Diese Woche gab es in der FAZ einen Aufsatz von Gerald Braunberger mit der kühnen Überschrift „Niedrigrenditen können eine Spekulationsblase sein – oder auch nicht“. Ich liebe solche Überschriften – einerseits, andererseits, könnte so sein oder auch so, wie in der Schule bei Besinnungsaufsätzen. Für den Anleger, der wissen will, ob er seine Anleihen verkaufen sollte oder nicht, ist damit nicht viel gewonnen.
Der Fairness halber gebe ich aber zu, dass es in dem FAZ-Artikel nur um die auf die Vergangenheit gerichtete Frage geht, ob die rekordniedrigen Anleihezinsen durch einen Überschuss an Ersparnissen in den Schwellenländern – Bernankes „savings glut“ – verursacht wurden, oder durch eine Aufblähung der Bankgeschäfte („banking glut“) durch a) die weitverbreitete Politik des billigen Geldes, b) Fehler in den Aufsichtsregeln der Banken (Basel II) und c) die vermeintlich nachhaltigen Kursgewinne auf den Aktivseiten der Bankbilanzen, die zu immer weiteren Wertpapierkäufen geführt hatten. Braunberger vermutet, dass beide Erklärungen zutreffend sind. Na ja. Die Frage, die in der Überschrift gestellt wird, ob die niedrigen Anleiherenditen denn nun eine Blase darstellen, bleibt unbeantwortet.
Ich versuche es mal mit einer klaren Aussage: Am deutschen Rentenmarkt haben wir es zurzeit nicht mit einer Blase zu tun. Zu einer Blase gehört Euphorie, die weitverbreitete Zuversicht, dass Kurse und Preise nur steigen können, und dann natürlich Leverage, das Wetten auf Kursgewinne mit geliehenem Geld. Wenn ich mir die Zuwachsrate der Kredite an Unternehmen und Haushalte in Deutschland ansehe, ist jedenfalls nicht zu erkennen, dass sich die Leute leichtfertig verschulden.
Die Zuwachsraten sind nach wie vor bescheiden und eher ein Indiz dafür, dass es um die Konjunktur, insbesondere um die Ausgaben für Kapitalgüter, nicht gut bestellt ist. Das bedeutet im Übrigen auch, dass keine bedeutenden negativen Effekte für die Gesamtwirtschaft zu erwarten sind, wenn es eines Tages bei deutschen Anleihen zu einem Einbruch der Kurse kommen sollte. Wenn wichtige Akteure nicht überschuldet sind, kann es auch nicht zu forciertem Sparen und einem Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage kommen.
Es handelt sich aus einem weiteren Grund nicht um eine Blase: Die kurzfristigen Zinsen, die wegen der Fristentransformation einen bedeutenden Teil der Refinanzierungskosten von Anleihen ausmachen, werden auf absehbare Zeit in der Nähe von Null liegen. Das heißt, die Zinskurve wird in Deutschland, und erst recht im übrigen Euroland, positiv geneigt bleiben. Daher besteht ein dauerhafter Anreiz, mit billigem Geld finanzierte festverzinsliche Papiere im Portefeuille zu halten. Sie werfen also einen laufenden Ertrag ab – auf Kursgewinne kommt es, anders als bei Blasenbildungen, nicht so sehr an.
Es ist auch nicht zu erkennen, dass die niedrigen Leitzinsen der EZB durch die Probleme in den Krisenländern verursacht wurden und höher wären, wenn es die Krise nicht gäbe, dass der Boom am Rentenmarkt also eine europäische Sonderentwicklung ist. In den USA, in Japan und in Großbritannien sind die Zinsen am kurzen Ende ebenso niedrig – ohne dass es dort Staatsschuldenkrisen gibt, die die Notenbanken zu Rettungsaktionen zwingt. Mit anderen Worten, die niedrigen deutschen Geldmarktsätze und Anleiherenditen haben nichts mit einer solchen Krise zu tun.
Für eine Blase, also für übertriebene und nicht-haltbare Kursgewinne, spricht allerdings, dass der deutsche Rentenmarkt das Ziel von Fluchtgeldern aus der Peripherie der Währungsunion ist, ebenso wie der Aktienmarkt und der neuerdings relativ feste Immobilienmarkt. Sollten die Pläne für eine europäische Bankenunion in den nächsten Monaten weiter konkretisiert werden – ein großer Schritt in Richtung gemeinsame Aufsicht wurde gestern getan -, entfällt der wichtigste Grund, sein Geld nach Deutschland zu schaffen. Wichtig wären insbesondere Beschlüsse über die zentralisierte Abwicklung und Rekapitalisierung maroder Institute sowie die Einlagensicherung. Wenn das kommt, werden die deutschen Anleiherenditen etwas steigen (oder langsamer sinken), ganz sicher aber werden die Spreads gegenüber griechischen, portugiesischen, spanischen und italienischen Anleihen enger werden. Letzteres ist bereits seit einigen Monaten im Gange. Insgesamt haben die Fluchtgelder nur der Tendenz nach zu einer Blasenbildung am deutschen Rentenmarkt beigetragen, in der Realität hat das nie bedrohliche Formen angenommen.
Haben wir es dagegen am Aktienmarkt mit einer Blase zu tun? Der Anstieg des DAX um nicht weniger als 29 Prozent in diesem Jahr und um 107 Prozent seit dem Krisentief im März 2009 kann natürlich den Verdacht nahelegen. Da das durchschnittliche Kurs-Gewinnverhältnis des DAX inzwischen bei 15 liegt, und das Kurs-zu-Buchwertverhältnis bei 1,44, sind deutsche Aktien jedenfalls nicht mehr richtig billig, aber richtig teuer sind sie ebenfalls nicht.
Die angesichts der miesen Konjunkturlage überraschend freundliche Stimmung am Aktienmarkt reflektiert zwei Sondereffekte: zum Einen die erwähnten rekordniedrigen Geldmarktzinsen und Anleiherenditen, zum Anderen die ebenfalls schon erwähnten Fluchtgelder aus der Peripherie der Währungsunion. Anzeichen für euphorische Übertreibungen gibt es dagegen nicht.
Im Vergleich zu den negativen nominalen Renditen von Bundesanleihen mit Laufzeiten von bis zu drei Jahren, und selbst im Vergleich zu zehnjährigen Bundesanleihen und Pfandbriefen von augenblicklich 1,33 und 1,78 Prozent sieht die durchschnittliche Dividendenrendite des DAX von 3,4 Prozent sehr attraktiv aus. Sie entschädigt für das Risiko, dass Dividenden auch mal gesenkt werden oder ausfallen können, und dass die Kurse, wenn sie einmal fallen sollten, in der Regel viel stärker fallen als die von festverzinslichen Wertpapieren. Aktien haben den zusätzlichen Charme, dass sie viel besser gegen Inflation schützen als Bonds – sie sind ja schließlich Unternehmensbeteiligungen und damit Sachwerte.
Ich behaupte daher, dass wir es auch am deutschen Aktienmarkt trotz der großen Kursgewinne nicht mit einer Blase zu tun haben.