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„Love & Mercy“

Das Leben des Ex-Beach-Boys-Sängers Brian Wilson bietet Stoff, besser als jeder Film. Regisseur Bill Pohlad hat es dennoch gewagt.

Die sagenumwobene Biografie Brian Wilsons wollte Bill Pohlad keinesfalls einfach herunterbeten, sondern pickte sich zwei Phasen aus ihr heraus. Der Regisseur zeigt, wie Wilson sich in den Sechzigern von den Beach Boys entfremdet und das experimentelle Meisterwerk Pet Sounds einspielt – und wie er in den Achtzigern sein Leben high auf Psychopharmaka im Bett verbringt und wie die Autoverkäuferin Melinda ihn schließlich aus seinem Elend befreit. Als junger Beach Boy sieht Indie-Talent Paul Dano (Little Miss Sunshine) Wilson verblüffend ähnlich, während John Cusack den in die Jahre gekommenen, psychotischen Wilson spielt. Beide sind sensationell – und doch komplett verschieden. Ab Mittwoch (11.6.) ist das Biopic Love & Mercy , der auch bei der Berlinale gezeigt wurde, im Abaton, Passage oder Zeise Kino zu sehen.

Text: Sabine Danek

 

Moriarty

Ihr Album „Epitath“ sei ein Spottlied auf den Tod, erklärt die franko-amerikanische Band. Wie das live klingt, kann man in der Fabrik erleben.

Bei einem Epitaph handelt es sich um eine Grabinschrift oder ein Grabdenkmal, das sich nicht unbedingt am Bestattungsort befindet. Das Epitaph war auch namensgebend für das aktuelle Album der franko-amerikanischen Band Moriarty, mit dem sie an diesem Donnerstag Halt in der Fabrik machen. Ihre Titelwahl begründet die Gruppe: „Oftmals belächeln wir unsere eigene, unkontrollierbare Tendenz, dunkle Songs zu schreiben (…) Also haben wir entschieden, das Album Epitaph zu nennen, als Spottlied auf den Tod und weil wir glauben, dass man ihn tanzen kann.“ Das Album entstand fast ausschließlich aus Erinnerungsfetzen, Soundkompositionen, die auf Tour mit einem Diktiergerät festgehalten wurden, oder ersten Ideen für Lyrics, die nebenbei auf einen abgerissenen Zettel gekritzelt wurden. So bleiben Moriarty ihrem gewohnten Stilmix aus Blues, Chanson und Country treu. Besonders schön anzuhören ist Tom Moriartys Mundharmonikaspiel.

Text: Jakob Luy

 

Internationales Kurzfilmfestival

Von shocking short bis kurz und knapp: Zum 31. Mal geht das Filmfest mit umfangreichem, einwöchigem Programm an den Start.

Die Nationalhymne in 3-D? Das Kino macht es möglich! Kanada ist eine junge Kurzfilmnation – doch avantgardistisch war sie schon immer. Beim diesjährigen Internationalen Kurzfilmfestival Hamburg, das am 9.6. beginnt und bis zum 15.6. dauert, stehen kanadische Filme zwar nicht im Mittelpunkt, bilden aber einen interessanten Schwerpunkt. Zum Beispiel O Canada, ein animierter Landschaftsfilm, der zu den Klängen der kanadischen Nationalhymne eine Reise quer durchs Land unternahm – in 3-D, das hier schon 1951 eine spektakuläre Anwendung fand. Ein weiteres Highlight ist die Regissuerin Caroline Monnet aus Montreal, die in den vier Programmen mit kanadischen Produktionen gleich dreimal vertreten ist – und bei den Vorführungen in Hamburg zu Gast. Sie ist Angehörige der Algonkin, einer der First Nations. In ihrem Horrorfilm The Black Case (2014) beschreibt sie die Schrecken, dem Kinder ihres Volkes in Erziehungsheimen ausgesetzt waren. Den Anpassungszwang thematisiert Roberta (2014), ein Home Movie, das – mit surrealen experimentellen filmischen Mitteln – einen Hausfrauenalltag beschreibt.

Das Festival wird am 9.6. eröffnet und endet nach einem einwöchigen Programm in verschiedenen Kinos am 15.6. mit der Preisverleihung im Zeise Kino.

 

„Victoria“

Durch die Nacht mit betrunkenen Bankräubern: Sebastian Schippers Husarenstück feiert im Abaton Hamburg-Premiere.

Warum sich die spanische Klavierschülerin Victoria in später Nacht, nach einem Clubbesuch mit den vier vollgedröhnten Typen einlässt, mit ihnen durch die leeren Straßen zieht, auf ein Hausdach steigt und flüsternd Banalitäten austauscht, als ginge es um wichtige Daseinsfragen, bleibt bis zum frühmorgendlichen Cortado, mit dem sie den größten Angeber des Quartetts dann auch noch bekochen will, schlicht und einfach rätselhaft. Plötzlich aber hat Victoria sich von Sonne überreden lassen, als Fahrerin bei einem Banküberfall mitzumachen, und alle Fragen, die man bis dahin so hatte, sind egal.

Sebastian Schipper, der zur Premiere im Abaton sein wird, hat einen Film gedreht, in dem nur das „Vorwärts!“ zählt. Mit nur einer Kamera, in nur einem Take, ohne Schnitt – und ohne Gegenschnitt. Kein Moment des Nachdenkens schleicht sich da ein, für Victoria gibt es nur das „Voran!“. In diesem Sinne ist der Film ein echtes Husarenstück. Doch es lohnt sich. Das signalisierte bereits der Silberne Bär, den Kameramann Sturla Brandth Grøvlen „für seine herausragende künstlerische Leistung“ bei der Berlinale gewann. Sie besteht nicht zuletzt darin, die Zuschauer zu Komplizen zu machen.

 

Hamburg Sounds

Pop Noir, Latin Jazz und Hamburger Liedermacher: Christian Buhk präsentiert ein weiteres Mal spannende Live-Acts in der Fabrik.

In der Fabrik geht Hamburg Sounds in die nächste Runde. Auf dem Montagsprogramm stehen diesmal: Erotik und Karibik. Für den ersten Teil der Ansage sorgt die Berlinerin Femme Schmidt, die sich irgendwo zwischen laszivem Pop Noir, Lolita-Charme und einer Femme-Fatale-Ästhetik der zwanziger Jahre bewegt. Kein Wunder also, dass Robbie Williams‘ Produzent Guy Chambers sich ihrer vor ein paar Jahren annahm und ihr erstes Album produzierte. Für dieses Jahr ist der Release ihres neuen Albums Raw angekündigt. Die Karibik wird geliefert von Judith Tellado aus Puerto Rico. Mit im Paket sind Jazz und Latin, Pop und Chanson, mit denen sie ihre Texte einkleidet, die sich viel mit ihrer Wahlheimat Hamburg und der Davidstraße im Besonderen beschäftigen. Ihr neues Album Under Neon Stars wurde in die erste Longlist 2015 des Preises der deutschen Schallplattenkritik aufgenommen. Irgendwo zwischen Erotik und Karibik findet sich der Hamburger Singer-Songwriter und Multiinstrumentalist David Huhn, dessen Name zwar weder nach dem einen noch nach dem anderen klingt, der aber gerade seine erste Platte eingespielt hat, die passenderweise Auszeit heißt. Grund genug für ihn, sich bei Hamburg Sounds einzureihen und den Release ordentlich zu feiern.

Text: Nik Antoniadis

 

„Unsagbare Dinge“

Große Erwartungen und wenig Vertrauen: Die Frauenrechtlerin Laurie Penny stellt im Uebel & Gefährlich ihr neues Buch vor.

Laut Laurie Penny ist die Frau im Spätkapitalismus ein beklagenswertes Wesen: Sie soll sich marktkonform optimieren, aber bloß keine Hierarchien hinterfragen. In ihrem neuen Buch Unsagbare Dinge, das aus Einträgen ihres Blogs Penny Red besteht, polemisiert die Journalistin gegen eine Gesellschaft, die viel von Frauen verlangt und ihnen wenig zutraut. Frauen verrichten einen Großteil schlecht bezahlter Arbeit, und doch besteht der Mythos, dass sie „alles haben können“ – große Karriere und erfülltes Familienleben. Penny hält nichts von Frauenquoten, und ihr geht es nicht nur darum, die Stellung der Frauen zu verbessern. Sie möchte vielmehr das System bekämpfen, das Frauen und Männer, vor allem sozial benachteiligte, unter Druck setzt. Die Medien erklären die charismatische Engländerin heute fast einstimmig zu der wichtigsten Stimme des jungen Feminismus. Im Uebel & Gefährlich stellt Penny ihr Buch im Gespräch mit der ZEIT-Redakteurin Marie Schmidt vor.

Text: Natalia Sadovnik

 

Wu-Tang Clan

Ghetto Crime, Kung Fu und Familienversöhnung: Die Paten des Hip-Hop mischen mit ihrer neuen Scheibe den Stadtpark auf.

Klang fast ironisch: Als im vergangenen Jahr das Wu-Tang-Album A Better Tomorrow angekündigt worden war, war das Titel-Versprechen einer guten Zukunft irgendwie irreführend. Zukunft? Diese Gruppe hatte sich mehr als 20 Jahre lang am Gestrigen orientiert, an traditionellem Hip-Hop, am Soul der 60s, an uralten asiatischen Weisheiten und bandtypischen Ungereimheiten. Die Wu-Welt war und ist die von (mittlerweile Mitvierziger-)Rap-Diven und ihrem Regisseur und Befehlsgeber RZA, dem intern geliebten wie gehassten Strategen. Ein besseres morgen sollte es also sein, laut RZA musikalisch wie lyrisch neu, ohne dabei die Wu-Wurzeln aus den Augen zu verlieren: den düsteren Blick auf Ghetto-Crime-Geschichten und die Verehrung der Kung-Fu-Schule. Und was wurde es? Eine Wiedervereinigung im Hier und Jetzt. RZA, der von den anderen oft für seine Produktionsexperimente und den Drang kritisiert wurde, sich der modernen Musikwelt anzupassen, hatte es geschafft, die Wu-Familienmitglieder als gleichwertige Künstler darzustellen und eine Soundästhetik zu inszenieren, die mit starken Beats, Synthesizern und Piano-Loops zumindest nach einem schönen Heute klingt. Im Stadtpark kann sich jeder selbst davon überzeugen.

Text: Erik Brandt-Höge

 

„Boomtown St. Georg“

Kein Sex mit Maklern: Die Dokumentation der Gentrifizierung von St. Georg wird im Abaton von Regisseur Ulrich Gehner vorgestellt.

Von schmuddelig zu schick: St. Georg nimmt den Gentrifizierungsprozess nicht unkommentiert hin – Ulrich Gehner und Manfred Götz haben ihn filmisch begleitet. Ihr Dokumentarfilm Boomtown St. Georg – Ein Stadtteil wehrt sich zeigt Begegnungen von Mietern, Investoren und Rotlichtmilieu, das zum Protest animiert: „Kein Sex mit Maklern“, ist da auf einem Spruchband zu lesen. Wo vor einigen Jahren noch Junkies und Prostituierte das Straßenbild prägten, gibt es heute intensive Bemühungen, die Einkaufs-City auf diese, die andere Seite des Hauptbahnhofs herüberzuholen. Am Hansaplatz ist das bereits deutlich zu sehen: Er wurde für mehrere Millionen „aufgewertet“, er wurde „gesäubert“, an seinen Rändern sind Cafés und Geschäfte mit Außenterrassen entstanden. Auch wenn ein Ende der Verwahrlosung des Stadtteils allen willkommen ist, gefällt es den Alteingesessenen nicht, wie Investitionen und Luxussanierungen über die gewachsenen Strukturen hinweggehen und das Viertel massiv verändern.

Zur Premiere wird Regisseur Ulrich Gehner im Abaton zu Gast sein und den Besuchern Rede und Antwort stehen.

BOOMTOWN ST.GEORG – Ein Staddteil wehrt sich / Trailer from Ulrich Gehner on Vimeo.

 

„Was heißt hier Ende?“

Die Magie des Films ins Leben übertragen: Das Abaton zeigt den Essayfilm von Dominik Graf über den Filmkritiker Michael Althen.

„Kino ist zwar nicht unser Leben, aber doch eine wunderbare Alternative zu dem, was wir für Leben halten“, zitiert Dominik Graf den 2011 verstorbenen Journalisten und Kritiker Michael Althen. „Sein Schreiben war obsessives Cineastentum, Intellekt, Emotion und brillante Ästhetik, alles immer direkt mit dem Leben verbunden, mit dem Alltag unserer Gefühle.“ Grafs Porträtfilm Was heißt hier Ende? setzt Althen in Interviews mit Regisseuren, Freunden und Kritikern sowie Ausschnitten mit ihm selbst ein Denkmal. Im Kino natürlich, wo sonst. Zur Vorstellung im Abaton wird der Filmkritiker und Spiegelautor Wolfgang Höbel erwartet, der als Freund von Michael Althen auch im Film auftritt.

 

„Mutti“

Pathologie des Durchregierens: Das Theater Kontraste seziert hochamüsant ein ideologieskeptisches, emotional aufgeladenes System.

Vizekanzler Sigmar ist unzufrieden. Mit Angelas Pragmatismus, mit der Koalition und der leidenschaftslosen deutschen Politik überhaupt. Zudem ist Griechenland endgültig pleite, und das muss den Wählern auch bald verklickert werden. Knut Hellmann, Systemaufsteller von Beruf, soll die Koalition in dieser Krise befeuern und wieder zusammenbringen. Während also die deutsche Nationalmannschaft in Brasilien das Finale spielt, zwingt dieser die vier Politikvollblüter Angela, Horst, Sigmar und Ursula per Familienaufstellung in die Rollen von Mama, Papa, Ehemann und Schwester. Doch Angela bleibt abweisend. Sie hofft auf ihren Jogi. Titeltrunkene Deutsche haben noch jede Kröte geschluckt. Als dann die Mannschaft angeblich in Rückstand gerät und in Katar ein Arbeiteraufstand auf einer Hochtief-Baustelle blutig niedergeschlagen wird, läuft Knut Hellmann zu Höchstform auf. Aber Angela hat noch immer die Kontrolle behalten. Mutti, das seit Mai erfolgreich am Theater Kontraste läuft, besitzt zwar die etwas spröde Anmutung eines theatralen Versuchsaufbaus, ist aber eine raffinierte und hochamüsante Politsatire.

Text: Reimar Biedermann