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Drawing Room

In die kleine Galerie zieht die Fotokunst von Sabine Hornig. Sie fotografiert Glasscheiben im öffentlichen Raum, in denen sich die Umgebung spiegelt.

Small is Beautiful sagen die Kunsthistoriker Alexander Sairally und Esther Schulte und konzentrieren sich in ihrem Drawing Room auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit interessanten Positionen. Wie der von Sabine Hornig, die sich in ihren Fotoarbeiten mit Schaufenstern beschäftigt, mit den Räumen, die durch Spiegelungen entstehen, dem Innen und Außen, das neu zusammengesetzt wird. Das kann ein öffentlicher Platz sein, der sich in den vielen Glasscheiben eines Gebäudes mit moderner Architektur spiegelt. Oder ein zerstörter Raum, ein abgerissenes Haus, Betonbrocken und Metallstreben, die durch Licht, Schatten und Spieglungen im Nachbargebäude wie ausgestellt wirken. Manchmal entdeckt man auch die Fotografin selbst in den Reflexionen, wie sie auf den Abzug drückend Teil des eigenen Kunstwerkes wird. Sabine Hornig spielt mit Wahrnehmung und Realität – das gefällt.

Text: Sabine Danek

 

Fanfare Ciocărlia

Schweißtreibende Blasmusik, die glücklich macht: Die 12-köpfige rumänische Kapelle macht auf ihrer Tour mal wieder Halt in der Fabrik.

Seitdem sie Mitte der Neunziger zum ersten Mal durch Europa tourten und damit auch die ersten umjubelten Auftritte in Hamburg absolvierten, will man sie nicht mehr missen: Fanfare Ciocărlia sind eine bis zu 12-köpfige Blaskapelle, jawohl: Blaskapelle. Aus Rumänien. Doch ihre Musik ist alles andere als oktoberfestkompatibel oder für Märsche geeignet (obwohl man gern mal eine Kompanie dazu exerzieren sehen würde). Die Musik von Fanfare Ciocărlia ist flott und strotzt vor Temperament. Ab und zu ist tatsächlich mal eine Art Trauermarsch dabei. Doch wenn die Herren mit ihren Tanznummern loslegen, steht garantiert kein Bein mehr still. Geschwindigkeiten von 160 Bpm sind dabei keine Seltenheit. Und sicher haben sie diesmal auch wieder die eine oder andere Coverversion im Repertoire. Auf unserer Wunschliste stehen Steppenwolfs Born To Be Wild und Duke Ellingtons Caravan.

 

„Die große Reise des Akkordeons“

Nachdem Manuel Vega auch beim 17. Versuch scheitert, das größte Akkordeonfestival der Welt in Kolumbien zu gewinnen, fliegt er nach Deutschland.

Wie Leningrad Cowboys Go America – bloß mit besserer Musik. Die Reise eines kolumbianischen Akkordeonvirtuosen und seiner Band ins baden-württembergische Trossingen hat Regisseur Rey Sagbini, Absolvent der Hochschule für bildende Künste (HfbK), im Film Die große Reise des Akkordeons festgehalten. Hauptfigur ist dabei der kolumbische Musiker Manuel Vega, der 17 Mal am größten Akkordeonfestival der Welt in Valledupar teilnahm und dabei nie die Siegeskrone aufsetzen durfte. Als er plötzlich eine Einladung aus Deutschland in den Händen hält, beschließt er, so sein Glück zu finden. Vallenato heißt der populäre Musikstil, den das Trio hier erfolgreich mit den Klängen des einheimischen Akkordeonorchesters kombiniert. Der Film erzählt von bewegenden Begegnungen im Rahmen einer außerordentlichen Fusion musikalischer Kulturen. Der Regisseur ist bei der Hamburg-Premiere zu Gast.

 

Future Islands

Nicht gerade eigenständig, aber unterhaltsam: Die Band aus Baltimore stellt ihr aktuelles Album live in der Markthalle vor.

Ein wenig hat man ja das Gefühl, Samuel Herring sei auf dem Weg zum Proberaum falsch abgebogen: Statt bei seiner Schweiß-und-Herzblut-Rockband ist er eines Tages im Keller einer unterkühlten Elektropop-Gruppe gelandet. Live könnte man sogar denken, da sei noch mehr schiefgelaufen: Seit einem denkwürdigen, grandiosen Auftritt in David Lettermans Late-Night-Show (wer das Video da unten nicht anklickt, ist selber schuld) kennt so ziemlich die ganze Welt Herrings Ausdruckstanz auf der Bühne. Dieses Jahr erschien Future Islands’ drittes Album Singles, das der Frontmann erneut inbrünstig vollgesungen hat; der Wave-Pop, der ihm dafür als Grundlage dient, gibt sich allerdings deutlich zurückhaltender. Die Band aus Baltimore ist weniger eigenständig als immerhin wiedererkennbar. Unterhaltsamkeit darf man ihr allerdings uneingeschränkt bescheinigen.

Text: Thorsten Mohr

 

Rhonda

Das Hamburger Quintett um Sängerin Milo Milone spielt seinen 60s-Soul mit Dosenbier- und Punkrock-Charme live im Hafenklang.

Da haben wir nicht schlecht geguckt, als wir das Konzert von Rhonda am 27.9. im Hafenklang ankündigen wollten; war der Termin doch auf einmal wie vom Erdboden verschluckt. Es wird gemunkelt: Businesskram. Kurz nach dem Reeperbahn Festival ploppte dann nämlich dieser Termin am 4. Oktober auf, der uns die neuen Vintage-Soul-Lieblinge aus Hamburg nun doch noch im Hafenklang beschert. Schon lange bevor das Quintett um Sängerin Milo Milone das Debütalbum Raw Love veröffentlichte, haben Rhonda live überall begeisterte Massen hinterlassen. Doch wer ihre Geschichte kennt, wundert sich darüber nicht. Mit der einschlägigen Erfahrung aus Bands wie den Trashmonkeys oder auch Bernd Begemann & die Befreiung bringen Rhonda genau die richtige Dosis Punkrock mit, um ihren Soul nicht zu glatt zu spielen. Regelmäßig blitzt in ihren Songs der raue Charme von Dosenbier auf, der den 60s-Vintage-Soul des Fünfers vor allem live – aber auch auf Konserve – so energetisch und großartig klingen lässt. Raw Love halt.

Text: Jan Kahl

 

„Die Neger“

Das vieldiskutierte Stück von Jean Genet in einer Inszenierung von Johan Simons feiert seine Premiere im Schauspielhaus.

Sobald sich Schauspieler mit heller Haut das Gesicht schwarz bemalen, um Menschen mit dunkler Haut zu spielen, berührt das ein sensibles Thema: In den amerikanischen minstrel shows des 19. Jahrhunderts war blackfacing eine rassistische Theater- und Unterhaltungsmaskerade. So versetzte das Stück Die Neger antirassistische Initiativen bereits in Aufruhr, noch bevor Johan Simons es im Juni bei den Wiener Festspielen erstmals auf die Bühne brachte. Der berühmte Regisseur verwendet dafür reichlich schwarze Schminke (und weiße), allerdings für ein Stück, das als Groteske die Absurdität von Stereotypen anklagt. Jean Genet, offener Sympathisant der Black Panthers, fächert in seinem Maskenspiel aus dem Jahr 1958 Rassismen aus verschiedenen Perspektiven auf. Es ist somit nur konsequent, wenn Johan Simons diesem Rassismus auf der Bühne direkt den Spiegel vorhält, indem er seine Fratzen zeigt. Ursprünglich sollte Die Neger bereits im Juni gezeigt werden. Nicht aufgrund der heiklen Bildsprache, sondern wegen eines Unfalls im Schauspielhaus-Ensemble wurde es damals abgesagt. Am 4. Oktober kommt es nun endlich auf die Bühne.

Text: Katharina Manzke

 

Neue, alte Bühne

Sandra Kiefer, Jan Holtappels und Lars Ceglecki eröffnen am 3. Oktober das neue „Theater das Zimmer“ in der Washingtonallee.

Helmuth Gmelin war durch und durch ein Mann des Theaters, für den sich Kunst und Leben vollkommen vermischten. Vor 65 Jahren machte er seinen Wohnbereich im vierten Stock eines Hauses in der Alsterchaussee zu einer Bühne, ohne trennende Rampe, in unmittelbarer Nähe zum Publikum. Jahrzehntelang war das Theater im Zimmer in Hamburg sehr beliebt, auch nachdem es 1952 in größere Räume umgezogen war und nach Helmuth Gmelins Tod, von seiner Tochter Gerda geleitet wurde. 1999 musste es geschlossen werden, weil es nicht weiter subventioniert wurde. Mit dem Theater in der Washingtonallee gab es noch eine vergleichbare Spielstätte im Miniaturformat. Auch dort wurde der Betrieb eingestellt, im Juli dieses Jahres. Sandra Kiefer, Jan Holtappels und Lars Ceglecki lassen Helmuth Gmelins Tradition in dem winzigen Bühnenraum in der Washingtonallee mit 40 Publikumsplätzen nun wieder aufleben. Ihr Theater das Zimmer eröffnet ab dem 3. Oktober mit einem vielseitigen Programm für alle Altersgruppen. Los geht es mit Tagträumer, einer poetischen Großstadtballade von William Mastrosimone.

Text: Katharina Manzke

 

New Hamburg

Das dreiwöchige Festival auf der Elbinsel nimmt die Realität unserer Einwanderungsgesellschaft unter die Lupe – unter der Regie des Schauspielhauses.

Ein ganzer Stadtteil – angeleitet vom Deutschen Schauspielhaus, eingeladen von Pastor Ulfert Sterz – okkupiert die Immanuelkirche und macht aus ihm ein Theater. New Hamburg heißt das Projekt, das ganz bewusst auf der Veddel stattfindet – einem Stadtteil, der wie kein anderer die Einwanderungsgesellschaft abbildet. Insgesamt leben 60 Nationen auf der Veddel. Das dreiwöchige Festival startet mit dem Eröffnungswochenende am 3. Oktober. Das Programm spiegelt das Leben auf der Elbinsel wider. Einwanderung lautet das übergeordnete Thema, zu dem alle Programmpunkte führen. Es wurden ein Intercommunal Orchestra und eine New Hamburg Akademie gegründet. In den Festivalwochen findet ein Hearing zu unzumutbaren Wohnverhältnissen auf der Veddel statt, in dessen Rahmen Mieter bei Wissenschaftlern und Politikern Rat suchen und Dampf ablassen können.

Im Mittelpunkt stehen aber die theatralen Projekte. Die Installation Heimatmuseum (3., 10., 12., 19.10.) des Künstlers Adnan Softi basiert auf den Erlebnissen von 70- bis 80-jährigen Menschen, die sich regelmäßig im Erzählcafé über ihre Jugend auf der Veddel austauschen. Aus Interviews mit Bewohnern inszenierte Björn Bicker das Stück Die Insel (4., 5., 8., 11., 15., 24.10.), das die Veddel als Zukunftsmodell für eine multinationale Gesellschaft zelebriert. In der School Of Normal (18., 19., 22., 24.10.) werden Schüler zu Lehrern und berichten, wie ihre „normale Welt“ aussieht. Musiker von der Veddel und Gäste spielen Songs Of Gastarbeiter (7.10.), deren Geschichten in einer Performance erzählt werden.

Text: Lena Frommeyer

 

 

Fatih Akin

Der Hamburger Regisseur präsentiert seinen neuen Film „The Cut“, der ein Schicksal während des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich zeigt.

Ein gut gelaunter Fatih Akin nahm am 27. September den Douglas-Sirk-Preis beim Filmfest Hamburg entgegen. Nicht für sein Lebenswerk – wie von allen Seiten betont wurde, dafür sei er mit 41 Jahren nun wirklich noch zu jung. Im Anschluss feierte sein neuestes Werk The Cut Premiere, das erneut am 3. Oktober um 16 Uhr im Passage Kino zu sehen ist. Akin komplettiert so seine Trilogie Liebe, Tod und Teufel.

The Cut zeigt ein Schicksal während des Völkermordes an den Armeniern im Osmanischen Reich. Ein junger Vater wird durch die türkische Armee aus seiner Familie gerissen. Er ist Armenier unter vielen, die alles verlieren – einer, der verhungernde Freunde in den Armen wiegt, im Blut seiner gelynchten Kameraden liegt, bespuckt, gequält, beschimpft wird, weil er ein tätowiertes Kreuz auf dem Handgelenk trägt. Und dennoch übersteht dieser junge Schmied namens Nazaret Manoogian das Martyrium. Er erfährt, dass seine Zwillingstöchter leben und folgt ihren Spuren durch die Wüsten Mesopotamiens nach Havanna bis in die kargen Prärien North Dakotas. Fatih Akins neuer Film The Cut ist gnadenlos und märchenhaft zugleich – Blut spritzt in schön konzipierten Bildern.

Text: Lena Frommeyer

 

Kunst im Gängeviertel

Die Ausstellungen „Ingest“ und „Lost Found And Stolen“ machen das Gängeviertel im Oktober erneut zum Place to be für Kunst.

Spannende Körperarbeit: In der Schau Ingest lässt Cordula Ditz ab dem 3. Oktober ihre Protagonistinnen auf Videostills, deren Hintergrund sie schwärzt, durch Raum, Zeit und einen Strudel an Verweisen stürzen, während Jürgen von Dückerhoff mit dem menschlichen Makel spielt und Isabell Kamp (Foto) den Körper in Keramiken in die Bestandteile zerlegt. Bei Henning Kles und Magda Krawcewicz lösen die Körper sich auf, verschwinden in Dunkelheit und werden fragmentiert, während Carsten Rabe ihre Abwesenheit brutal spürbar macht. In der Ausstellung Lost Found And Stolen von den Installations- und Aktionskünstlern We Are Visual, denen Hamburg die Um-Etikettierung des Apple Stores am Jungfernstieg in einen Microsoft-Laden zu verdanken hat, arbeiten Marc Einsiedel und Felix Jung im Raum linksrechts erstmals getrennt und schauen, was am Eröffnungstag (18. Oktober, 19 Uhr) passiert, während sich im Speckhaus sechs Kunstkollegen den Menschen auf ganz unterschiedliche Art einverleiben.

Text: Sabine Danek