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Die Irrtümer des Hans-Werner Sinn (Folge II)

 

Der zweite Teil meiner kleinen Reihe hat sich etwas verzögert, was unter anderem daran liegt, dass ich diesmal versuche, ein moving target zu treffen. Es geht um Sinns Ausführungen zum Thema Target 2. Dies ist ein längerer Beitrag, der mit dem Urteil enden wird, dass Hans-Werner Sinn eine Art Carl Schmitt der Ökonomie ist: Die oder Wir. Wenn es den Iren oder den Portugiesen gut geht, geht es uns schlecht – und umgekehrt. So gesehen wäre das Hilfsprogramm für Portugal also falsch. So denken viele in Deutschland, so einfach ist die Sache aber nicht.

In der ursprünglichen Fassung des Arguments stellte Sinn die Behauptung auf, dass der stark angestiegene nationale Target-2-Saldo der Bundesbank ein zusätzliches Risiko für den Steuerzahler darstellt.

Die Deutsche Bundesbank hatte Ende des Jahres 2010 für etwa 326 Milliarden Euro Nettoforderungen gegenüber anderen Notenbanken des Euro-Systems. Es handelt sich dabei um eine Art Kontokorrentkredit, der anderen Ländern gewährt wird und im Wesentlichen aus Forderungen im Rahmen des Zahlungsverkehrs für Großbeträge besteht (Target 2). … Wenn die Länder, deren Banken die Kredite gegeben wurden, zahlungsunfähig werden, haftet Deutschland. (Wirtschaftswoche, 21.02.2011)

Nicht zuletzt durch die hervorragende Arbeit des Kollegen Stefan Ruhkamp bei der FAZ wurde diese Behauptung inzwischen widerlegt.*) Richtig ist, dass die Verlustrisiken für die EZB durch die Aufweichung der Anforderungen an die Sicherheiten und die marode Finanzlage der Staaten und der Banken in der europäischen Peripherie gestiegen sind. Die nationalen Target-Salden sind für die Risikoposition allerdings völlig unerheblich. Die Risiken aus den Refinanzierungsgeschäften des Eurosystems werden nach dem Kapitalschlüssel aufgeteilt. Ob sich also marode irische Banken bei der irischen Zentralbank oder der Bundesbank refinanzieren, spielt keine Rolle für mögliche Verluste.

In seinem neuesten Beitrag zu dem Thema in der FAZ nun operiert Sinn nicht mehr mit dem Target-Saldo der Bundesbank. Immerhin. Stattdessen hebt er auf die Target-Verbindlichkeiten der Krisenländer Griechenland, Irland, Portugal und Spanien in Höhe von 340 Milliarden Euro ab. Deutschland hafte dafür gemäß seines EZB-Anteils. Auch diese Zahl ist problematisch, wenn es um die Abschätzung der Ausfallrisiken für den deutschen Steuerzahler geht. Richtig macht es Thomas Mayer von der Deutschen Bank, der das Exposure der EZB über das SMP-Programm, die Emergency Liquidity Assistance und die normalen Liquiditätsgeschäfte zusammenzählt und dabei auf die Summe von 407 Milliarden Euro für Griechenland, Irland und Portugal kommt.

Aber Sinn hat seine Hauptstoßrichtung längst geändert. Im Vordergrund steht jetzt nicht mehr der drohende Ausfall von Forderungen, sondern die Finanzierung des Leistungsbilanzdefizits der Südländer über die EZB. Denn diese – da ist ihm zuzustimmen – kommen in den Genuss von Kapitalströmen zur Finanzierung von Importen, die nicht existieren würden, wenn die betroffenen Länder nicht Mitglied einer Währungsunion wären.

Sinn wäre nicht Sinn, wenn er daraus nicht eine Schlussfolgerung ziehen würde, die zu seinen Vorstellung einer Nullsummenökonomie passt. Indem sich die Banken der Krisenländer verstärkt bei der EZB finanzierten, entzögen sie der deutschen Wirtschaft Kredit. Sinn bemüht sich, das Beispiel des irischen Bauern zu Ende zu denken, der einen Traktor in Deutschland kauft, und kommt nach Analyse der Forderungskette zu folgendem Schluss.

Die Bundesbank verzichtet also auf eine innerdeutsche Kreditvergabe zugunsten einer Kreditvergabe über die irische Notenbank. … [Der] Traktor [ist] gegen einen erzwungenen, kontokorrentähnlichen Kredit der Bundesbank an den irischen Bauern geliefert worden, der zu Lasten der Kreditvergabe an deutsche Kreditkunden geht. Der Traktor ackert in Irland statt in Deutschland.

Die Iren leben auf unsere Kosten in Saus und Braus. Deshalb wäre es besser, den Krisenländern nicht zu helfen, so dass sie ihre Leistungsbilanzdefizite schnell zurückfahren müssen. Denn dann würden  sie uns auch nicht mehr unser Kapital klauen und wir könnten mehr investieren. Diese Schlussfolgerung setzt voraus, dass in Deutschland weniger Kredite vergeben werden konnten, weil die Bundesbank die hiesigen Banken nicht ausreichend mit Liquidität versorgen konnte.

Das Argument ist weder empirisch noch theoretisch überzeugend. Ich kenne keinen Banker, der die Kreditvergabe eingeschränkt hat, weil er zu wenig Zentralbankgeld hat. Die Eigenkapitalausstattung mag eine Rolle spielen, aber nicht der Zugang zu Zentralbankliquidität. Schon gar nicht in der Finanzkrise, denn durch die Politik der Vollzuteilung können sich die Banken so viel Geld bei der EZB holen wie sie nur wollen. Und die großen Institute sind ohnehin nicht auf die Zentralbank angewiesen, sie besorgen sich ihr Zentralbankgeld auf dem Geldmarkt.

Die Deutsche Bank beispielsweise hat nach meinem Wissen während der Krise an keinem einzigen Refinanzierungsgeschäft der EZB teilgenommen – übrigens werden sie derzeit gerade wegen der Krise in der Peripherie regelrecht zugeschüttet, weil sie als stabil gelten (In normalen Zeiten kann das Bankensystem in einer modernen Volkswirtschaft weit gehend ohne Zentralbankgeld funktionieren, wie die BIZ in einem sehr guten Paper gezeigt hat – aber das nur am Rande).

Die Bundesbank hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Schwäche der Kreditvergabe in der Finanzkrise kein Problem des Kreditangebots, sondern der Kreditnachfrage ist. Die Unternehmen wollten also keine Kredite. Und so war das auch in den Jahren zuvor – die Unternehmen haben nicht investiert, weil sie keine Absatzchancen für ihre Produkte sahen, nicht weil ihnen die Commerzbank keinen Kredit für die Anschaffung neuer Maschinen gegeben hat. Damals war es sogar höchst populär Aktien zurückzukaufen statt Neuinvestitionen zu tätigen. Am Kapitalmangel kann es also nicht gelegen haben.

Fazit: Weil er um jeden Preis seine Behauptung retten will, dass es Deutschland schadet, wenn in Irland oder Griechenland mehr Kredite vergeben werden, muss Hans-Werner Sinn äußerst kreativ mit Empirie und Theorie umgehen. Man kann trefflich darüber streiten, ob ein schlagartiger Abbau der Leistungsbilanzdefizite in den Krisenländern gut oder schlecht ist für Deutschland. Dann muss man sich beispielsweise die Auswirkungen auf die Exporte ansehen oder die Produktionsstruktur. Die Zentralbank spielt keine Rolle.

Am kommenden Montag will Sinn in Berlin seine Thesen im Rahmen eines Vortrags begründen. Ich bin gespannt.


*) Das Ifo-Institut stellt hierzu fest: „Stellungnahme des ifo Instituts: Die Behauptung von Mark Schieritz ist falsch, denn Stefan Ruhkamp hat Prof. Sinn keineswegs widerlegt. Prof. Sinn hat in seinem Beitrag in der Wirtschaftswoche vom 21.02.2011 als erster weltweit auf die Target-Problematik hingewiesen. In welchem Umfang Deutschland für den Kreditfluss von Deutschland in die GIPS-Länder in Höhe von über 300 Milliarden Euro haftet, war darin offen geblieben, da damals noch die notwendigen Informationen fehlten. Die Spezifizierung lieferte Sinn selbst – unseres Wissens ebenfalls als erster – in seinem Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 2.4.2011. Dort schrieb er: ‚Wenn die Target-2-Kredite von den Geschäftsbanken der GIPS-Staaten nicht bedient werden und die GIPS-Staaten mitsamt ihrer Zentralbanken Pleite gehen, haften die restlichen Staaten des Euroraums gemeinschaftlich nach ihren Kapitalanteilen an der EZB. Deutschland haftet dann mit 33 Prozent oder 114 Milliarden Euro.‘ Erst mehr als zwei Wochen später, am 19.04.2011, folgte Ruhkamps Veröffentlichung in der FAZ, die Sinn somit nicht widerlegte, sondern im Gegenteil bestätigte. Allerdings hatte auch Ruhkamp die Dimension der Target2-Kredite noch nicht erkannt, weshalb die FAZ am 4.5.2011 einen umfassenden Beitrag von Prof. Sinn zum Thema Target2 veröffentlichte. Er gibt den derzeit letzten Erkenntnisstand zu Target2 wieder.“ (zurück zum Text)