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„Fat Pig“

Die Arbeiten des amerikanischen Erfolgsautors Neil LaBute werden geschätzt für ihren klugen Blick auf die Beziehungen moderner Menschen untereinander und zu sich selbst. In seinen komödiantischen Dramen ringen die Figuren oft darum, sich innerhalb des engen gesellschaftlichen Korsetts selbst zu verwirklichen. So auch in Fat Pig. Tom, ein junger aufstrebender Büroangestellter, verliebt sich in die brillante, intelligente, aber übergewichtige Helen. Sein Freund und Kollege Carter hält die Beziehung für einen Scherz, seine Ex-Freundin Jeannie fühlt sich persönlich beleidigt. Ed Sheridan brilliert als der jungenhafte, feige Tom, dem es schwerfällt, zu seiner Liebe zu stehen, weil Helens Körper nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen entspricht. Die Aufführung lebt von der guten Besetzung englischer Schauspieler, die die schmissigen Dialoge im feinsten britischen Englisch performen. Während der Premiere sorgte ein verirrter Schmetterling für unprogrammierte Frische. Er flatterte just auf die Bühne, als Tom und Helen sich anflirteten. Ein schönes Bild, das der etwas uninspirierten Kulisse zu mehr Schwung verhalf. Inszeniert wurde das humorvolle, intelligente Kammerspiel von Robert Rumpf, der das englischsprachige Theater 1976 mit Clifford Dean gründete.

Text: Lisa Scheide

 

„Gentrifiction“

An einem einzigen Abend rauscht die Tragikomödie Gentrifiction durch gleich drei Welten – als kompakte Theater-Trilogie, deren gemeinsamer Nenner die Suche nach der Weltformel heißen könnte. Zunächst bearbeitet ein Paar in ebenso konkreten wie absurden Alltagssituationen seine Liebesbeziehung, aus der eine Trennungsgeschichte wird. Etwas abgehobener geht es bei zwei Pionieren der virtuellen Welt namens Hinz und Kunz zu, die Datenberge wörtlich nehmen und sich in einer surrealen Landschaft verlieren. Tatsächlich jede Bodenhaftung verloren haben schließlich vier Menschen, die als sogenannte Weltunter-Gang als letzte Vertreter ihrer Spezies in einer Raumstation den zerstörten Planeten Erde umkreisen und sich ebenso sinnfreien wie lebensunpraktischen Fragen widmen, zum Beispiel: Wie lang sind eigentlich 10 hoch minus 34 Sekunden? Autorin Lena Biresch gewann den Kaltstart-Jurypreis 2014 in der Kategorie Bestes Stück und gibt die Uraufführung nun in die Hände von Regisseur Helge Schmidt.

Text: Dagmar Ellen Fischer

 

Poetry-Slam Hamburg vs. Berlin

Die Frage aller Fragen aus Mitfahrgelegenheiten, Gesprächen mit neuen Kollegen oder der frisch zugezogenen Freundin wird erneut gestellt: Berlin oder Hamburg, was ist besser? Dabei geht es hier aber nicht darum, dass in Berlin mehr los ist und die Lebenshaltungskosten geringer sind, Hamburg dafür hübscher und sauberer ist und es keinen besseren Kiez als St. Pauli gibt. Es geht um Poesie – und da sind beide ebenbürtige Gegner. In Kooperation mit dem Kampf der Künste stellen sich die besten Poeten aus der Hauptstadt des Poetry-Slams und der Hauptstadt dem Publikum. Wer schreibt die besseren Geschichten? Wer die besseren Texte? Wer performt am überzeugendsten? Der uralte Zwist der beiden größten Städte unseres Landes findet am Donnerstag also eine neue Bühne, und ist schon fast ausverkauft. Ausgetragen wird der Kampf hier bei uns im Deutschen Schauspielhaus. Berlin kann ja schließlich jeder!

Text: Andra Wöllert

 

The Fratellis

Zugegeben, der Name Fratelli klingt nicht besonders schottisch. Ist er auch nicht – genauso wenig wie die drei Typen aus Glasgow, die sich seit elf Jahren The Fratellis nennen. Ihr Bandname ist eines der letzten großen Rätsel des Rock. Ein Lösungsansatz: Sänger und Gitarrist John Lawler, Schlagzeuger Gordon McRory und Bassist Barry Wallace haben sich am gleichnamigen Gangsterclan aus Steven Spielbergs Film The Goonies orientiert. Ein anderer, etwas naheliegenderer: Die Musiker haben einfach den Geburtsnamen von Barrys Mutter angenommen, der gleichzeitig das italienische Wort für Brüder ist. Was auch immer stimmt: Fakt ist, dass diese Schotten einen unverwechselbaren, klaren Sound geschaffen haben, der sich aus melodiösem Punk-Pop und typisch britischen Indie-Gitarren zusammensetzt. Zu erleben am Donnerstag im Gruenspan.

Text: Erik Brandt-Höge

 

Eigenarten Festival

Dass das Zusammentreffen verschiedener Kulturen eine Bereicherung für jede Gesellschaft ist, weiß das Eigenarten Festival schon lange. In seinem elftägigen Programm lebt es diese These aus und erweitert Horizonte. Dafür müssen die Organisatoren nicht einmal in die Ferne schweifen, sondern finden vor Ort en masse Talent und Kreativität: Das Festival präsentiert an verschiedenen Orten Theater, Tanz und Lesungen internationaler Künstler, die zum Leben und Arbeiten nach Hamburg gezogen sind. Das Stück Verboten Leben der Theatergruppe Open Minds erzählt zum Beispiel von den Erlebnissen junger Menschen im Exil, während der Salon Français mit einem Mix aus Konzert, Werkschau und Talk französische Salonkultur nach Hamburg bringt. Am Donnerstag wird das Festival im Polittbüro eröffnet – mit Vorgeschmack auf die Trilogie Europa! von der Theatergruppe Follown. Es empfiehlt sich, eine Reservierungs-E-Mail mit dem Betreff „Auftakt 2015“ an eroeffnung@festival-eigenarten.de zu schicken.

 

Howard im Volt

Die etwas holprige Wortschöpfung Folktronica trifft den Sound von Howard ziemlich gut, wobei man dabei auch an Fink (UK) denken könnte. Die vier Jungs aus Brooklyn klingen dennoch ganz anders. Sie kommen nicht ganz so cool daher, eher lässig, flirrende Bastelklänge verzieren den poppigen Beat, darüber erhebt sich die helle und leicht verschnupfte Stimme von Howard Feibusch persönlich und mit einem Schuss Bon Iver und den Buckleys. Stolz ist die Band auf ihr nagelneues Debutalbum Religion. Zu Recht, daran haben sie jahrelang gearbeitet. Zehn ausgetüftelte Perlen mit entspanntem Drive, aber auch mal einer bratzenden Klampfe, kamen heraus. Ganze 30 Minuten ist das dennoch dichte Werk lang, denn die CD füllen mit Leerlauf muss in Zeiten von iTunes und Amazon glücklicherweise niemand mehr.

Text: Georg Kühn

 

Phoria

Gehauchte Entrückung fließt aus dieser Musik, eine Stimmung, die man noch von Talk Talk kennt, und von denen könnten auch die Pianoparts stammen. Klänge ohne Eile und voller heimeliger Melancholie, genau das Richtige für den nasskalten Herbst. Dass diese Band aus dem südenglischen Brighton auch anderen nicht verborgen blieb, beweisen allein schon die Hunderttausenden YouTube-Klicks, die ihre sehenswerten Clips erreichen. Dort findet man auch die herzzereißend schöne Akustikversion von Saving us a Riot. Ambient, Indie und Northern Soul verschmelzen zu einem hörenswerten und sehr eigenen Sound voller merkwürdiger Geräusche und Einsätze. Es wird höchste Zeit, dass die Truppe nach zwei vielbachteten EPs endlich mal einen Longplayer auf die Teller bringt, dann würden wir der Phoria noch glatt ein Eu davor schenken.

Text: Georg Kühn

 

Hamlet

Hamlet, das wuchtige Stück von Sein und Schein, von Wahn und Sinn, Rache und Gerechtigkeit, steht seit 1602 ununterbrochen auf dem Spielplan. Kein Wunder, viele halten es für das beste Stück Literatur überhaupt. Für dieses Juwel wird ein besonderer Aufwand betrieben, die Tragödie wird live aufgeführt im Barbican in London und direkt in ausgewählte Kinos übertragen – so auch ins Savoy in Hamburg. In der Handlung nutzt Hamlet (gespielt von Benedict Cumberbatch) selbst die Bühne, um dem Bösewicht seine Missetat zu demonstrieren, sodass in dieser Konstellation die Bühne auf der Bühne nun live in einem Lichtspielhaus in weiter Ferne aufgeführt wird. Um das zu verdauen, gibt uns die National-Theatre-Truppe um den Regisseur Lyndsey Turner nach knapp zwei Stunden eine Pause von zwanzig Minuten, damit wir danach erfrischt der finalen Auslöschung von Hamlets Sippe beiwohnen können.

Text: Georg Kühn

 

Hoffnungslos optimistisch

Der Deutsche Kleinkunstpreis 2015 nennt Christoph Sieber „die Stimme des jungen Kabaretts“. In seinem bereits fünften Soloprogramm Hoffnungslos optimistisch seziert er mit dem für ihn typischen Galgenhumor die bestehende Gesellschaft. Er singt und tanzt gegen Verschwendung und Trägheit und nimmt dabei jeden auf die Schippe und in die Verantwortung, vor allem aber die Strippenzieher und Lobbyisten im Hintergrund. Mit Harmlosgesicht, Studentenbrille und leichtem Silberblick haut er die härtesten Einsichten raus und oft genug bleibt dem Publikum das Lachen im Halse stecken, gelegentlich auch aus dem Verdacht heraus, gerade selbst entlarvt zu werden. „Wenn Gott gewollt hätte, dass der Afrikaner kommt, dann hätte er ihm Schwimmen gelehrt!“ Ein Moralist mit klarer Sicht und scharfer Klinge, denn die Lage ist nicht ernst, aber hoffnungslos. Am Mittwoch und Donnerstag kann man sich in Alma Hoppes Lustspielhaus den Spiegel vorhalten lassen. Was man dann wohl sieht?

 

Hüsnü, hilf!

Güzin Kar ist ein Tausendsassa. Sie schreibt Bücher und Drehbücher (etwa für Die wilden Hühner), macht Paarungsberatung und gibt dem Schweiztürken Hüsnü Haydaroglu regelmäßig Text im SRF Kultur. Die Stimme verleiht ihm Hilmi Sözer, bekannt aus dem Schuh des Manitu, der Verrückten türkischen Hochzeit oder dem Drama Jericho von Christian Petzold. In dieser gemeinsamen Mission dürfen wir die beiden auch im Polittbüro erwarten. Hüsnu gibt Lebensrat und Antworten auf Fragen, die man ihm direkt stellen kann. So äußert er sich zu konfliktreichen Themen wie der Schwulenehe, der Ménage à trois oder der ungerechten Bezahlung von Putztätigkeiten. Sein merkwürdiges Idiom voller seltsamer Inversionen und Extrasilben vermittelt Schalk und Weisheit zugleich und garantiert einen lustigen Abend voll Gelächter und Erkenntnis. Oder wie die Autorin verspricht: Sofortglück für alle!

Text: Georg Kühn