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Kasimir und Karoline

In dieser Inszenierung verwebt die Regisseurin Jette Steckel am Thalia Theater zwei Werke von Ödön von Horváth: Kasimir und Karoline und Glaube Liebe Hoffnung. Sie spinnt aus beiden Geschichten eine einzige Sozialstudie, die zeigt, wie sehr die Liebe unter Geldmangel leiden kann, und wirft dabei die Frage auf: „Was ist der Wert des Menschen, wenn er weder Geld hat noch Arbeit noch gültige Papiere?“ Während der Weltwirtschaftskrise verliert Kasimir 1929 seinen Job und wird daraufhin von Karoline verlassen, die sich auf der Suche nach gesellschaftlicher Anerkennung Schürzinger zuwendet, während Kasimir sich mit dem Gauner Merkl Franz einlässt. Ihr Versuch wieder zueinanderzufinden, scheitert. In Glaube Liebe Hoffnung versucht die junge Elisabeth sich umzubringen, nachdem sie alles verloren hat: Geld, Arbeit und die Liebe. In Horváths sozialpolitischen Volksstücken geraten die Figuren, bedingt durch die Wirtschaftslage, in scheinbar ausweglose Lebenslagen, in denen sie sich abstrampeln, um wieder auf die Füße zu kommen. „Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich“, heißt es an einer Stelle treffend, „aber dann kehrt man zurück mit gebrochenen Flügeln und das Leben geht weiter, als wäre man nie dabei gewesen.“

 

Sarah Moon

Eigentlich arbeitete sie in Paris als Model, als sie gefragt wurde, ob sie für einen ausgefallenen Fotografen einspringen könne. Und weil sie sich damit so wohl fühlte, blieb sie gleich hinter der Kamera. Zumindest erzählt man sich das so. Mit rund 350 Fotografien und fünf Filmen widmet sich das Haus der Photographie der Deichtorhallen nun dem Gesamtwerk der Modefotografin Sarah Moon, die vor allem durch ihre Werbeaufnahmen für Cacharel, Dior, Chanel, Comme des Garçons, Issey Miyake und Valentino bekannt (und berühmt) wurde. Dass sie auch Kurz- und Dokumentarfilme drehte, etwa über ihren Freund Henri Cartier-Bresson und über Lillian Bassman, und ein eigenes künstlerisches, fotografisches und filmisches Werk frei von Auftragsarbeiten entwickelte, ist weniger geläufig und wird in der aktuellen Ausstellung aufgegriffen. „Sarah Moon verunsichert den Bildbetrachter“, erläuterten die beiden Kuratoren Ingo Taubhorn und Brigitte Woischnik im Vorfeld. „Sie wirft ihn aus dem Raum der geordneten Identität heraus in die Zeit des Zwiespalts und der chaotischen Differenz. Der Inhalt jedes einzelnen Bildes ist unsicher. Zeit und Raum verschwimmen. Die von der Künstlerin bearbeiteten Aufnahmen spiegeln so die malerische und grafische Imagination und lassen die Bilder wie eine aufscheinende oder verblassende Erinnerung wirken.“ Eine Retrospektive in der Größe, wie sie die Deichtorhallen nun präsentieren, ist bisher weltweit einzigartig.

 

Nordische Literaturtage

Es wird früher dunkel, es wird immer kälter – da hilft für viele nur noch eine kuschelige Decke, ein warmes Licht und ein gutes Buch. Entschleunigung. Aber wisst ihr, wo es noch früher dunkel und wahrscheinlich noch kälter wird? In Skandinavien. Und wie hier lesen die Literaturfans dort nicht nur, sondern schreiben auch wunderbare Werke. Die Nordischen Literaturtage Hamburg richten vom 23. bis 26. November ihren Blick auf genau diese Bücher – und schlagen so eine Brücke gen Norden. Seit 1986 geht das jetzt schon so: In Zusammenarbeit mit den Instituten und Konsulaten der nordischen Länder wird Unbekanntes und Entdeckenswertes ebenso präsentiert wie Etabliertes und Beliebtes. Am Mittwoch liest der Isländer Hallgrímur Helgason aus Seekrank in München und die Finnin Satu Taskinen aus ihrem Buch Die Kathedrale. Vielleicht gibt’s im Literaurhaus auch kuschelige Decken.

 

Fat Freddy’s Drop

Ein Freund der Autorin geht zu jedem Konzert von Fat Freddy’s Drop, weil er sie gerade live für unschlagbar hält. Dabei müssen sie nicht einmal ein neues Album herausgebracht haben, er schwört einfach auf die siebenköpfige Truppe aus Neuseeland. Der Freund der Autorin ist ein herzlicher Mensch, ein erdiger Typ, der ohne viele Schnickschnack und Glitzer auskommt – und so ist auch die Musik von Fat Freddy’s Drop. Ihre Mischung aus Dub, Reggae, Soul und Jazz klingt ehrlich, macht Spaß, braucht nicht viel drum rum – und gewinnt deshalb seit der Gründung der Band vor 15 Jahren mehr und mehr (eingefleischte) Fans. Es geht um den Sound – und das, wie bereits erwähnt, vor allem live. Zum Glück kommen sie regelmäßig vom anderen Ende der Welt nach Europa. Am Mittwoch sogar genau hier her ins Mehr-Theater. Übrigens mit neuem Album Bays im Gepäck.

Text: Andra Wöllert

 

John Grant

„Wie einige der ähnlich intensiven Klassiker zuvor – Anthony & The Johnsons I Am A Bird Now und Bon Ivers For Emma. Queen of Denmark klingt wie ein Album, dessen Schöpfer sein ganzes Leben lang darauf gewartet hat, es zu erschaffen“, schreibt das britische Musikmagazin Mojo über John Grant. Zu Beginn seiner Solokarriere war er vor allem für seine Kollaborationen mit Sinead O’Connor, Rumer und Hercules & Love Affair bekannt. Er spielte außerdem als Support für die ganz Großen wie die Pixies oder in Begleitung des Royal Northern Sinfonia Orchesters oder dem BBC Philharmonic Orchestra. Seine Musik hinterlässt Eindruck, so viel scheint klar. Der US-Singer-Songwriter und ehemaliges Mitglied der Band The Czars kommt jetzt nach Hamburg ins Uebel & Gefährlich – um uns auch live zu beeindrucken.

Text: Andra Wöllert

 

Kytes

Kytes haben eine besondere Energie zusammen und davon auch noch besonders viel. Diese Energie ist wohl durch ihre jahrelange Freundschaft bedingt und die wiederum bedingt den frischen Sound der vierköpfigen Band aus München. Starke, tanzbare Beats, catchy Gitarrenriffs und elektronische Klänge charakterisieren ihre Mischung aus Electropop und Rock. Dazu kommen die Vocals von Kytes, die einen an die Hand nehmen und mit auf eine Reise an entfernte Orte bringen. Die gibt es meistens in unserer Fantasie. Um ganz leicht an die entfernten Orte zu kommen, empfiehlt es sich, am Mittwoch zunächst in den Nochtspeicher zu gehen, um die vier Freunde live hören zu können.

Text: Andra Wöllert

 

„Räusper. Comic-Skripts in Dramensatz“

Kaum jemand beherrscht das Handwerk der literarischen Satire so wie der in Berlin lebende Max Goldt. Seit den Neunzigern verfasste er für das Satiremagazin Titanic unzählige Kolumnen, und als Autor hat er inzwischen rund 30 Bücher herausgebracht. Der in Göttingen geborene Schriftsteller hat darüber hinaus mehr als zehn Comicbände verfasst.
Sein neuestes Werk Räusper. Comic-Skripts in Dramensatz ist eine Ansammlung von Textminiaturen, die er „Dramolette“ nennt, und die aus Comicszenen entstanden sind. Goldt hat sich dabei auch von E-Mail und SMS inspirieren lassen. In den daraus entstandenen Minidramen beschreibt er scheinbar belanglose Alltagssituationen, in denen er sprachliche Ungenauigkeiten und Plattitüden bis aufs Kleinste seziert. Er nimmt Situationen oft wörtlich und wirft so einen entlarvenden Blick auf die Gesellschaft.
Zum Beispiel die junge Frau in Ein gelungener Antrittsbesuch, die ihren Eltern den neuen Freund vorstellt: „Damit ihr es nicht von Oma oder aus dem Internet erfahrt, sagen wir es lieber gleich: Lars dreht Filme, in denen sich Leute gegenseitig, auf deutsch gesagt, ins Gesicht kacken.“ Darauf die Mutter: „Solange der Bedarf besteht!“ und der Vater: „Man muß mit der Zeit gehen! Als ich in den siebziger Jahren begann, marokkanische Sitzkissen zu importieren, haben sich auch alle an den Kopf gefasst.“ Das Vergnügen an der Lektüre kann nur noch durch eine Lesung mit dem Dichter im Schauspielhaus gesteigert werden.

Text: Angela Kalenbach

 

Marsimoto

Einfach mal die Identität wechseln, das wünschen sich viele. Der deutsche Popstar Marteria verwirklicht sich diesen Wunsch, indem er sich eine Maske aufsetzt und übers Kiffen rappt. Sein Alter Ego Marsimoto ermöglicht dem Musiker Marten Laciny ein zweites künstlerisches Ich. Eines, das auf gewaltigen Bässen und einer hochgepitchten Heliumstimme basiert. Nicht nur stilistisch, auch textlich liegen Welten zwischen Marteria und Marsimoto. Ersterer schaut meist in die Zukunft, auf das Schicksal der Menschheit und unseren Planeten. Zweiterer ist ein Kind der Neunziger, rappt über Victory-Schuhe und Stereoanlagen – mit nicht minder vielen doppelten Böden. Das Retro-Faible – und sein liebstes Hobby – deutet auch seine Maskerade an: Grasgrün, von Maske bis Fuß, könnte Marsimoto einem alten Comic entsprungen sein, als fleischgewordene Compilation von Superheld Green Hornet und Spiderman-Feind Green Goblin. Doch Marsimoto braucht weder Superkräfte noch ein Hoverboard, um abzuheben, er schwebt auf einer Wolke aus Weed über den Kiez bis ins Docks, und das gleich an zwei Abenden.

Text: Lena Frommeyer

 

Kwabs

Es müssen die tiefe beruhigende Stimme und die eingängigen Melodien sein, die den jungen Londoner bzw. seine Veröffentlichungen Wrong Or Right, Pray For Love und Walk in jede Radiostation in unseren Landen katapultiert haben. Während er in Großbritannien von der BBC noch in die Liste der spannendsten Nachwuchskünstler 2015 aufgenommen wurde, hat sein Song Walk im Herbst letzten Jahres bereits wochenlang unsere Charts angeführt. Platinstatus. Musik aus der Pop-Retorte macht Kwabs deshalb aber nicht. Mit einer gehörigen Menge Soul in der Stimme wird der 24-Jährige die Hamburger Fans live in seinen Bann ziehen – und sein Album Love + War, das im September erschien, vorstellen. Gebucht wurde er im Mojo, klarer Sound ist also garantiert. Das Konzert ist ausverkauft.

Text: Andra Wöllert

 

Willkommen auf Deutsch

Zwei kleine Gemeinden in Niedersachsen sehen sich vor einer neuen Situation: Flüchtlinge sollen in den Dörfern untergebracht werden. Bürgerinitiativen gründen sich, um gegen die Asylunterkunft zu protestieren. Die Ruhe und Sicherheit im Dorf sei gefährdet. Aber es finden sich auch viele, die selbstlos helfen wollen und sich für die Neuankömmlinge einsetzen. Der Dokumentarfilm Willkommen auf Deutsch wurde 2014 gedreht, vor dem großen Strom Geflohener, und ist doch aktueller denn je. Das 3001 Kino zeigt den Film mit dem Mix aus vielen Sprachen, aber deutschen Untertiteln. Auch für Schulen ist die Vorstellung interessant, denn wie oft kann man schon so von außen zeigen, was passiert, wenn das abstrakte Thema Flucht und Migration plötzlich vor der eigenen Haustür konkret wird.

https://www.youtube.com/watch?v=IZthrkwPeIs