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Man spricht leider nur Deutsch oder Labradorisch

Eigentlich sollten Menschen im Kindergarten gelernt haben, dass es das Fremde gibt und keine Kultur besser ist als andere. Versteht das ein Hund vielleicht besser?

Adele, komm mal her! Mach Sitz! Und hör gut zu. Heute erkläre ich dir, was Rasse ist.

Eins sage ich dir gleich vorweg: Rasse ist eine heikle Angelegenheit. Einerseits schon die Sache an und für sich. Außerdem ist das Wort Rasse in dem Land, in dem wir leben, vor einiger Zeit so über alles bisher bekannte Maß hinaus dämlich und bösartig verwendet worden, dass die meisten Leute es nicht einmal mehr aussprechen wollen, solange es dabei um Menschen geht. Sie haben nämlich ganz zu Recht Angst, sich daran die Zunge zu verbrennen.

Adele, der geduldig lauschende Labrador von Burkhard Spinnen
Adele, der geduldig lauschende Labrador von Burkhard Spinnen

Aber davon weißt du nichts, glückliche Adele, und deshalb können wir beide uns jetzt mal dumm stellen und einfach von vorne anfangen. Und zwar genau da, wo du schon ein gewisses Vorwissen hast.

Was ich damit meine? Nun, nicht alle Hunde sind vollkommen gleich. Im Gegenteil. Das kennst du nur zu gut: Von 20 Hunden, denen wir begegnen, sehen nicht mehr als zwei oder drei einander ähnlich. Es gibt kleine, mittelgroße und große Hunde, solche mit langem oder kurzem Fell, braune, schwarze, weiße oder gefleckte, ihre Ohren und Schnauzen sind verschieden geformt und so weiter und so weiter. Von denen, die sich ähnlich sehen, sagen nun die Menschen, sie gehörten derselben Rasse an. Das heißt, sie sind mehr oder weniger eng miteinander verwandt, jedenfalls haben sie dieselben Vorfahren.

Dabei tun die Menschen übrigens so, als wären die Hunderassen quasi an einem Schöpfungstag vom Himmel gefallen. Das stimmt aber gar nicht. Tatsächlich haben die Menschen hier mal wieder Gott gespielt und durch strategische Heiratsplanung unter Hunden dafür gesorgt, dass es die Rassen überhaupt gibt. Dabei gehören zum Beispiel Bourbon, der Irische Wolfshund, und Dana, der Mikrodackel, genau derselben Art an. Auch die beiden könnten, wenn man sie bloß ließe, eine Familie gründen und quietschfidele Nachkommen kriegen.

Nun unterscheiden sich die Hunderassen aber nicht nur in ihren äußeren Merkmalen, sondern auch, wie soll ich sagen: in ihrem Temperament, also in der Summe ihrer Eigenschaften. Und jetzt wird es kritisch! Du weißt, Adele, du bist ein Labrador. Und wenn ich dich und deinen Hundepapa Monty in den letzten Jahren richtig beobachtet habe, dann kommt ihr mit Labradoren im Schnitt deutlich besser zurecht als mit Hunden anderer Rassen. Von Katzen wollen wir gar nicht reden. Man hat als Labrador nun mal eine bestimmte Art und Weise, sich zu bewegen, auf andere zuzugehen, sie zum Spielen aufzufordern und mit ihnen zu raufen.

Und das ist auch verständlich. Monty und du, ihr seid mit einer Labradormama und sieben Labradorgeschwistern aufgewachsen, daher ist euch das Labradorige ganz früh und dauerhaft ins Herz und in die Seele geschrieben worden. Infolgedessen gibt es im Umgang mit anderen Labradoren für euch weniger Überraschungen und Irritationen als im Umgang mit, zum Beispiel: Rehpinschern, Boxern und Westhighland Terriern. Von Katzen ganz zu schweigen.

Soweit klar? Gut. Dann kommen wir zu den Menschen. Auch die gibt es in ziemlich vielen verschiedenen Ausführungen. Hierzulande haben sie überwiegend weiße Haut, anderswo aber schwarze, die Nasen und Augen sind verschieden geformt, es gibt glattes und krauses Haar, schmale und breite Lippen und so weiter und so weiter. Dazu kommt, dass die verschiedenen Menschenrassen in der Regel verschiedene Sprachen sprechen und ihr Leben miteinander sehr verschieden organisieren. Das nennt man übrigens Kultur, aber das müssen wir später noch viel ausführlicher besprechen.

Nun könnte man den Umstand, dass es verschiedene Menschenrassen gibt, einfach als Faktum hinnehmen, vielleicht sogar als interessant, weil man voneinander etwas lernen kann, das man noch nicht wusste. Doch leider, leider!, haben die Menschen in der Vergangenheit sehr häufig dann, wenn sie auf Angehörige einer anderen Rasse trafen, nicht cool oder interessiert reagiert, sondern verstört und aggressiv.

Woher das kommt? Nun, es wird nicht so ganz anders sein als bei einer Begegnung von Hunden verschiedener Rassen: Man kann den anderen nicht auf Anhieb verstehen. Man versteht seine Sprache nicht, man kann gewissermaßen nicht gut in ihm lesen. Leicht verwechselt man freundliches Lächeln und boshaftes Grinsen, einladende Geste und Drohung. Das lähmt und macht Angst. Es wären jetzt eine gewisse Überwindung, eine Menge Arbeit und vor allem eine Portion guter Wille nötig, um das Problem in den Griff zu kriegen. Doch leider ist der Mensch von Natur aus nicht übermäßig fleißig und gutwillig; lieber will er sich das Problem des Fremden schnell vom Hals schaffen.

Eine Methode dazu ist, laut zu fragen, ob die fremden Rassen eigentlich besser oder schlechter sind als die eigene. Und wenn man sich diese Frage dann umgehend mit „schlechter“ beantwortet, muss man sich um Verständigung und Gedankenaustausch gar nicht mehr kümmern, sondern kann gleich daran gehen, alle Irritationen auszuräumen, indem man die anderen zu bekämpfen, zu berauben oder sogar zu versklaven sucht. Das kann man dann mit gutem Gewissen tun und mit anständigem Profit obendrein.

Manchmal wird sogar gefragt, ob es sich bei den Fremden überhaupt um richtige Menschen handele. Lautet die Antwort „Nein“, hat man sogar die Lizenz, die anderen zu töten.

Und so geht das seit Jahrhunderten: Weiß ist angeblich besser als schwarz oder umgekehrt, blaue Augen sind entweder besser als braune oder schlechter und so weiter und so weiter. Einen Großteil der Menschheitsgeschichte kann, nein, muss man mit solchem Sichbesserfühlen erklären, oder sagen wir lieber: mit solchem Dünkel.

Nun war das alles schon schlimm genug, als die verschiedenen Menschenrassen noch an sehr verschiedenen Plätzen auf der Erde lebten, manchmal durch viele Tausend Kilometer voneinander getrennt, und das zu Zeiten, da man sich auf holprigen Karren oder in kleinen Segelschiffen fortbewegte. Doch mittlerweile ist es noch viel schlimmer, denn diese Zeiten sind längst vorbei. In großen Mengen sind die Menschen heute unterwegs, manche immer noch zu Fuß, andere in modernsten Verkehrsmitteln, teils um zu reisen, teils um ihre Wohnorte zu wechseln, warum auch immer. Sah man noch vor fünfzig Jahren in einer mittelgroßen deutschen Stadt am Samstagmittag in der Fußgängerzone nur mehr oder weniger blonde und weißhäutige Leute mit blau-grauen Augen, so begegnet man dort heute sehr verschiedenen Menschen aller Hautfarben, deren Vorfahren aus allen Ecken der Welt stammen.

Und damit wächst das Problem in höchst gefährliche Höhen. Eigentlich müssten die Menschen heute schon im Kindergarten lernen, dass es neben allem, was ihnen selbstverständlich scheint, noch eine Menge an Andersartigem gibt. Kaum dass sie ihre Muttersprache gelernt haben, müssten sie alle (und ich meine wirklich: alle!) eine zweite und besser noch eine dritte Sprache lernen, damit sie sich mit jedermann verständigen können. Außerdem müssten sie andere Kulturen und Religionen büffeln, um nicht auf die Idee zu kommen, dass die eigenen nichts als toll und die der anderen nichts als primitiv und rückständig sind.

Leider aber erziehen die Menschen überall auf der Welt ihre Kinder wie die Labradormütter ihre Welpen. Man bleibt lange in seinem Körbchen. Das heißt, zunächst mal ist von allem Anderen und Fremden gar nicht die Rede; und kaum stehen die Welpen oder die Kinder auf einigermaßen festen Pfoten und Füßen, glauben sie schon, die Welt bestehe aus lauter Labradoren oder Deutschen und es sei ein Vorzug und Privileg, Labrador oder Deutscher zu sein. Sie sprechen nur Labradorisch oder Deutsch, und bevor sie viel später wenigstens irgendeine universelle Verständigungssprache lernen, sind ihre Hirne und ihre Zungen womöglich schon ziemlich unbeweglich. Von der Sturheit ihrer Herzen ganz zu schweigen.

Da fällt mir etwas ein: Zwischen den schlimmen Meldungen über Menschen, die andere angiften oder gleich totschlagen, weil sie irgendwie anders sind, gibt es im Internet immer kleine Filmchen zu gucken, auf denen Tiere ganz verschiedener Rassen nett zueinander sind. Besonders beliebt sind Filme, in denen Katzen und Hunde miteinander spielen und kuscheln. Menschen, die vielleicht eben noch auf großen Plätzen gegen Fremde demonstriert haben, gucken solche Filmchen und verdrücken dabei manche Träne der Rührung. Ich weiß aber nicht, ob dieser Umstand Anlass gibt, auf eine Lösung des Rassenproblems zu hoffen, oder ob er ein Beweis dafür ist, dass wir das niemals hinkriegen werden.

 

So hat eine gute Mutter nun mal zu sein

Frauen müssten dies. Frauen sollten das. Mütter sowieso. All unsere Feminismus-Debatten werden auf Nebenschauplätzen geführt. An der Sache selbst ändern sie nichts.

 © Sean Gallup/Getty Images
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Das Kind war krank. Es hatte eine dieser Kinderkrankheiten, die dem Kind in Form von großen roten Flecken und aufgeblasenen Backen jede Niedlichkeit, aber nicht die Energie nehmen, andere Mütter im Schwimmbad und auf Spielplätzen im Nu alarmieren und leider keine weiteren Begleiterscheinungen wie Fieber mit sich bringen, so dass auf Müdigkeit und Schlaf nicht zu hoffen war. Das Kind müsse eine Woche lang zuhause bleiben, sagte die Ärztin, das andere Kind blieb aus Solidarität ebenfalls da, beide wollten in den Bergtierpark oder an den See, weil „das macht nicht so viel, dass ich ansteckend bin“. Ich rief die Babysitterin an, noch bevor ich dem Kindergarten Bescheid gab. Ich wollte in jener Woche schreiben, einen Text über die Feminismus-Debatte zum Beispiel, über das Rollenverständnis von Frauen und Müttern in unserer Gesellschaft, also diesen Text, der natürlich einen anderen Einstieg gehabt hätte, nur: Das Kind war krank. Weiter„So hat eine gute Mutter nun mal zu sein“

 

Eine Schule fürs Zusammenleben

In englischen Schulen gelten strenge Regeln. Das mag abschreckend wirken. Tatsächlich gelingt auf diese Weise die Integration von Kindern aus anderen Kulturkreisen.

© WPA Pool/Getty Images
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Es greift. Seit drei Monaten sind wir in England. Es greift: Mein Kind geht gern zur Schule. Der Unterricht findet auf Englisch statt. Muss anstrengend sein. Das Kind kommt erschöpft nach Hause. Klagt nicht. An unserer Berliner Schule herrschten eine freundliche Lernatmosphäre, Offenheit, Förderung des individuellen Kindes. Allmählicher Notenstress seit Jahrgangsstufe drei. Kleine Klassen allerdings. Gewaltige Unterschiede im Vergleich zu meiner Schulzeit, was Fragen der Disziplin, des Strafens, der Kindgerechtheit angeht. Welch Segen. Weiter„Eine Schule fürs Zusammenleben“

 

Der schauerliche Traum von einer europäischen Festung

Immer mehr Menschen schreien nach Abschottung. Wenn wir dieser völkischen Raserei nachgeben, werden wir für Jahrzehnte in einen gesellschaftlichen Abgrund stürzen.

© Laszlo Balogh
© Laszlo Balogh

In Zeiten der grassierenden Paranoia auch noch Edgar Allan Poe zu lesen, klingt wie keine gute Idee, kann aber sehr hilfreich sein. Poe war ja für einiges ein Spezialist. So auch für den Wahn von der Festung – eben den Wahn, der zurzeit in weiten Teilen Europas um sich greift und sogar als politisches Prinzip gehandelt wird. Das ganze Szenario der Abschottung einer Gruppe von Wohlhabenden gegen Elend und Terror hat Poe schon durchgespielt, kompakt und symbolträchtig, wie es seine Art war, und bis hin zum grauenvollen Ende. Weiter„Der schauerliche Traum von einer europäischen Festung“

 

Der Syrer isst ja noch nicht mal Gurkensalat

Die Ängste des besorgten Bürgers soll man auch mal ernst nehmen. Man muss ja nicht gleich eine Mauer errichten. Aber man wird doch wohl mal drüber sprechen dürfen.

Heute, lieber Bürger, nehmen wir Sie wirklich ernst. Ehrlich. Wir nehmen Sie ernst. Mit all Ihren Nöten, Ihren Bedenken, Ihren Panikattacken, Ihrem Hass und Ihrem Abscheu gegenüber Aliens. Wir hören Ihnen zu. Nehmen Sie Platz, bitte. Sitzen Sie bequem? Möchten Sie ein Glas Wasser? Einen deutschen Wodka? Kaffee? Ein Glas Rotkäppchensekt? Weiter„Der Syrer isst ja noch nicht mal Gurkensalat“

 

Wer hier blutet, blutet richtig

Es gibt einen Ausweg aus unserem von technischem Luxus eingelullten Dasein. Marina Abramović, die in ihren Performances immerzu ihre Gesundheit riskiert, lebt ihn vor.

Die Forderung, der „wahre“ Künstler müsse bereit sein, für seine Kunst zu sterben, ist so romantisch und überzogen, dass keiner je so verrückt war, damit ernst zu machen. Naja, sagen wir fast keiner. Denn es gibt da eine Künstlerin, die mittlerweile über 40 Jahre für oder besser in ihren Werken rücksichtslos ihre Gesundheit aufs Spiel setzt. Die gebürtige Jugoslawin und Wahl-New-Yorkerin Marina Abramović. Sie lag in einem Ring aus Feuer, bis sie bewusstlos wurde, kämmte sich eine Stunde lang das Haar, wobei sie unentwegt den Satz „Art must be beautiful“ wiederholte, zuletzt nur mehr vor Schmerzen stöhnend und schreiend; sie rannte mehrmals nackt und mit voller Wucht gegen ihren Partner Ulay, den Deutschen Frank Uwe Laysiepen, und anschließend gegen eine Betonsäule; später ließ sie ihn mit Pfeil und Bogen auf ihr Herz zielen. Weiter„Wer hier blutet, blutet richtig“

 

In seinem zerschmetterten Gesicht lebte noch die Hoffnung

Ein junger Mann lernt im Internet eine Frau kennen. Blind vor Liebe fährt er nach Beirut, um sie zu treffen. Die Begegnung eskaliert. Eine poetische Spurensuche

Als der junge Mann die deutsche Botschaft in Beirut schließlich erreichte, hatte er schon keine Sehnsucht mehr. Er empfand gar nichts mehr. Die Sehnsucht hatte sich in etwas verwandelt und noch immer rätseln wir darüber, was es sein könnte. Einfach nur Sehnsucht nach Beirut? Die glühende magische Anziehungskraft des Nahen Ostens? Weiter„In seinem zerschmetterten Gesicht lebte noch die Hoffnung“