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Mick Jenkins

Selten rappt jemand so ruhig und hat dabei so viel Nachdruck in der tiefen Stimme: Mick Jenkins flowt scheinbar mit Leichtigkeit über Bass und Snair. Seine Lyrics sind dafür alles andere als leichte Kost. Der 24-Jährige scheut keine sozialkritischen Themen wie nicht nur sein Song Dehydration feat. The Mind beweist. Geboren wurde der Rapper mit dem bürgerlichen Namen Jayson Jenkin in Huntsville, Alabama und wuchs in Chicago auf. Der Stadt, mit einer der höchsten Kriminalitätsraten des Landes. Vielleicht hat ihn das dazu inspiriert, Jura studieren zu wollen. Ein Vorab-Praktikum hat Jenkins aber so desillusioniert, dass er sich schließlich für den Bereich Public Relations entschied. In der Zeit widmete er sich mehr dem Schreiben und damit dann dem Rappen. Andere Genre-Größen wie Redman, Method Man oder Joey Bada$$ verpflichteten Mick Jenkins als Support-Act. Es wird Zeit, dass auch Deutschland dieses raue Talent live kennenlernt. Für zwei Termine kommt er her, unter anderem in den Kleinen Donner.

Text: Andra Wöllert

 

Son Lux

Die größte Begabung von Ryan Lott a.k.a. Son Lux: Er findet zu Bildern die passende Musik. Bilder, das sind im Fall von Son Lux vor allem ganze Szenen. Der Amerikaner hat bereits zigfach die Musik für Filmsequenzen produziert. Etwa war er für den Soundtrack von Das Verschwinden der Eleanor Rigby verantwortlich, zudem hat er den Sound für diverse Werbespots entworfen. Besonders bekannt ist der Multiinstrumentalist für seinen Stilmix aus Electro und Folk, der nicht selten düster-dramatisch, vernebelt und doch immer euphorisierend klingt. Im Sommer erschien das neue Album von Son Lux, Bones, das er zusammen mit dem Gitarristen Rafiq Bhatia und Schlagzeuger Ian Chang geschrieben und aufgenommen hat, und das das Trio im Uebel & Gefährlich sicher sehr beeindruckend live inszenieren wird.

Text: Erik Brandt-Höge

 

The Garden

Das ist kein Punk, das ist kein Elektronica, das ist Vada Vada, den The Garden da spielen. So zumindest nennt das Duo selbst seine Mischung aus – dreimal dürft Ihr raten – Punk und Elektronica. Suchen mussten sie einander nicht lange. Wyatt und Fletcher sind Zwillinge aus Orange County, Florida. Auf der Suche nach ihrem Sound versuchten sie, sich ungeachtet der Ideale von Musikgenres, alle Freiheiten zu lassen. Auf der Bühne gibt es ebenso wenige Grenzen für die beiden. Ihre Shows gleichen fast Theaterinszenierungen. Jetzt kommen sie nach Deutschland und machen am Montag Station im Molotow. Erwartet eine experimentelle, kraftvolle, wortgewandte und witzige Show! Vada Vada eben.

Text: Andra Wöllert

 

FAQ-Room 1: Pier Paolo Pasolini

Salò ist eine fiktive Republik im vom Deutschen Reich besetzten Norditalien. Vertreter des moralisch und sexuell verkommenen Regimes halten junge Frauen und Männer gefangen, um an ihnen ihre Triebe und Macht auszuleben. Sie werden an der Leine geführt, vergewaltigt, müssen Kot essen, um am Ende brutal gefoltert und ermordet zu werden – wegen ihrer „Vergehen“. Regisseur Pier Paolo Pasolini schuf mit 1975 erschienenen Salò oder Die 120 Tage von Sodom eines der umstrittensten Werke der Filmgeschichte. Pasolinis Diagnose: „Die Mächtigen sind immer Sadisten, und wer Macht erdulden muss, dessen Körper wird zur Sache, zur Ware.“ Im gleichen Jahr noch wurde der Film in vielen Ländern verboten und der Regisseur ermordet. Fast ausschließlich zensierte Versionen wurden seither gezeigt. 40 Jahre nach der Premiere geht man nun im Schauspielhaus der Frage nach, wie aktuell seine politische und künstlerische Bestandsaufnahme noch ist.

Eine Gruppe von Autoren und Pasolinis Wegbegleiter, der Dokumentarfilmer und Filmjournalist Gideon Bachmann, reflektieren diese Frage – auch mithilfe von Set-Fotografien von Bachmanns Frau Deborah Beer. Noch gibt es Restkarten. Einen Tag später wird der Film übrigens im Original im Abaton gezeigt.

Text: Andra Wöllert

 

Fink

2006 war für Fin Greenall aka Fink das Jahr der Zäsur: Damals entschied der Dub- und Trip-Hop-DJ und -Produzent, seine bisherige Karriere gegen die als Singer-Songwriter zu tauschen. Gute Idee. Denn mit seiner Mischung aus Folk, Blues und Indie beglückt er seitdem europaweit mit Melodien, die verzaubern, und mit Texten über Literarisches (Shakespeare) oder Kulinarisches (Blueberry Pancakes), die hinter der Fassade aber immer tiefgründig-melancholisch sind. Bei Live-Auftritten potenziert sich die Verzückung, bringt Fink es doch stets fertig, mit seinen intensiven Interpretationen das Gefühl zu erzeugen, man könne direkt in sein innerstes Seelenleben blicken. Mit dem 2015er Album Horizontalism kommt Fink zurück zur elektronischen Musik. Die Bühne im Docks wird daher eventuell anders aussehen, als sonst bei Fink-Konzerten üblich. Voller. Mit Elektrogeräten. Wir sind gespannt.

Text: THU

 

„Fieber am Morgen“

Da lässt Péter Gárdos den Leser in seinem ersten Roman gleich ganz tief in sein Familienleben blicken. In Fieber am Morgen erzählt er nämlich die Liebesgeschichte seiner Eltern – und die ist vom Leben und vor allem Überleben gezeichnet. Der junge Miklós wird im Sommer 1945 nach Schweden gebracht. Nur noch Haut und Knochen, hat er das KZ Bergen-Belsen überlebt. Der Arzt gibt ihm keine gute Prognose. Miklós aber hat nicht vor, zu sterben, denn auch 117 junge Damen aus seiner Heimatstadt haben den Holocaust überlebt, und sind nun in Schweden. Eine davon wird er heiraten. Dafür schreibt er jeder einzelnen einen Brief.
Die schicksalhafte Begegnung hätte Péter Gárdos direkt als Film oder Bühnenstück umsetzen können, der Ungar ist eigentlich Film- und Theaterregisseur. Gárdos aber entschied sich für einen Roman. Aus dem liest er zusammen mit Christian Brückner im Abaton Passagen vor und erklärt vielleicht auch diese für ihn ungewöhnliche Umsetzung dieser traurig-schönen Liebesgeschichte.

Text: Andra Wöllert

 

Onkel Wanja

Meist in behäbigen Gummistiefeln agieren die Figuren in der klugen Tschechow-Inszenierung von Karin Beier, und das oft nur auf einem schmalen Steg einen halben Meter über der komplett mit Torferde ausgelegten Bühne. Ein zuweilen grotesker Balanceakt für die Schauspieler und eine fast ungehörige Raumteilung bei einer so großen Bühne. Der verknappte Handlungsraum steht im Kontrast zu dem sich im Dunkeln verlierenden Erdboden.

Ob Bauer oder Gutsherr, das Landleben ist stumpf und langweilig, allein Eros vermag die Gestalten noch zu fordern, nur um sie scheitern zu lassen. Onkel Wanja, gespielt von Charly Hübner, sieht sein Leben vertan, weil er das Professorendasein seines Schwagers jahrelang finanziert hat, indem er wie ein Tier gearbeitet hat. Seine Nichte Sonja (sagenhaft gespielt von Lina Beckmann) ist hoffnungslos in den Arzt und Alkoholiker Michail Astrow verliebt. Der sieht in dem Bauernmädchen nicht den Funken einer Frau, er fühlt sich wie Wanja zur Professorengattin Elena hingezogen.

In bleierner Heiterkeit eskaliert das Geschehen und endet mit Sonjas Glaubensbekenntnis: Das eigentliche Leben kommt nach dem Tod, davor wird gearbeitet, um dem unglücklichen Dasein entgehen zu können. Alles wieder auf Anfang. Eine Endlosschleife.

Text: Lisa Scheide

 

Shakespeares Sturm

Prospero, einst rechtmäßiger Herzog von Mailand, wurde von seinem Bruder Antonio gestürzt und mit seiner Tochter Miranda auf einer Insel ausgesetzt. Mithilfe der magischen Wesen Ariel und Caliban avanciert er zum Herrscher der Inselbewohner. Als ein Schiff mit seinen damaligen Widersachern in die Nähe der Insel gerät, ist Prosperos Zeit der Rache gekommen: Er lässt das Schiff durch einen Sturm sinken und König Alonso, dessen Sohn Ferdinand und Antonio am Ufer der Insel stranden. Shakespeare wirft in Der Sturm ein meisterhaft gesponnenes Netz aus Lügen und Intrigen aus, in dem er alle Figuren zappeln und zerren lässt auf der Suche nach Erlösung. Das Stück wird noch bis Mitte November im Ernst-Deutsch-Theater gezeigt.
Text: HB

 

Johanna Borchert & Band

Mit kindischem Klimpern begann, was heute eine famose Karriere ist: Johanna Borchert, unter anderem Jazz-Echopreisträgerin als Sängerin des Jahres 2015, ist spätestens mit ihrem Album FM Biography der Schritt in die breitere Öffentlichkeit gelungen. Darin hat sie erstmals ihre Vocals in den Vordergrund gestellt, eine vielseitige, dunkle und klare Stimme, die in karger Besetzung mit Koryphäen wie Fred Frith lakonisch schöne Lieder singt, frei von Klischee und Attitüde. Aus mysteriösen Klängen, experimenteller Lust und großer Virtuosität entwickeln sich kleine Klangkosmen, die tiefe Ruhe und Detail ausstrahlen, fast wie Landschaftsmalerei. Auch solo ist die gelernte Pianistin immer einen Besuch wert, zu Women in Jazz im Nochtspeicher kommt Sie in Bandbesetzung mit Moritz Baumgärtner, Jonas Westergaard und Peter Meyer.

Text: Georg Kühn

 

Art Godot

Was aussieht wie Öl auf LSD oder eine trickreiche Rakel- oder Ziehtechnik, ist einst am Computer entstanden und nun, nach längerer Suche, von einer Druckerei aus Westfalen in die physische Welt geholt worden. Die vom Namen des Künstlers inspirierte Art Godot lässt an Samuel Beckett denken, aber spröde und lakonisch geht es hier nicht zu. Ihre Verbindung ist der Wahnsinn, der beide Künstler zu befeuern scheint. Allerdings in ganz unterschiedlichen Formen: Ist es bei Beckett eher Autismus, so sprüht bei Gode Wilke die wilde Manie. Farbschleier in verkrümmten Figuren von vermeintlich unterschiedlichster Materialität überfordern den Betrachter auf berauschende Weise. Dichte und Farbintensität verursachen nach Kurzem ein Flimmern auf der Retina und Alkohol zu trinken erübrigt sich an diesem Abend. Wie weit man sich nach Sichtung noch an „Klimawandel, Energiewende, Urbanisierung etc …“ gemahnt sieht, liegt dann im flackernden Auge des Betrachters. Art Godot vom 25.10. – 20. 11.2015.

Text: Georg Kühn