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Arbeitslosenquote ist kein guter Indikator für die Lage am US-Arbeitsmarkt

 

Für die Fed, die bekanntlich nicht nur für Preisstabilität sondern auch für Vollbeschäftigung sorgen soll, ist die Arbeitslosenquote eine Schlüsselgröße, allerdings eine, die die wahren Verhältnisse am Arbeitsmarkt nicht immer richtig wiedergibt. Wie das erste Schaubild zeigt, ist die Quote seit ihrem Hoch im Oktober des Krisenjahrs 2009 (10,0 Prozent) kräftig und ziemlich stetig gefallen. Sie lag im vergangenen Monat bei nur noch 7,3 Prozent. Das sieht schön aus, zu schön. Es gibt nach wie vor einen erheblichen Mangel an Jobs. Von daher müsste die Zentralbank eigentlich ihre expansive Politik beibehalten.

Grafik: US Arbeitslosenquote seit 1980

Wenn es so weitergeht, wird die Quote Mitte nächsten Jahres 6,5 Prozent erreichen. Die Fed steckt dann in einem Dilemma, denn sie hatte vor einigen Monaten erklärt, dass sie bei diesem Niveau anfangen würde, die Leitzinsen (die Fed Funds Rate) zu erhöhen. Die befinden sich seit Dezember 2008 bei 0-0,25 Prozent. Tut sie das, bricht sie allerdings ihre Zusicherung gegenüber den Marktteilnehmern, dass die Leitzinsen für mehrere Jahre unverändert bleiben sollen. Das läuft unter dem Fachbegriff „forward guidance„. Die Anleger sind daher sehr verunsichert: Je stärker die Arbeitslosenquote sinkt, desto mehr fürchten sie, dass die Zinsen doch demnächst erhöht werden.

Nach der Erwartungstheorie des Zinses sind die langfristigen Zinsen das Produkt der erwarteten kurzfristigen Zinsen. Die Befürchtung, dass es im nächsten Jahr beim Leitzins zu einer Wende kommen könnte, würde demnach erklären, weshalb die Renditen der zehnjährigen Treasuries seit Anfang Mai von 1,63 auf 2,87 Prozent gestiegen sind. Die Kurse dieser Anleihen sind entsprechend kräftig gefallen – um etwa 11 Prozent –, die der übrigen länger laufenden Papiere ebenfalls. Mit anderen Worten, der Fed wird offenbar ihre Zusicherung nicht abgenommen, dass der Leitzins noch auf Jahre hinaus in der Nähe von Null bleiben wird. Wenn sie sich nicht auf die Arbeitslosenquote festgelegt hätte, sondern auf andere Indikatoren für die Lage am Arbeitsmarkt, könnte sie glaubhafter vermitteln, dass sich an der Nullzinspolitik nichts ändern wird.

Denn die Arbeitslosenquote ist sehr interpretationsbedürftig. Insbesondere gilt: Wenn sie sinkt, heißt das nicht unbedingt, dass man sich der Vollbeschäftigung nähert. Wenn Leute die Suche nach einem Arbeitsplatz aufgeben, weil sie angesichts der trüben Aussichten resignieren, werden sie in den USA nicht mehr als Arbeitslose gezählt. Dadurch geht die Anzahl der Arbeitslosen zurück – und mit ihr die Arbeitslosenquote. Im August waren 198.000 Personen weniger als arbeitslos registriert als im Juli, gleichzeitig hatte sich die Anzahl der Beschäftigten um 115.000 vermindert. Dadurch war die Anzahl der sogenannten Erwerbspersonen (der Summe aus Beschäftigten und Arbeitslosen) um nicht weniger als 312.000 zurückgegangen.

Wir haben es hier mit einem jüngerem Phänomen zu tun: Seit fünf Jahren stagniert die Zahl der Erwerbspersonen bei steigender Bevölkerung. Das heißt, es ziehen sich relativ immer mehr Menschen aus dem aktiven Erwerbsleben zurück. Wie das nächste Schaubild zeigt, ist die Erwerbsquote schon seit der Jahrtausendwende rückläufig. Seit 2008 ist es aber zu einem regelrechten Einbruch gekommen.

Grafik: Entwicklung der Erwerbsquote und der Beschäftigung in den USA seit 1980
Entwicklung der Erwerbsquote und der Beschäftigung in den USA seit 1980

Die Anzahl der tatsächlich Beschäftigten steigt zwar seit 2009, aber bisher sind die Jobverluste, zu denen es in der Krise gekommen war, noch keineswegs wettgemacht.

Als die Welt noch in Ordnung war, in den 28 Jahren von August 1980 bis August 2008, war die Anzahl der Erwerbspersonen im Durchschnitt um 1,3 Prozent jährlich oder 170.000 monatlich gestiegen. In den fünf Jahren, die seitdem vergangen sind, hat sich das radikal verschlechtert, es kam nur zu einem Anstieg um 845.000. Der Rückgang der Arbeitslosenquote bedeutet daher keinesfalls, dass genügend neue Jobs entstehen. Immer mehr Amerikaner haben die Suche einfach aufgegeben. Ben Bernanke, der Chef der Fed, schaut auf den falschen Indikator.

Auch bei einer Arbeitslosenquote von 6,5 Prozent werden die USA weit entfernt von einem Zustand der Vollbeschäftigung sein. Das schlägt sich nieder in der Verhandlungsposition der Arbeitnehmer – es ist ihnen im Durchschnitt seit Jahren nicht gelungen, ihre Stundenlöhne real zu steigern. Der gesamte Produktivitätsgewinn kommt den Hochqualifizierten und den Eigentümern der Unternehmen zugute. Bisher war der erstaunliche Optimismus der Amerikaner darauf zurückzuführen, dass die hereinkommende Flut, also eine gute Konjunktur, alle Boote gleichermaßen anhob. Das ist nicht mehr der Fall.

Grafik:  Nominale und reale Stundenverdienste in den USA (ggVj.)
Nominale und reale Stundenverdienste in den USA (ggVj.)

Was wird die Fed tun? Wie kommt sie aus ihrem Dilemma heraus, dass die Arbeitslosenquote auf die besagten 6,5 Prozent sinkt, sie den Leitzins, weil so angekündigt, erhöhen müsste, aber nach wie vor Unterbeschäftigung herrscht? Wenn sie vermeiden will, dass es in Kürze zu einer Panik an den Rentenmärkten und de facto zu einer restriktiveren Geldpolitik kommt, wird sie wohl ihre Zielmarke bei der Arbeitslosenquote senken müssen, vielleicht auf 6 Prozent – oder zugeben, dass die Quote nicht die richtige Zielgröße für die Geldpolitik ist.