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Euro-Anleihen sind immer noch attraktiv

 

Die Inflationsrisiken haben in der Weltwirtschaft deutlich abgenommen. Das ist die Essenz aller marktrelevanten Neuigkeiten und Daten, die uns in den vergangenen Wochen und Tagen erreicht haben. Das große Bild spricht für Anleihen aus Euroland. Die langen Zinsen werden weiter fallen, der Euro dürfte in den kommenden Wochen aufwerten. Die Richtung bei Aktien dagegen ist nicht so eindeutig. Hier meine Analyse:

Der Rückgang der Bondrenditen auf augenblicklich 3,7% für zehnjährige Bundesanleihen ist folgerichtig. Das Ende des Rückgangs ist noch nicht in Sicht. Ob die Zehnjahresrenditen noch einmal bis auf 3 Prozent wie im vergangenen Jahr fallen, glaube ich nicht, ausgeschlossen ist aber auch das nicht. Allerdings spricht gegenwärtig die erfreuliche Konjunktur in Euroland sowie die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank dagegen.

Zur Erinnerung:

  • Die Ölpreise sind um rund 20% eingebrochen.
  • In Amerika befindet sich der Immobilienmarkt im freien Fall, wodurch sich die Konsumkonjunktur dort zusehends eintrübt.
  • Hierzulande nehmen die Löhne langsamer zu als die Produktivität, so dass die Unternehmen ihre Gewinne weiterhin kräftig steigern können.
  • Die Kerninflationsrate von Euroland liegt bei den Verbraucherpreisen nur bei 1,4%.
  • Die Arbeitslosigkeit ist, obwohl rückläufig, immer noch außerordentlich hoch, so dass die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften schwach ist.
  • Der Euro steigt wieder und wir importieren daher Preisstabilität statt Inflation.

Zwar hat das reale Sozialprodukt der Europäischen Währungsunion in den beiden vergangenen Quartalen mit Raten von 3,2% und 3,6% zugelegt, wenn man einmal so rechnet wie die Amerikaner, also die jeweilige Veränderung gegenüber dem Vorquartal hoch vier nimmt. Das waren die besten Zuwachsraten seit Jahren. Dennoch heißt das nicht, dass es jetzt schon bald wieder mit der Inflation losgeht. Der entscheidende Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion aber aus mysteriösen Gründen kaum eine Rolle spielt, ist, dass die Produktionskapazitäten nach wie vor nur schlecht ausgelastet sind. Die Unternehmen können ihren Ertrag einfach dadurch steigern, dass sie mit dem vorhandenen Personal mehr herstellen und so die durchschnittlichen Kosten senken. Die Gewinne verbessern sich in dieser schönen konjunkturellen Situation auch dann, wenn die Preise nicht erhöht werden. Aufschwung und Preisstabilität sind nämlich kompatibel solange es ausreichend freie Kapazitäten gibt. Davon ist vorläufig auszugehen.

Zudem ist eine weitere Aufwertung des Euro programmiert. Zugegeben, ich warte schon lange darauf und meine Prognosen waren nicht die allerbesten, diesmal könnte es aber ernst werden. Am plausibelsten für die Devisenhändler ist der Verweis auf die Zinspolitik. Die EZB hat de facto angekündigt, dass sie die Refinanzierungssätze bis Ende des Jahres um einen halben Prozentpunkt auf 3 ½% anheben wird. Sie plant offenbar sogar, weitere Zinsschritte folgen zu lassen, wenn es die Konjunktur erlaubt. Das sogenannte neutrale Niveau, das sie anstrebt, dürfte bei 4% liegen. In den USA dagegen hat nach den jüngsten Konjunkturnachrichten die Diskussion darüber begonnen, wann die Zinsen erstmals wieder gesenkt werden können. Ich scherze nicht. In den vergangenen drei Zinszyklen seit Mitte der achtziger Jahre betrug die Zeitspanne zwischen der letzten Erhöhung und der ersten Senkung zwischen drei und acht Monaten! Wer rechnen möchte: am 29. Juni wurde die Fed Funds Rate auf 5 ¼% angehoben, seitdem ist sie unverändert geblieben.

Dass die Verbraucherpreise in Amerika um nicht weniger als 3,8% über ihrem Vorjahreswert liegen, stört ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Lohnstückkosten zuletzt mit einer Jahresrate von 4,9% gestiegen sind. Für Amerikaner zählt nicht, was war, sondern was sein wird. Der rasche Rückgang der Nachfrage wird die Inflation schon dämpfen. Es war bisher immer so. Für September rechnen die Analysten wegen der rückläufigen Ölpreise und eines günstigen Basiseffekts bei den Verbraucherpreisen bereits mit einer Inflationsrate von nur 2,6 Prozent – das ist ja nun wirklich kaum noch der Rede wert. Und die Kerninflationsrate bei den Erzeugerpreisen, also ex Energie, geht seit Monaten zurück und hatte im August 0,9% erreicht. Sie ist eine guter Frühindikator für das, was auf die Verbraucher an der Inflationsfront zukommt.

Kurzum: Die Zinsen steigen in Europa, während sie in den USA eher fallen werden. Geldmarktanlagen in Euro werden also im Vergleich zu Dollaranlagen immer attraktiver, was tendenziell zu einem festeren Wechselkurs des Euro führt. Für Anleger, die in der Lage sind, über den Tellerrand hinauszuschauen, ist die Entwicklung der Zinsdifferenz weniger wichtig als ein anderer Aspekt: Die Unfähigkeit der amerikanischen Wirtschaftspolitiker, etwas für die Sparquote und gegen die Abhängigkeit von Kapitalimporten zu tun, oder einen längeren Rückgang der Immobilienpreise und Aktienkurse zuzulassen. Mit anderen Worten, es beunruhigt die Anleger, dass die USA die Welt weiterhin mit Dollars überfluten und dass vieles an das Ende des Festkurssystems von Bretton Woods zu Beginn der siebziger Jahre erinnert.

Das Überangebot an Dollar könnte sich als das eigentliche Problem erweisen. Es würde dann virulent, wenn es in den USA zu einer echten Rezession käme, so dass weder Aktien noch die dann niedrig verzinslichen Bonds attraktiv genug für das dringend benötigte Auslandskapital wären. Die Vermögenspreise müssten dann ebenso in den Keller gehen wie der Dollar, dem Zahlungsmittel für US-Werte. Das ist ein Horrorszenarium – es wäre Japan nach 1989 mal zweieinhalb. Hoffen wir, dass es dazu nicht kommt. Wenn aber seitens der amerikanischen Politik gar kein Wille zu erkennen ist, eine Dämpfung der Inlandsnachfrage hinzunehmen und die Dollarflut einzudämmen, müssen wir uns damit zumindest aus Vorsichtsgründen vertraut machen.

So oder so, auf einen abwertenden Dollar zu setzen scheint mir eine ziemlich risikolose Wette. Ein fester Euro würde auf jeden Fall zu noch niedrigeren Renditeniveaus am hiesigen Rentenmarkt führen.

Zum Abschluss noch eine Antwort auf die Frage, was denn der freundliche Bondmarkt und der feste Euro für europäische Aktien bedeuten. Vermutlich dürften sich Positives und Negatives die Waage halten. Positiv ist, dass für die Unternehmen die Kosten der Finanzierung langfristiger Projekte sinken werden, was ceteris paribus die Gewinne erhöht. Häuslebauer profitieren ebenfalls von den niedrigen langen Zinsen und könnten wieder mutiger werden. Beides ist gut für die Konjunktur. Positiv ist auch, dass eine wichtige alternative Asset-Klasse, nämlich Bonds, teurer wird, wodurch der relative Preis der Aktien sinkt, was wiederum die Nachfrage nach ihnen stimuliert. Höhere Aktienkurse führen zu einem Rückgang der Kosten für Eigenkapital. Die Inlandsnachfrage dürfte zudem generell durch den Anstieg der Realeinkommen infolge niedrigerer Inflation stimuliert werden. Negativ für die exportabhängige Wirtschaft Eurolands wird der Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit in allen Sektoren der Wirtschaft sein, die internationaler Konkurrenz ausgesetzt sind. Die Bundesrepublik hat sich traditionell schwer getan, wenn es im Außenhandel nicht lief. Wenn man Optimist sein will, kann man argumentieren, dass das wegen des auch relativ viel größeren Binnenmarkts der EU 12 vermutlich nicht mehr so eine hohe Hürde sein wird.