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Einspruch, Professor Sinn!

 

Ich wollte mich eigentlich schon anderen Themen zuwenden, aber nach der Lektüre des Interviews mit Hans-Werner Sinn in der FAZ sind doch noch ein paar Zeilen über Target und die Geldpolitik der EZB nötig. Ich halte Sinn wie gesagt für einen brillanten Ökonomen, aber seine öffentliche Rolle für problematisch. Und weil ich weiß, dass ab Montag mindestens zehn Bundestagsabgeordnete der Union ohne jede Ahnung von Makroökonomie seine Thesen nachbeten werden (wenn sie nicht schon Post aus München mit klaren Handlungsempfehlungen bei der nächsten Abstimmung über das nächste Rettungspaket erhalten haben), ist der Sachverhalt von ausreichendem öffentlichen Interesse für einen weiteren Eintrag hier.

Also: Sinn hat eine ganze Seite in der FAZ für seine Fundamentalkritik der Währungsunion freigeräumt bekommen. Das Interview enthält viele kluge Gedanken aber  eben auch eine ganze Reihe von Halbwahrheiten und Zuspitzungen, die die Lage dramatisieren und Ressentiments schüren. Sinn hat das eigentlich nicht nötig. Fangen wir an.

Zu den Risiken der Europäischen Zentralbank schreibt Sinn:

Die EZB hat die griechischen Staatspapiere nach meiner Kenntnis zu einem Vielfachen dessen als Sicherheiten akzeptiert, was sie heute am Markt wert sind.

Hierzu die Webseite der EZB:

The Eurosystem applies “valuation haircuts” in the valuation of underlying assets. This implies that the value of the underlying asset is calculated as the market value of the asset less a certain percentage (haircut).

Das Eurosystem nimmt also Staatsanleihen zum Marktwert und zieht dann noch eine Sicherheitsmarge ab (wir reden hier wohlgemerkt nicht über das SMP Programm, da wurden die Papiere teuer gekauft, aber da fungieren sie auch nicht als Sicherheit). Nun muss man der EZB nicht alles glauben und vielleicht hat Sinn Informationen über Schummeleien in der Notenbank. Das wäre dann in der Tat ein Skandal, aber dann muss er Ross und Reiter nennen. Der Punkt ist: Niemand würde behaupten, dass Geldpolitik risikolos ist, aber warum begnügt sich Sinn nicht damit, die bestehenden Risiken zu analysieren, sondern bauscht auf?

Es gibt einige solcher Stellen, zum Beispiel diese hier:

Die privaten Banken wäre bereit, dem Süden mit einer Risikoprämie von vier, fünf Prozent Kredit zu geben, aber aus der Druckerpresse zieht man den Kredit zu einem Prozent. 

Der „Süden“ zumindest in Form der Südstaaten zieht überhaupt nichts aus der Druckerpresse. Die EZB leiht das Geld den Banken zu einem Prozent und die leiten es zum Teil an die Staaten weiter – aber nicht zu einem Prozent. Mir jedenfalls ist keine spanische oder italienische Auktion bekannt, bei der sich ein Staat zum Leitzins hätte finanzieren können. Natürlich erleichtert der Langfristender der EZB die Staatsfinanzierung, das kann man auch kritisieren. Aber Sinn muss unbedingt zuspitzen und liegt dann daneben.

Damit wären wir auch schon beim Kern des Interviews. Sinn argumentiert, dass die großzügigen Refinanzierungskredite der EZB die privaten Kapitalströme in den Süden ersetzen. Das hält er für schlecht, weil die deutschen Auslandsforderungen immer weniger aus Forderungen an Private und immer mehr aus Forderungen an das Eurosystem bestünden.

Um das zu verstehen, muss man kurz ausholen. Ein Land mit Exportüberschüssen wie Deutschland häuft Auslandsforderungen ab. Diese so genannte Nettoauslandsposition – wenn man so will die kumulierte überschüssige Ersparnis eines Landes – belief sich zuletzt auf 877 Milliarden Euro. In der Theorie neoklassische Ökonomen ist für alternde Gesellschaften sinnvoll, so viel Geld im Ausland zu halten, um die Position im Alter auflösen zu können und damit den Konsum zu finanzieren. Nun schulden uns laut Sinn also nicht mehr italienische Banken, sondern vermittelt über das Eurosystem die italienische Notenbank Geld.

Heute besteht schon die Hälfte des deutschen Nettoauslandsvermögens aus Forderungen der Bundesbank gegen das EZB-System. Geht es nach dem Willen der EZB, könnte die andere Hälfte bald auch noch weg sein (…) Niemand wird von den in Target-Forderungen umgetauschten Auslandsforderungen jemals im Alter leben können, wenn der Euro zerbricht, welche Tricks auch immer sich unsere Buchhalter einfallen lassen.

Tatsächlich hat sich die Schuldnerstruktur geändert. Aber was passiert denn mit den privaten Auslandsforderungen, wenn der Euro zerbricht?  Bezahlt uns dann eine italienische Bank den vollen Gegenwert zurück? Natürlich nicht. Die Bank ist dann nämlich Pleite, und hat höchstens ein paar Lire im Tresor. Wenn der Euro zerbricht, ist ein großer Teil unseres Auslandsvermögens weg, ausgelöscht, futsch – ganz ob es nun bei der Banca d’Italia oder der Banca Intesa liegt. Abstrakt gesprochen: Sinn bildet kein counterfactual, deshalb ist seine Kritik wohlfeil.

Man könnte übrigens genauso gut zum gegenteiligen Ergebnis kommen: Die Rettungspolitik hält unsere Handelspartner zahlungsfähig und SICHERT so unsere Auslandsforderungen. Denn irgendwann wird das Geld ja wieder in den Süden fließen, dann verschwinden auch die Target-Salden wie von Zauberhand und die EZB kann ihre Refinanzierungsgeschäfte zurückfahren. Und: Wir leben in einer Währungsunion. Die EZB ist nicht unsere Notenbank, sondern die ganz Europas – und wir können es den italienischen Banken nicht verbieten, wenn sie in der Not auf ihre Zentralbank zurückgreifen. Dafür sind Zentralbanken da.

Man könnte einen eigenen Eintrag über die Sprache Hans-Werner Sinns verfassen. Da wimmelt es von heißlaufenden Druckerpressen im Süden, da geben wir „deutschem Kapital Geleitschutz“, da ist der Notenbankrat „in der Hand des Club Med“. Ich kenne nun das Geschäft und weiß, dass man griffige Bilder finden muss. Sinns Bilder sind griffig, aber sie wecken nationale Assoziationen. Fast alle. Er provoziert damit Beifall aus einer Ecke, die ihm – hoffentlich – nicht geheuer sein kann.

Um es einmal ganz klar zu sagen: Es gibt gute Argumente für und gegen den Euro. Darum geht es mir nicht. Mir geht es um die Art und Weise der Diskussion, die ich für mindestens genau so wichtig halte wie den Inhalt.