Es sieht so aus, als ob die Erhöhung des wichtigsten Mehrwertsteuersatzes von 16 Prozent auf 19 Prozent nur einen sehr milden Effekt auf die deutschen Verbraucherpreise gehabt hat. Ursprünglich war erwartet worden, dass die Inflationsrate allein dadurch von 1,4 Prozent im Dezember auf 2,6 Prozent im Januar steigen würde. Was wohl herauskommt, nachdem nun die Ergebnisse für die sechs Länder vorliegen, die regelmäßig ihre Inflationszahlen vorzeitig veröffentlichen, sieht vollkommen anders aus: Gegenüber dem Januar 2006 dürften sich die Preise lediglich um 1,6 Prozent erhöht haben. Das bedeutet, dass die Preise von Dezember auf Januar saisonbereinigt nur um 0,4 Prozent gestiegen sind. Nicht saisonbereinigt sind sie im Monatsvergleich gar um 0,2 Prozent gefallen. Das ist sensationell.
Für den Euroraum bedeutet das wiederum, dass es im Januar zu einem Rückgang oder zu einer Stagnation der Inflationsrate gekommen sein dürfte, was ebenfalls deutlich unterhalb der Erwartungen liegt. Nur in Deutschland war es ja zu einer so drastischen Steuererhöhung gekommen. Ich schätze, es werden erneut 1,9 Prozent herauskommen. Nach wie vor läge die EZB damit auf Zielkurs und hätte wenig Anlass, demnächst die Zinsen weiter zu erhöhen. Da müssen schon andere Argumente her als etwas so Banales wie die aktuelle Inflation. Im Gespräch sind Kandidaten wie das ungebremst hohe Wachstum der Geldmenge, das Risiko, dass sich Assetblasen bilden, vor allem am Wohnungsmarkt, aber auch bei Aktien, oder die Sorge, dass die Löhne aus dem Ruder laufen könnten. Aber das ist alles vollkommen an den Haaren herbeigezogen. Ein schwacher Euro könnte ebenfalls als Rechtfertigung dienen, wenn er denn nur schwach wäre.
Klar ist, dass das Preisniveau im Januar sowohl in Deutschland als auch im Euroland insgesamt ohne die Mehrwertsteuer gerechnet gesunken ist. Es gibt keine Inflationsmentalität, weshalb es im Übrigen einigermaßen überraschend ist, dass die Renditen am Rentenmarkt so sehr angezogen haben. Ich dachte immer, sie würden vor allem von den Inflationserwartungen getrieben. Offenbar haben sich die Anleger von der Schwäche des US-Rentenmarkts beeindrucken lassen, oder von den besorgten Mienen der Herren Weber und Trichet, oder davon, dass die Mehrheit der Analysten zumindest vorübergehend einen deutlichen Anstieg der Inflationsraten vorhergesagt hatte.
Wenn man Steuereffekte und Energiepreise einmal herausrechnet, beträgt die europäische Inflationsrate gerade mal 1 Prozent. Zwei zentrale gesamtwirtschaftliche Kostenkomponenten ziehen die Inflationsrate seit einiger Zeit eher nach unten als dass sie sie in die Höhe treiben: Von August bis Dezember sind die Einfuhrpreise mit einer Verlaufsrate von 3,9 Prozent gesunken (siehe S. 62 der Saisonbereinigten Wirtschaftszahlen der Bundesbank), und die Lohnstückkosten des Unternehmenssektors sind in den vergangenen dreieinhalb Jahren relativ stetig um durchschnittlich 1,2 Prozent gesunken (nicht gestiegen!! selbe Quelle, S. 26). Es handelt sich zwar um deutsche Zahlen, in einer Währungsunion dürften aber die Unterschiede nicht dramatisch groß sein, so dass die Aussage, dass es auf der Kostenseite eher nach Deflation als nach Inflation aussieht, zu halten ist. Die beiden Schaubilder zeigen, wie stark der Rückgang der Inflation bereits war, und wie wenig Kostendruck in der Pipeline ist.
Die EZB ist angesichts dieser Trends klar in der Defensive, wird aber wohl an der Zinserhöhung im März festhalten. Immerhin ist es wahrscheinlicher geworden, dass es damit dann sein Bewenden haben wird. Wetten würde ich darauf aber nicht.
Für den Rentenmarkt sind die jüngsten Zahlen ein Geschenk des Himmels. Für die Wirtschaft insgesamt und damit auch für den Aktienmarkt ist entscheidend, dass sich der Kaufkraftverlust durch die Steuererhöhung in Grenzen zu halten scheint. Vielleicht konsumieren die Leute ja im ersten Quartal doch mehr, als bislang befürchtet wurde. In gewisser Weise geben uns die ölexportierenden Länder zurzeit das zurück, was sie uns zuvor im Verlauf der Ölpreisexplosion an Lebensstandard genommen hatten. Das heißt nicht, dass die Wirtschaft augenblicklich jedes Zinsniveau verkraften kann. In Deutschland zumindest liegt die Arbeitslosenquote immer noch bei nahe 10 Prozent.