Wo ich recht habe, habe ich recht, wenn ich das mal sagen darf. In Deutschland geht die Disinflation weiter, nicht so rasch wie im übrigen Euroland, aber doch stetig in Richtung null, wie ich mir das angesichts der niedrigen Kapazitätsauslastung, der beträchtlichen Produktivitätsreserven, des relativ festen Euro, der Deflation auf den vorgelagerten Stufen und der immer noch moderaten Lohnsteigerungen vorgestellt hatte.
Damit ist auch wahrscheinlicher geworden, dass im Euro-Raum als Ganzem bei den Inflationsraten weiterhin die Null vor dem Komma stehen wird, und zwar länger, als das in den gängigen Prognosen allgemein erwartet wird. Die OECD hat in ihrem letzten Economic Outlook für 2014 eine durchschnittliche Preissteigerung von 1,2 Prozent vorhergesagt. Da die Rate im Januar, wie am Freitag von Eurostat gemeldet, bei nur 0,7 Prozent liegt, müsste sie im Dezember etwa 1,7 Prozent erreichen. Ich halte das für ganz unwahrscheinlich.
Die Argumentation der meisten Kommentatoren geht dagegen so: Da das reale Sozialprodukt 2014 rund ein Prozent höher sein wird als 2013, nach einem Rückgang im vergangenen Jahr um 0,4 Prozent, wird es leichter fallen als bisher, Preise und Löhne zu erhöhen. Auch der leichte Rückgang der Zahl der Arbeitslosen – im Januar waren es saisonbereinigt 130.000 weniger als im Dezember – spräche dafür, wobei die Arbeitslosenquote seit drei Monaten unverändert bei 12,0 Prozent liegt. Vielfach wird ohne empirische Belege behauptet, dass sich das sogenannte Produktionspotenzial des Euro-Raums seit dem Beginn der Finanzkrise kaum noch erhöht hat, so dass der Output auch schon dann an die Decke stößt, wenn er nur schwach expandiert. Von den 20 Millionen Arbeitslosen hätte zudem ein nicht unbeträchtlicher Teil in der Zwischenzeit ihre Qualifikationen verloren und sei daher nur schwer vermittelbar. Heute folge das Sozialprodukt dem Potenzial mehr oder weniger dicht auf den Fersen. Das führt das Konzept natürlich ad absurdum – es gäbe praktisch nie irgendwelche nennenswerten ungenutzten Kapazitäten. Wir kennen das: Heute ist alles anders als früher. Normalerweise reden nur Aktienverkäufer so, wenn sie in einem total überbewerteten Markt ihre Sachen an den Mann bringen wollen.
Es muss einfach akzeptiert werden, dass der Euro-Raum noch jahrelang weit unter seinen Möglichkeiten produzieren wird. Mit jährlichen Zuwachsraten von nur einem Prozent lässt sich die Output-Lücke nicht schließen. Ein Druck in Richtung höhere Löhne und Preise besteht daher praktisch nicht.
In Deutschland sieht es besser aus, weil die Konjunktur besser läuft; es hatte keine Immobilienblase gegeben, die hätte platzen können. Im Januar lag die Inflationsrate bei den Verbraucherpreisen bei 1,3 Prozent, aber selbst hierzulande gehen die Inflationsraten im Trend zurück.
Insgesamt ist es wahrscheinlicher, dass Euroland in die Deflation abgleitet, als dass auf einmal Inflation ausbricht.
Der jüngste Einbruch der europäischen Aktienmärkte ebenso wie die neue Hausse an den Rentenmärkten könnten Indizien dafür sein, dass die Marktteilnehmer die Deflationsgefahr sehr ernst nehmen. Daneben spielt wohl auch die Krise in den Schwellenländern eine Rolle. Vor allem Länder, die gleichzeitig Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite aufweisen, sind in die Schusslinie der Kapitalmärkte geraten. Noch sieht die Situation beherrschbar aus, aber wenn in China die kreditgetriebenen Blasen im Wohnungsbau, der Infrastruktur und am Aktienmarkt platzen, wird es gefährlich. Die Nervosität nimmt jedenfalls zu.
So expansiv die Politik der EZB ist, sie wird in den kommenden Monaten noch expansiver werden: Die Zinsen werden weiter sinken, obwohl das schwer vorstellbar ist, es wird wieder langfristige und nahezu unbegrenzte Zentralbankkredite an die Banken geben, vielleicht wird die EZB sogar verbriefte Unternehmenskredite in größerem Stil aufkaufen. Gleichzeitig wird die Finanzpolitik (aggregiert über die Länder des Euro-Raums) zumindest weniger restriktiv sein als in den Vorjahren, vor allem weil Deutschland keine Überschüsse im Staatshaushalt anstrebt. Das sind die angemessenen wirtschaftspolitischen Reaktionen. Wenn es zu einem scharfen Rückgang der weltwirtschaftlichen Aktivität kommt, lässt sich dadurch das Schlimmste verhindern.