag: Zwei weiche Kissen und eine Decke, die schwer auf mir liegt. Ich atme ein, ich atme aus. Plötzlich öffnet sich die Tür und Adriano Celentano, ebenfalls in einem lila Samtanzug, kommt schüchtern herein. Weiter„Wenn die große Liebe plötzlich auf dich zählt“

 

Der Abenteuerspielplatz des mittelalten Mannes

Man läuft über Scherben und morsche, knarrende Bretter. Leerstehende Gebäude sind das Gegenteil von trostlos. Hier lassen sich Exkursionen in fremde Welten unternehmen.

A. zeigt mir seine neue Kamera. Wir fahren mit der S-Bahn Richtung Nordosten. Wir tragen stabiles Schuhwerk, Rucksäcke und Kleidung, die schmutzig werden darf, die kaputt gehen darf. Was wir machen werden? Wir fotografieren. Motive werden wir nicht suchen müssen, wir werden uns in ihnen bewegen. Zugegeben, es ist eine etwas merkwürdige Freizeitbeschäftigung, durch verlassene Gebäude zu laufen und sie zu fotografieren. Weiter„Der Abenteuerspielplatz des mittelalten Mannes“

 

„Wir mussten dieses Fenster wieder öffnen“

Steve Reich ist einer der einflussreichsten Komponisten unserer Zeit. Sein Minimalismus beeinflusste Rockmusik und die Soundtracks von Hollywood. Ein Gespräch über Spiritualität in der Musik und Reichs Freund Arvo Pärt, der nun 80 geworden ist.

Steve Reich: "Wir mussten dieses Fenster wieder öffnen"
© Jeffrey Herman

Es gibt nicht viele Komponisten, die den Lauf der Musikgeschichte verändert haben. Steve Reich, Jahrgang 1936, ist einer von ihnen. Zusammen mit Terry Riley und Philip Glass gilt er als der Begründer der sogenannten Minimal Music, die ab Mitte der 1960er Jahre von der Underground-Szene New Yorks aus ihren weltweiten Siegeszug antrat: einfache Tonfolgen, die über einen langen (manchmal sehr langen) Zeitraum rhythmisch komplex, aber harmonisch gleichbleibend variiert werden. Weiter„„Wir mussten dieses Fenster wieder öffnen““