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Als rechtes Schwein musst du dir die Haare nicht rot färben

Verdient die Witwe eines Faschisten Mitleid? Unser Kolumnist besucht sie immerhin. Dabei fällt ihm ein: Er selbst war mal ein national blökendes Viech. Das Fax der Woche

Große Freude kommt auf beim Tod des Faschisten. Die Leute sagen: Er ist endlich in der Hölle, das ist ein großer Saal, in dem seine bleichen Kameraden, verreckt im Krieg, verreckt als Führers Soldaten, Totentänze tanzen. Dort muss der Faschist in die Mitte springen, immer wieder, und sich verbeugen vor den grinsenden Wärtern mit den Hornsprossen. Ein Sprung, dann zurück ins Glied, ein Sprung, noch einmal, keine Ermüdung, keine Erlösung, er wird springen müssen bis in alle Ewigkeit.

Ich aber besuche die Witwe, die der Wahn des Mannes in den Ehejahrzehnten durchdrang. Sie erstarrt in der Tür: Bin ich der Rächer der niederen Rasse? Will ich sie in den jenseitigen Tanzsaal befördern, dass die trotz knackender Gelenke die Tänze der negroiden Völker üben muss? Ich spreche mein Beileid aus, sie bittet mich herein. Hat der Faschist ihr geraten, sich zu hüten vor dem Mitgefühl der Kaukasier? Dummes Zeug, sie trauert, der Sohn und die beiden Töchter trauern. Schöne Menschen, leider. Was habe ich erwartet? Dass die Sündenschwärze des Vaters auf die Kinder abfärbt? Weiter„Als rechtes Schwein musst du dir die Haare nicht rot färben“

 

Das Unglück ist eine ungekochte Süßkartoffel

Die Affenforschung offenbart mal wieder tiefe Einblicke in das Wesen des Daseins. Unser Autor hat der Wahrheit ins Auge gesehen: Ein besseres Leben ist nicht möglich.

O je, wir Schimpansen. Wir essen gerne Gekochtes, aber wir können kein Feuer machen, wir können keinen Herd bedienen, wir können nicht gut grillen. Dank ein paar Verhaltensforschern wissen Sie das jetzt. Das ist okay und bestimmt ein wenig interessant. Nicht okay ist es, dass wir das jetzt auch wissen. Das ist sogar ziemlich schlimm: Plötzlich herauszufinden, dass man etwas will, was man aber beim besten Willen nicht kann.

Dann hätte man es lieber nie erfahren, dann hätte man lieber nie etwas Gekochtes probiert, so wahnsinnig toll war es nun auch nicht. Die Verhaltensforscher sind nun aber weg, und wir Schimpansen sitzen da und kauen lustlos auf einer Süßkartoffel herum, die für uns ab jetzt nie mehr eine Süßkartoffel sein wird, sondern eine rohe Süßkartoffel. Eine Süßkartoffel, die schon einmal besser geschmeckt hat. Bei jeder Süßkartoffel schmecken wir jetzt die Differenz zwischen dem, was sein könnte, und dem, was leider nun einmal so ist, und Differenzen schmecken staubig. Weiter„Das Unglück ist eine ungekochte Süßkartoffel“

 

Gegen den Widerstand der Wüste

Offenheit, Heterogenität, Transkulturalität – das klingt alles gut. Bei einem Besuch in Kairo aber ahnt man, warum Kulturen dazu neigen, sich voreinander zu verschließen.

Kairo: Gegen den Widerstand der Wüste - Freitext
© Ed Giles/Getty Images

Lange gleitet die Air Egypt Maschine an diesem Sonntagabend über die Häuser von Kairo. Die schiere Ausdehnung der 18-Millionen-Stadt, dieser City out of Control, wie mir ein Buchtitel am nächsten Morgen in einer arabischen Buchhandlung verrät, lässt keine andere Annäherung zu. Bunt das Elektromeer unter mir, die dicken Straßenadern, vier rote, weit gestreckte Kanäle, vier gelbe, festgefroren in einer Glasröhre, der Fieberverkehr. Auf dem Rückflug am Ende der Woche ein vollkommen anderes Bild: sehe nur erdbraun, wüstenbraun, sehe den Sand, der die Stadt umgibt – in den sie übergeht, in dessen Farben sie gebaut ist. Darüber steigen Rauchfahnen in die Höhe, überall brennt Müll.

Tage in einem dicht von Menschen, haushohen Werbeschildern, Autos in jedem Grad der Blechabschilferung besiedelten, bewegten, durchkreuzten Raum. Meine Hilfsmittel: die Bilder im Kopf vom November 2013. Gesprächspartner, ihre Antworten, ihr eigenes Suchen. Anders als vor 16 Monaten ist der Tahrir-Platz durchgehend geöffnet; der einzige Panzer, den ich sehe, steht vor der Botschaft Saudi-Arabiens auf der andern Seite des Nils. Die Häuser am Platz der Februarrevolution von 2011 sind frisch renoviert, sie wirken wie aus dem Ei gepellt. Das mächtige Zentralverwaltungsgebäude Ägyptens, die Mogamma, in dessen Tiefen man sich für Tage verlieren kann (ägyptische Kenner der deutschsprachigen Literatur versichern, Kafka sei harmlos), arbeitet wieder. In der Buchhandlung, in der das Out of Control mir ins Auge springt, weil es nicht zu meinen Seh-, wohl aber zu meinen Gefühlseindrücken passt, liegen die ersten Abdel-Fattah-al-Sissi-Monographien aus. Weiter„Gegen den Widerstand der Wüste“

 

Kerl mit Narbenfresse in Schwanenlandschaft

Die Studentin redet von benutzten Mädchenschlüpfern und will 50 Euro. Für unseren Kolumnisten kommt es dicke: Er wird für einen Freier gehalten. Das Fax der Woche

Die junge Frau spricht mich im Park der schwarzen Schwäne an. Sie sieht dem Model mit den dicken Augenbrauen ähnlich. Ich reiche ihr eine Mentholzigarette, ich gebe ihr Feuer, ich starre wieder aufs Wasser. Sie muss nach dem ersten Zug husten. Platzregen, Kindergeschrei in der Ferne, Sirene des Notfallwagens, ich ziehe mich unter die dicken Äste der Eiche zurück.

Sie mustert mich. Was sieht sie? Einen unrasierten Mann in Schwarz, Schlammspritzer an Stiefelspitze und Hosenbein, vernarbte Wangen. Kerl mit Narbenfresse in Schwanenlandschaft. Was sehe ich? Studentin im Flohmarktmantel, modische Turnschuhe, straffer Haarknoten auf dem Kopf, keine einzige lose Strähne. Ich wünsche ihr einen guten Tag. Sie bittet mich, zu bleiben und klopft auf den Platz neben ihr auf der Parkbank. Weiter„Kerl mit Narbenfresse in Schwanenlandschaft“

 

Stups mich am Popo und ich sag dir, wer ich bin

Hunde schnüffeln sich gegenseitig am Hintern rum. Menschen gucken auf ihre Smartphones. Im Grunde dasselbe. Unser Autor erklärt seinem Labrador, was Kommunikation ist.

Kommunikation: Stups mich am Popo, ich sag dir, wer ich bin
Nicholas Kamm/AFP/Getty Images

Adele, komm mal her! Mach Sitz! Und hör gut zu, ich muss dir was erklären. Heute: die Kommunikation.

Weißt du, Adele, manchmal haben die Menschen allen Grund, auf euch Hunde neidisch zu sein. Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, was man wissen will, was man wissen kann und in welchem Verhältnis das erwünschte und das tatsächliche Wissen zueinander stehen.

Guck nicht so belämmert, Adele, ich gebe dir gleich ein Beispiel. Ich weiß ja, dass du für Abstraktionen nichts übrig hast. Wenn also ihr beiden unterwegs seid, du und Monty, dein, nun ja, biologischer Papa, und ihr trefft einen anderen Hund, dann klärt sich meistens innerhalb von ein paar Sekunden, was ihr voneinander denkt. Wenn ich richtig informiert bin, besitzt ihr Hunde zu diesem Zweck ein Kommunikationssystem, das über Gesten und Blicke, vor allem aber über den Geruch funktioniert und ganz offenbar von hoher Aussagekraft und Zuverlässigkeit ist. Weiter„Stups mich am Popo und ich sag dir, wer ich bin“

 

Der Riss im Urvertrauen

Nirgendwo fühlen wir uns so sicher wie in unseren eigenen vier Wänden. Was, wenn diese Sicherheit porös wird? In Köln ist der Alptraum des Stürzens immerzu präsent.

Der Alptraum – ein Sturz
© Vladimir Rys/Getty Images

Es ist eines jener Löcher, die sich sonst nur in Alpträumen auftun. Eben noch gehe ich über eine Straße, öffne in meiner Wohnung eine Tür, sitze schreibend an meinem Tisch, denn nur beim Schreiben, wenn ein Wort das nächste ergibt, stürze ich ähnlich unvermittelt von einer Welt in die andere wie in einem Traum. Plötzlich reißt unter meinen Füßen der Boden auf. Die Straße versinkt in einem Krater, hinter der Tür rutscht das Zimmer in die Tiefe, der gerade begonnene Satz bricht ab und markiert mit dem Wort, das ich nicht mehr vollenden werde, den Zeitpunkt meines Verstummens.

Der freie Fall ist vielleicht deshalb oft Höhe- und Endpunkt eines Alptraums, weil er den totalen Verlust der Kontrolle bedeutet – über den Körper und die Umwelt, über die Sprache und über sich selbst. Wenn es einem Menschen den Boden unter den Füßen wegzieht, meinen wir mit diesem Sprachbild meist seinen durch einen unvermittelten Bruch in seinem Leben ausgelösten Sturz in eine persönliche Krise, den jähen Einbruch des Unwahrscheinlichen in das alltägliche, mehr oder weniger sicher gewähnte Leben. Eine durch höhere Gewalt ausgelöste Katastrophe, der plötzliche Verlust eines geliebten Menschen, die eigene Wohnung, die man von einer Minute auf die andere verlassen muss. Weiter„Der Riss im Urvertrauen“

 

Mutters Rettung ist alles, was zählt

Er kann nichts mehr sehen, nichts mehr riechen. Schmeckt nur noch Asche. Die Mutter unseres Kolumnisten liegt im Koma. Wie hält man diese Angst aus? Das Fax der Woche

Mutter fällt ins Zuckerkoma, Zuckerwert 600mg/dl, sie liegt auf der Intensivstation, Lebensgefahr, düstere Prognose. Mein Vater erlöscht, meine Schwester erlöscht, ich erlösche. Drohender Tod, tausend Stacheln im Fleisch. Vater lauert im Flur, die Schwestern scheuchen ihn, der Arzt ist Meister der Keimfreiheit, er bittet ihn, zu weichen. Vater bleibt. Die Frau im Koma stand ihm über ein halbes Jahrhundert zur Seite. Er sitzt in der harten Plastikschale. Die Schwestern und der Arzt beraten: Dieser Mann soll bleiben.

Ich bin weit weg, ich bin unterwegs, ich rufe Vater an, er sagt: Hoch lebe die Medizin, Gebete helfen, bete für ihre Gesundung. Meine Schwester wird zur Löwin in Berlin. Sie ermittelt Nummer und Durchwahl der Station, sie ruft mich an, sie ruft im Krankenhaus an und stellt auf Lautsprecher. Nach vielen Versuchen dringt sie endlich zum Arzt durch. Er spricht im breiten Dialekt der Bauern, guter Mann. Weiter„Mutters Rettung ist alles, was zählt“

 

Die Rache der Taka-Tuka-Länder

Wie viele psychotische Schübe hatte Pippi tatsächlich? Was hat sie mit dem Fall der Berliner Mauer zu tun? Unser Autor kennt die Geheimnisse des Kinderstars. Sie auch?

Pippi Langstrumpf: Die Rache der Taka-Tuka-Länder
© Pressens Bild/AFP/Getty Images

Gestern feierte Pippi Langstrumpf ihren 70. Geburtstag. Wir waren natürlich wieder mal nicht eingeladen. Deshalb gratulieren wir erst heute mit vernuschelten Entschuldigungen, in denen „kranke Oma“ und „seltsamer Bug in der Kalender-App“ vorkommt. Als Geschenk haben wir das Quiz von SPON geklaut. Nur ohne Bildstrecke.

WER HAT ES GESAGT?

„Sein oder Nichtsein?“

  • Pippi Langstrumpf
  • Hamlet

RICHTIG. Pippi sagte diesen mittlerweile legendären Satz im verstörenden letzten Film der Reihe Pippi und die Rache der Taka-Tuka-Länder (1975), als sie den Schädel des bestialisch ermordeten Tommy findet. Kurz darauf kommt zum Glück ein Pferd vorbei, das sie hochheben kann. Das macht ihr Spaß. Dem Pferd macht es keinen Spaß. Weiter„Die Rache der Taka-Tuka-Länder“

 

Der Hass bleibt auf der Strecke

Schade. Der Streik ist schon vorbei. Der hat immerhin dazu geführt, dass alle zu Hause bleiben mussten, die sonst ihre sozialen Abgründigkeiten in den Abteilen entladen.

© Adam Berry/Getty Images© Adam Berry/Getty Images

Wer an einem verlängerten Wochenende mit der Bahn Berlin verlässt und einen Ausflug macht, kann im Regionalexpress erleben, warum die europäische Flüchtlingspolitik so ist, wie sie ist, warum es Pegida gibt und was es heißt, deutsch zu sein.

Bei der Hinfahrt Richtung Usedom am vergangenen Donnerstag, Christi Himmelfahrt, schieben und stapeln die Fahrradfahrer ihre Räder im Zug in- und übereinander. Alle schimpfen über die Deutsche Bahn, an diesem Feiertag keine Sonderzüge einzusetzen, sind aber überwiegend frohen Mutes, von der Zuversicht geleitet, unbeschadet und einigermaßen pünktlich ans Ziel zu gelangen.

Auf der Rückfahrt am Sonntag herrscht dagegen eine Das-Boot-ist-voll-Atmosphäre. Weiter„Der Hass bleibt auf der Strecke“

 

Porträt mit falscher Schläfenlocke

Der Ami will als Jude gemalt werden. Und zwar bitteschön von unserem Kolumnisten, der bekanntlich Moslem ist. Der Typ will ihn wohl verschaukeln. Das Fax der Woche

Ich male den Juden mit einer falschen Schläfenlocke. Das Haar kringelt sich auf dem Handteller, die Hand hält er in Brusthöhe. Die Pose des Mystikers, der es aufgegeben hat, auf das Ende aller Tage zu warten. Immer wieder sagt er: Mach mir den Jid.

Ich will keinen Streit. Ich bin bei der Arbeit, Tusche, Farben, Pinsel, ich werde keinen Strich verziehen, weil der Mann, der mich für die Arbeit bezahlt, den bösen Hasser in mir entdecken will. Der Bekannte eines Bekannten. Amerikaner im Berliner Exil, sein Land unter Obama entgleitet ihm. Ultrakonservativ. Kommt nach Kiel, um Möwen schreien zu hören. Möwen hat er auch in Berlin, ihm egal, nicht dasselbe, Möwe und Meer, das passt, Möwe und Fluss ist falsch.

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