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Es boomet sehr – und die EZB erhöht die Zinsen

 

Heute gab es eine wichtige Zahl und eine wichtige Entscheidung. Die deutsche Industrie hat ihre Produktion im Januar so stark gesteigert wie seit Jahrzehnten nicht mehr und es sieht fast so aus, als entwickele sich hierzulande entgegen allen Kassandrarufen so etwas wie ein ausgewachsener Wirtschaftsboom. Während das eine einigermaßen überraschende Nachricht war, kann man das von der Zinsentscheidung der EZB nicht sagen. Sie war von langer Hand angekündigt und dadurch sozusagen old news. Wichtig war sie dennoch. Machen wir uns mal ans Interpretieren.

Falls es Ihnen entgangen sein sollte – die deutsche Inlandsnachfrage ist angesprungen. Da die Auslandsnachfrage bekanntlich seit Jahren boomt, steht die Konjunktur nun endlich auf zwei starken Beinen und ist daher viel weniger anfällig als bisher. Das bedeutet auch, dass Deutschland endlich wieder zur Konjunkturlokomotive Europas geworden ist, etwas, was wir seit der Wiedervereinigung nicht mehr erlebt haben. Wir sind für Europa was China für die Weltwirtschaft ist. Wer hätte das angesichts des immer noch nicht abgearbeiteten Bergs an Strukturreformen und des sklerotischen Zustands der Wirtschaft gedacht?

Industrieproduktion in Euroland und Deutschland

Hier die jüngsten Zahlen des heutigen Donnerstags: vor ein paar Stunden gab es die für die Industrieproduktion im Januar. Sie lagen um nicht weniger als 8,9 Prozent über ihrem Vorjahresstand, in der Bauwirtschaft waren es sogar 19,6 Prozent. 19,6 Prozent!! Das gute Wetter hat am Bau sicher geholfen. War die Januarzahl vielleicht einfach nur ein Ausreißer aus einem viel moderater verlaufenden Trend, was zuweilen schon einmal vorkommen kann? Nicht so! Wenn man den saisonbereinigten Durchschnittswert für November, Dezember und Januar mit dem der drei Monate zuvor vergleicht, ergibt sich eine Jahresrate von 21,0 Prozent. Es brummt am Bau, und es handelt sich nicht mehr um eine Eintagsfliege. Im vierten Quartal wurden beispielsweise auch 13,6 Prozent mehr Arbeitsstunden geleistet als im vierten Quartal 2005. Der Bau, der so lange ein Klotz am Bein der deutschen Konjunktur war, hat die Kurve gekriegt und ist richtig dynamisch, wenn auch noch auf niedrigem Niveau.

Für die Industrie ist das Argument „Wetter“ ohnehin ziemlich irrelevant. Der starke Anstieg beim Output reflektiert im wesentlichen den Anstieg der Auftragseingänge, und diese werden von Leuten vergeben, die in Büros sitzen, in die es selten hineinschneit. Preisbereinigt lagen die Auftragseingänge zuletzt um 6 1/2 Prozent über ihrem Vorjahresstand, also um weniger als die Industrieproduktion – sie waren aber lange vorausgestürmt, so dass wir jetzt offenbar in einer Phase sind, in der die Auftragsbestände etwas abgebaut werden.

Das Beruhigende ist, dass die realen Ordereingänge aus dem Inland in der Industrie zuletzt um +8,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugelegt haben und damit sogar etwas rascher als die aus dem Ausland.

Dass die Inlandsnachfrage auf einmal so stark expandiert, hat verschiedene Ursachen: Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich deutlich verbessert, die Gewinne der Unternehmen nehmen seit Jahren explosionsartig zu, die internationale Wettbewerbssituation könnte nicht besser sein, die Weltwirtschaft boomt, die Zinsen sind real immer noch niedrig, und es besteht ein großer Nachholbedarf bei den Ausrüstungsinvestitionen, im Wohnungsbau und bei den kommunalen Bauprojekten. Die finanzielle Lage der öffentlichen Hand hat sich so dramatisch verbessert, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis es wieder Überschüsse gibt, wie zuletzt vor der Wiedervereinigung.

À propos Wiedervereinigung – die Integration der neuen Bundesländer ist zwar noch unvollkommen, und der Lebensstandard noch deutlich niedriger als im Westen, wir sind aber wohl an einem Punkt angelangt, wo die Transfers in den Osten relativ gesehen eher zurückgehen als zunehmen, wodurch das Wachstum auch von dieser Seite her tendenziell gestärkt wird.

Es überrascht angesichts all dieser erfreulichen Entwicklungen, dass die Einzelhandelsumsätze im Januar so stark eingebrochen sind (-4,5 Prozent gg. Vj.). Sind sie nicht ein zentrales Element der inländischen Nachfrage? Auch wenn man berücksichtigt, dass Käufe von teuren Dingen wie Autos und Möbeln wegen der Mehrwertsteuer vorgezogen worden waren, so dass es zwangsläufig zu einem Absatzeinbruch kommen musste, überrascht doch, dass das Bild nicht schöner wird, wenn man beispielsweise die letzten vier Monate zusammennimmt und sie mit ihren Vorjahreswerten vergleicht: Dabei kommt immer noch real ein Rückgang von 0,6 Prozent heraus. Offenbar spielt der Einzelhandel eine immer geringere und immer weniger entscheidende Rolle bei den Ausgaben der Haushalte. Im vierten Quartal übertrafen diese nämlich ihren Vorjahreswert real um 1,8 Prozent, waren also keineswegs zurückgegangen. Die Verbraucher geben wieder zügig Geld aus, aber nicht bei den Einzelhändlern.

Wird die Inlandsnachfrage weiter expandieren oder nicht? Von woher drohen Gefahren? Der Ölpreis scheint schon wieder Fahrt nach oben aufgenommen zu haben, so dass sich die erfreuliche, einkommenssteigernde Verbesserung unserer Terms of Trade schon bald in ihr Gegenteil verkehren könnte. Die Weltwirtschaft wächst immer noch mit einer Rate von real rund 5 Prozent, während die Ölförderung kaum um mehr als 2 Prozent jährlich gesteigert werden kann. Der Preis ist der Parameter, der Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht bringt. Mit anderen Worten, es würde nicht überraschen, wenn die Konjunktur aus dieser Ecke bald einen Dämpfer bekäme.

Euro- und US-Notenbankzinsen

Ernst zunehmen ist auch die Aussage von Herrn Trichet heute bei der Pressekonferenz, dass die Geldpolitik angesichts des starken Wachstums und der möglicherweise bald höheren Lohninflation (sic!) immer noch „akkommodierend“ sei, und das Zinsniveau „moderat“, will heißen, weitere Zinserhöhungen könnten folgen. Wie viel kann die Konjunktur vertragen? Solange der Euro nicht stärker aufwertet, tut es vermutlich noch nicht weh, aber es ist klar, dass der Anreiz zum Sparen, also zur Einschränkung der Ausgaben, mit jedem noch so kleinen Zinsschritt zunimmt. Wir sind auf diesem Weg. Deutschland hat zur Zeit noch keine Probleme damit – obwohl es nicht schlecht wäre, wenn man den Verbraucher, der so lange geknebelt worden ist, mal eine Weile die Früchte seiner Sparsamkeit und seiner Arbeit genießen ließe. Schließlich ist er der Souverän der Wirtschaft, nicht der Finanzminister, nicht die Exporteure und auch nicht die Investoren.

In den übrigen Ländern des Euroraums sieht es im übrigen gar nicht so günstig aus. Da dürfte die Zinserhöhung deutlich mehr weh tun als hierzulande. Wenn es unseren Nachbarn schlecht geht, bekommen auch wir Probleme. Was meist ganz übersehen wird, ist zudem, dass die höheren Zinsen, womöglich in Kombination mit fallenden amerikanischen, an den Devisenmärkten zu einem festeren Euro führen werden. Die Wechselkurse sind seit Jahren vor allem eine Funktion von erwarteten und tatsächlichen Zinsdifferentialen – das würde den restriktiven Effekt der Zinsanhebung verschärfen.

Ich habe allerdings trotz der ziemlich klaren Ankündigung, dass wir das Ende bei den Zinsen noch nicht gesehen haben, nicht den Eindruck, dass die EZB überziehen wird. Sie selbst hat ja ihre Inflationsprognose für 2007 etwas zurückgenommen, auf einen Mittelwert von 1,8 Prozent im Vorjahresvergleich, also genau auf die angestrebte Rate. Was will sie mehr, zumal es trotz aller Warnungen vor zu hohen Löhnen überhaupt nicht danach aussieht, als ob da eine echte Gefahr drohe. Die Warnungen sind de facto nur ritueller Natur.

Ich wette, dass die Lohnstückkosten noch mindestens ein Jahr lang sinken werden. Die heutigen deutschen Zahlen zur Industrieproduktion haben mich in meiner Prognose sehr bestärkt, weil sie auf einen starken Anstieg der Produktivität hindeuten. Gleichzeitig ist die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer im gesamten Euroraum angesichts der hohen Arbeitslosigkeit so schwach, dass bei den Stundenverdiensten kaum mehr als 2 1/2 Prozent herauskommen dürfte. Da die Löhne der bei weitem wichtigste Kostenfaktor sind, ist überhaupt kein Druck in der Inflationspipeline. Auch über die Kapitalkosten braucht sich niemand Sorgen zu machen.

Die EZB fragt sich immer, ob denn die Inflationserwartungen solide auf einem niedrigen Niveau verankert sind. Wenn das so ist, braucht sie keine neue Inflationsspirale zu befürchten. Kennt überhaupt noch jemand diesen Begriff? Die Kerninflation, um die die tatsächliche Inflation fluktuiert, ist deutlich unter 2 Prozent, die Löhne nehmen mehr als moderat zu, die Produktivität ist angesprungen (ich denke sogar, dass wir vor einem Produktivitätswunder stehen), der Deflator des Bruttoinlandsprodukts, das breiteste Inflationsmaß überhaupt, liegt um nur 1,5 Prozent über seinem Vorjahreswert, und alle Konsensprognosen siedeln die künftigen Inflationsraten bei etwas unter 2 Prozent an. Besser geht es nicht.

Es sieht so aus, als ob die Zinsen im Frühsommer noch einmal um 25 Basispunkte, auf dann 4 Prozent, steigen werden. Das ist dann nahe dem neutralen Niveau, bei dem die Konjunktur weder stimuliert noch gebremst wird. Nur wenn sich das Wachstum weiter beschleunigt, auf, sagen wir mal, 1,2 Prozent pro Quartal, oder wenn der Euro plötzlich ganz schwach würde, oder wenn die Aktienmärkte haussieren sollten, ist mit noch höheren Zinsen zu rechnen.

Und umgekehrt: ein sehr fester Euro, ein Einbruch am Aktienmarkt, vielleicht verbunden mit Gefahren für das Finanzsystem, oder schlechte Zahlen vom Arbeitsmarkt könnten dazu führen, dass wir nicht über die heutigen 3 3/4 Prozent hinauskommen. So oder so sind wir nicht weit von einem Ende der geldpolitischen Restriktionspolitik entfernt.